Vorwort:
Dr. Eckart von Hirschhausen brachte 2021 das sehr empfehlenswerte Buch „Mensch Erde! Wir könnten es so schön haben.“ heraus. Das Buch schließt mit dem Kapitel “Mein Traum 2050”, in dem von Hirschhausen darüber sinniert, wie sie sein könnte, die Welt, wenn es doch noch gelingt, das Steuer rechtzeitig herumzureißen.
Gerade jetzt, wo wir nicht nur in Österreich vor einem Umbruch stehen, wo vieles von dem, was hart erarbeitet wurde, wieder rückgängig gemacht wird, wo wichtige Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels zu Nichte gemacht werden, lohnt sich dieser fiktive Blick aus der Zukunft. Ich frage mich, welche Visionen haben u.a. die Leute der FPÖ und der ÖVP, die jetzt wohl in die Regierung kommen? Was sind die wahren Beweggründe, entgegen der wissenschaftlichen Fakten und der Vorgaben der EU vom Pfad des Klimaschutzes abzugehen? Vermutlich wird Österreich hohe Strafzahlung für die Nichterreichung der eigentlich beschlossenen Klimaziele leisten müssen. Es wäre doch besser, in die eigene Tasche zu investieren.
Herzlichen Dank dem Team von Dr. von Hirschhausen für die Freigabe des Textes. Und großen Dank an ihn persönlich für die wunderbaren Zeilen von Mein Traum 2050!
Peter Oberhofer
Mein Traum 2050!
Vorab eines meiner Lieblingszitate von Marc Uwe Kling: „ja wir könnten jetzt was gegen den Klimawandel tun, aber wenn wir dann in 50 Jahren feststellen würden, dass sich alle Wissenschaftler doch vertan haben und es gar keine Klimaerwärmung gibt, dann hätten wir völlig ohne Grund dafür gesorgt, dass man selbst in den Städten die Luft wieder atmen kann, dass die Flüsse nicht mehr giftig sind, dass Autos weder Krach machen noch stinken und dass wir nicht mehr abhängig sind von Diktatoren und deren Ölvorkommen. Dann würden wir uns schön ärgern.“
Erster Januar 2050: klarer Himmel und noch viel besser – keine verballerten Raketenreste auf den Straßen. Als Kind liebte ich den Geruch von Schwarzpulver und auch später noch habe ich zu Silvester gerne kräftig mitgeböllert. Aber jetzt mit 82 bin ich froh, wenn ich nicht den ganzen Feinstaub in die Lunge bekomme und genieße den Jahreswechsel im Kreise meiner Liebsten. Wir haben Zeit füreinander und reden von früher – als das Jahr 2021 ein historischer Wendepunkt für die Menschheit wurde. 2021 war ein Schicksalsjahr.
Damals machte sich das Coronavirus breit. Das Leben stand still, von einem auf den nächsten Tag und als klar wurde, dass selbst ein Lockdown nicht reicht, um die Emissionen so zu senken, dass wir uns nicht selber die Luft abdrücken, gab es neue Mehrheiten. Aus heutiger Sicht muss man ja der Corona Pandemie dankbar sein. Zwar war sie psychisch lähmend und für einzelne Wirtschaftszweige vorübergehend auch wirklich schwer. Aber ohne diese Vollbremsung in unserem Hamsterrad, ohne diesen Impuls, hätten wir die Kurve nicht mehr bekommen. Vor Erreichen der Kipppunkte im Erdsystem gemeinsam umzusteuern. Kipppunkt – ich weiß noch wie neu dieses Wort damals für alle war. Heute weiß jeder was das ist. Klar – heißer als damals ist es geworden. Aber die Städte sind nicht mehr ganz so überhitzt. Auf jedem Dach sind Solaranlagen auf 2 Meter hohen Stelzen montiert. Darunter sind Wiesen und Regenwassersammler. So gibt es immer Schatten, natürliche Kühlung und auch ein grünes Plätzchen, um sich in der Mittagszeit auszuruhen. Das habe ich ja schon immer geliebt. Statt nach Mallorca zu fliegen, haben wir Deutsche den Spanier in uns entdeckt und uns ein paar Tricks der mediterranen Lebensweise angeeignet. Siesta. Das ist herrlich. Oft kommen jetzt Spanier nach Deutschland, um sich hier zu erholen.
Gerade die großen Naturschutzgebiete rund um die zusammenhängenden Waldflächen vom Schwarzwald bis Mecklenburg-Vorpommern und all die renaturierten Moore sind echte Publikumsmagnete, wenn wir mit unserer kleinen Wandergruppe der Rentner for Future durch die Wälder streifen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich der Wald wieder erholt hat. Die neuen Baumarten kommen mit den veränderten klimatischen Bedingungen besser zurecht, als die Fichten und Kiefern, die früher dominierten und aus deren Holz man dann Häuser baute. Dadurch riecht es jetzt in der Stadt auch immer sehr angenehm und ein bisschen nach Harz. 2025 wurden endlich alle Verbrennungsmotoren verboten. Der Kohleausstieg gelang im selben Jahr. Die Zeit war dafür schlicht vorbei.
Von A nach B zu kommen, ist einfach geworden. Wenn ich meinen Enkeln erzähle, dass früher jeder in seiner eigenen Blechschlüssel Auto fuhr, statt wie heute von einem autonomen Fahrzeug aufgesammelt und an sein Ziel gebracht zu werden – dorthin wo man mit dem kostenfreien Nahverkehr nicht hinkommt, schauen sie mich ungläubig an, als würde ich mir das ausdenken. Ebenso wenn ich Ihnen von Städten erzähle, die zugeparkt waren und stanken. Das ist wirklich schon lange her. Überall kann man heute auch E-Bikes leihen und was meine Boomergeneration besonders freut, auch E-Rollatoren sind dabei. Das Zugfahren ist mehr als bequem, das neue Schnellnetz der Hit. Von Berlin nach Köln kommt man in zwei Stunden und der Bahnhof in Hamburg, wo ich Stunden meines Lebens unfreiwillig verbracht habe, um auf Anschlüsse zu warten, ist zu einem Eisenbahnmuseum geworden. Die Flughäfen, die schon lange keiner mehr für innerdeutsche Strecken brauchte, sind zu Naturschutzgebieten erklärt worden und von den alten Aussichtsplattformen und den Beobachtungstürmen aus kann man sehen, wie sich die Natur die Pflanzen, Vögel und Wildtiere diese Räume zurückerobert haben. Herrlich am Münchner Flughafen, der in einer Moorgegend gebaut worden war, konnten die Flugzeuge wegen Nebel oft nicht landen. Jetzt ist dort wieder echtes Moor. Die vielen Vögel landen mit Leichtigkeit. Frankfurt ist als internationaler Flughafen geblieben. Schließlich ist nichts gefährlicher als die Weltanschauung von Menschen die die Welt nie angeschaut haben. Das wusste schon Alexander von Humboldt. Aber seit die Flugzeuge auf Solarantrieb umgestellt haben, sind sie zumindest nicht mehr so laut. Das war ein harter Schlag damals für die Verschwörungstheoretiker, weil die Chemtrails wegfielen und keiner mehr an ihren Quatsch glauben wollte.
Überhaupt bin ich stolz, wie kritisch die übernächste Generation ist. Sie argumentiert ganz anders als wir damals, kennt die naturwissenschaftlichen Fakten und hat von früh auf gelernt sich in ihr gegenüber hineinzuversetzen. Dadurch, dass sich die Leute aussuchen können wo und wie sie arbeiten, steht von vornherein nicht dieses ständige Konkurrenzdenken, das meine Jahrgänge so angetrieben und auch dezimiert hat. Viele meiner Altersgruppe haben das Jahr 2050 nicht erreicht, weil sie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten, das ganze Zeug. Klar ist die Medizin besser geworden im Vergleich zu dem, was seinerzeit bei mir noch Standard war. Aber an der Tatsache, dass wir einen Körper haben, der seine biologischen Grenzen hat, kann man noch immer nicht vorbei. Muss man ja auch nicht. Ich weiß noch wie ab 2025 alle Kantinen auf Fleisch und Milchprodukte verzichteten. Das gab tierischen Ärger. Aber wie wir schon in der Coronakrise beobachten konnten – Menschen gewöhnen sich erstaunlich schnell an Veränderungen, wenn sie für alle gelten und Sinn machen. Und nach ein paar Monaten war das so selbstverständlich wie die allgegenwärtigen Wasserspender, die alten Plastikflaschen den Hahn abgedreht haben.
Auch wenn ich mich für mein Alter noch halbwegs fit fühle, bin ich doch froh, dass es wieder genug Pflegekräfte in Deutschland gibt. Nachdem Ende der 20er Jahre erkannt worden war, dass es so nicht weitergehen konnte, wurde beschlossen dass Pflegekräfte, Erzieher und alle die in einem therapeutischen Beruf arbeiten, genauso viel in Deutschland verdienen sollen, wie ihre Kollegen im Nachbarland Schweiz. Und tatsächlich kamen plötzlich Hunderttausende aus dem Ausland zurück, denn eigentlich wollten sie ja gerne in Deutschland arbeiten. Endlich stimmten die Rahmenbedingungen, die Bezahlung, die Karrieremöglichkeiten und die Wertschätzung. Auch viele die sich notgedrungen einen anderen Beruf gesucht hatten, kamen so wieder zurück. Gut zu wissen, dass nun wieder genügend Fachkräfte vor Ort sind, wenn meine Kräfte nachlassen.
Die Quartiere in den Städten wurden neu gemischt. Nach dem Vorbild von Paris und Kopenhagen bauten sich auch die großen Städte in Deutschland um, so dass man heute mit dem Rad oder einer Rikscha bequem und sicher überall hinkommt. Die Parkhäuser brauchen auch viel weniger Platz und so kombinierte man einfach Radparkhäuser mit Parkanlagen, öffentlichen beschatteten Sportplätzen und Schwimmbädern zur Abkühlung und Naherholung. Viele der teuren Büroimmobilien wurden überflüssig, denn in den Zeiten von Corona entdeckte man die Vorteile des Homeoffice und so gab es wieder Wohnraum und sogar bezahlbare Mieten. Heute bleiben viel mehr Menschen in ihren Kiezen wohnen und organisieren sich Unterstützung in der Nachbarschaft. Dabei hilft, dass es ein verpflichtendes soziales Jahr am Ende der Schule und auch am Ende des Berufslebens gibt. So sind die medizinischen Grundlagen inzwischen allen bekannt. Keiner hat mehr Berührungsängste gegenüber Menschen, die krank sind oder Hilfe benötigen. Keiner muss von Robotern gepflegt werden und die Zeit auch nicht mit dem Starren auf Bildschirme totschlagen, was alles einmal als Zeichen des Fortschritts galt.
Überhaupt haben die Menschen mehr Zeit füreinander, für Kultur, für Kreativität, für die Natur. Weil die Städte lebensfreundlicher wurden, hörte die Zersiedelung ebenso auf wie die Versiegelung der Flächen. Menschen fanden Gefallen an kompakten Städten und die Natur drumherum erholte sich und dient nun der Erholung von Menschen. Wie schnell bewährten sich neue Spielregeln im miteinander. Viel von dem, was einmal jeder selber haben wollte wurde plötzlich kollektiv genutzt – Autos, Räder, Werkzeug, alles was man eh nur selten brauchte, konnte man sich jetzt bei Bedarf smart leihen. Es ist auch sehr viel üblicher geworden, sich nicht mehr nur über die Arbeit zu definieren, seit es das Grundeinkommen für alle gibt. So können viele ihre Stärken gemeinwohlorientiert einbringen, statt sie meistbietend oder zu Dumping Preisen auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen. In die Politik zu gehen, ist selbstverständlicher geworden und durch neue Wege der Mitbestimmung haben sich auch viele der Konflikte der alten Parteien und Polarisierung aufgelöst. Europa ist zusammengewachsen, jeder Schüler und jeder der aus dem Arbeitsleben ausscheidet bekommt als Dankeschön für das soziale Jahr ein Interrail Ticket geschenkt, einen Freifahrtschein quer durch alle Länder der EU inklusive der Schnellstrecke durch den Tunnel nach England.
Die Briten sind ja nach dem missratenen Brexit 2026 wieder ganz reumütig europäisch geworden. Das hatte sich die Queen zu ihrem 100. Geburtstag gewünscht und es wurde noch feierlicher begangen als die Hochzeit von Charles und Camilla. Eigentlich haben wir doch sehr viel mehr gemeinsam mit anderen, als dass uns Dinge trennen. Ich bin so glücklich darüber, dass ich im Gegensatz zu meinen Eltern und Großeltern keinen Krieg erleben musste, der von Deutschland ausging und auch keinen Reaktorunfall. Was mich am meisten freut, dass ich wieder in jeden See und in jedes Meer springen kann, ohne darüber nachzudenken, ob das Wasser jetzt Blaualgen oder andere gefährliche Schadstoffe enthält. Ich liebe es immer noch zu schwimmen, inzwischen sogar ohne Schwimmbrille und auch wenn ich irgendwann wohl für immer abtauche, blicke ich dankbar zurück, dass wir dieses entscheidende letzte Jahrzehnt in den Zwanzigern so gut nutzen konnten. So behalten uns hoffentlich auch zukünftige Generationen in guter Erinnerung.
Mensch Erde, denke ich oft in meinem Schaukelstuhl, was haben wir es schön.
Dr. Eckart von Hirschhausen