Vorweg: Wenn ich „heute“ über Bruchstücke meines Glaubens schreibe, dann entspringt das keinem missionarischen Eifer und ist auch kein Statement, das überzeugen will. Deshalb das „heute“. Glaube ist flüchtig, kann angesichts von Krisen, Schicksalsschlägen und Glaubensfanatikern schnell verduften.
Mein Glaube ist unverdient und auch nicht bewusst angereichert. Mein Glaube ist ein Geschenk, gewachsen aus einem Grundvertrauen, das mir meine Familie, meine Vorfahren vermittelt haben. Der Jahreskreis, die Naturverbundenheit, die Dankbarkeit und Zufriedenheit waren und sind wertvolle Begleiterinnen auf dem Weg der Erfahrung eines kostbaren Wertekanons. Mein Glaube ist zusätzlich genährt durch liebevolle, mitfühlende und solidarische Menschen. Menschen der Gegenwart und Vergangenheit und jenseits religiöser und kultureller Grenzen. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte dabei auch die Kunst, insbesondere die Musik und Literatur.
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Eine leuchtende Ausnahmeerscheinung der deutschen Literatur, die Jüdin Mascha Kalèko, schreibt in ihrem Sammelband „Ich tat die Augen auf und sah das Helle“ folgendes Gedicht:
„Ich möchte in dieser Zeit nicht der Herr-Gott sein und wohlbehütet hinter Wolken thronen, allwissend, dass die Bomben und Kanonen den roten Tod auf meine Söhne spein. Wie peinlich, einem Engelschor zu lauschen, da Kinderweinen durch die Lande gellt. Weißgott, ich möchte um alles in der Welt nicht mit dem lieben Gott im Himmel tauschen…..“
Kalèko spricht zum einem die ungelöste Frage an, warum Gott, wenn es ihn gibt, das Elend dieser Welt zulässt – und hinterfragt zugleich das Bild eines allmächtigen Herr-Gotts an.
Ich glaube nicht an Gott, den Allmächtigen.
Wenn ich das sage und schreibe – bei aller Irritation, die sich angesichts meines Lebensweges darob einstellt – ist das keine Absage an das Göttliche an das ich glauben darf. Das Göttliche, das ich mit einem „Du“ anreden möchte:
„Gott, wer, was immer du bist – ich will mir kein Bild von dir machen. Du bist für mich weder Vater noch Richter und schon gar nicht ein eifersüchtiger Herrscher oder leidenschaftsloser Wolkenkuckucksheim-Bewohner. Ich möchte dich nicht einschränken auf eine Dreifaltigkeit. Alles, was ich dir zuschreibe ist grenzenlos vielfältig: Die Unterschiedlichkeit der Menschen im gemeinsamen Haus der Welt, die unaufhörliche Explosion der Natur und dein Echo in der Kultur Du bist für mich kein Machthaber – als solcher müsste ich dir, Kleingeist der ich bin, vorwerfen, dass du nicht eingreifst, wo die Schöpfung misshandelt und zerstört wird. Ich richte meinen Blick auch nicht nach oben. Es würde mir den Boden unter den Füßen wegziehen und ich würde jene übersehen, die am Boden liegen.
Ich will mir meinen Blick auch nicht verstellen lassen von Dogmen und Religionsführern, die sich vornehm(lich) in ihrem Spiegelkabinett bewegen und überheblich bevormundend ihre Selbstermächtigung zur Schau stellen. Gott, wer und was immer du bist – ich will mir kein Bild von dir machen und machen lassen. Ich weiß, du bist mir nicht böse. In der Überlieferung hast du geraten, dass wir die Finger davon lassen sollen, uns ein Bild von dir zu machen. Wenn wir es trotzdem tun, entspringt es wohl einer gewissen Angst vor der Gottlosigkeit und wir greifen zu Hilfsmitteln, die das Unsichtbare und Unbegreifliche sichtbar zu machen versuchen. Ich glaube an deine Nachsicht.“
Glotz‘ beim Loben und Beten nicht nach oben
„Glotz‘ beim Loben nicht immer nach oben; schau mal zur Seite, dann siehst du die Pleite“ Dieser Liedtext einer Duisburger Gospelgroup hat es in sich. Vor allem im darin verborgenen Aufruf, sich dem Elend zu stellen und solidarisch zu sein. Papst Benedikt XVI, mit dessen konservativer Grundmelodie ich wenig anfangen konnte, hat in seinem Lehrschreiben „Deus caritas est“ eine für mich stimmige Linie beschrieben: „Gott braucht keine Dienerinnen und Diener. Er braucht Mit-Liebende.“
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Mit-Liebende sind gefragt
Kriege, Not, Tote, Verletzte, Heimatlose, Hungernde, geopolitische Verwerfungen, terroristische und politische Vereinnahmung der Religion, Hass, Verachtung, Ausgrenzung, Demokratiemüdigkeit, der Glaube an den starken Mann,…Ich glaube, wir können unseren Blick nicht nach oben lenken und Lösungen betend dem Himmel überantworten. Unsere Solidarität, unser Freimut, unser Einsatz und unsere Empathie sind gefragt.
Meine Gebete werden immer dürftiger. Ich halte es da gerne mit dem Wort Jesu: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen“ (Mt 6,7). Ich stelle mein Leben und meinen Glauben in Frage. Wenn mein Beten nicht ins Tun führt, was dann? Wie soll ich beten? Kann ich beten zu Gott, der schweigt?
Ich glaube nicht an einen schweigsamen Gott
Ich glaube an Gott, der spricht. Er spricht für mich nicht in alten Psalmen und Versen, die niemand versteht. Sie sind teilweise abgehoben und von „Exklusiven“ überliefert und überschrieben. Ich weiß aber, dass das „Wort Gottes“ für viele bedeutsam und wertvoll ist. Ich möchte dies nicht hinterfragen. Es gibt nicht wenige Passagen und Geschichten aus den Evangelien, die für mich ansprechend, impulsgebend und immer wieder handlungsanleitend waren und sind. Roger Schutz, einer meiner spirituellen „Lehrer“, hat es so umschrieben: „Lebe, was du vom Evangelium begriffen hast. Und wenn es noch so wenig ist. Aber lebe es.“
Franz von Assisi wird zugeschrieben, dass er zwar ein leidenschaftlicher Verkünder der „Frohen Botschaft“ gewesen sei, aber zugleich davor warnte, allzu viele Worte dafür zu verwenden.
(Selbstkritische Anmerkung: Georg, du schreibst schon wieder zuviel.)
Deus caritas est – Gott ist Liebe
Liebe ist ein Tunwort. Ich glaube an Gott, der durch Menschen spricht, die mit-leidend und beherzt sich der Not der Menschen zuwenden und sich für den Schutz der Schöpfung einsetzen. Mit-Menschen, die aufschreien ob der Ungerechtigkeit und Zerstörung des Lebens. Ich durfte in meinem beruflichen Umfeld abertausende solche Menschen kennen und schätzen lernen. Menschen aus unterschiedlichen Religionen und Regionen. Auch nicht wenige Menschen, die mit Religion und Gott vermeintlich nichts am Hut hatten. Das nährte meinen umfassenden Respekt, meinen Glauben an das unverwüstliche Gute, das unserer Welt innenwohnt und mündete in eine tägliche Dankbarkeit.
Mein Lieblingsgebet und oft auch mein einziges hat fünf Buchstaben: „DANKE!“ Ja, ich bin dankbar für all das Gute und Schöne, das uns trotz allem umgibt und uns geschenkt wird. Ich bin dankbar dafür, dass mich die Gleichgültigkeit noch nicht heimgesucht hat und meine Leidenschaft immer noch flammend ist. Ich bin dankbar für die unzählig Liebenden dieser Welt. Ich bin dankbar für alle Initiativen, die die Schöpfung bewahren und sich für ein gutes Leben für alle einsetzen. Ich bin dankbar für mein Leben und das unverdiente Geschenk eines Grundvertrauens und Glauben an das Gute. Ich bin dankbar für meine Angehörigen, Zugehörigen und für meine Nachbarn – nah und fern. Ich bin dankbar für jeden Lichtstrahl.
Dazu wieder Mascha Kalèko:
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Sonne
Ich tat die Augen auf und sah das Helle,
Mein Leid verklang wie ein gehauchtes Wort. –
Ein Meer von Licht drang flutend in die Zelle,
Das trug wie eine Welle mich hinfort.
Und Licht ergoß sich über jede Stelle,
Durchwachte Sorgen gingen leis zur Ruh. –
Ich tat die Augen auf und sah das Helle,
Nun schließ ich sie so bald nicht wieder zu.
Mein heutiger Schlusspunkt: Glaube ist nicht mach(t)bar. Ich durfte einen der bedeutendsten Manager Österreichs vor Jahren bis zum Tod begleiten. Sein Rückblick auf Leben und Wirken war kostbar und wertvoll – ohne Schnörkel und Schönfärberei. Gegen Schluss schenkte er mir sein „Glaubensbekenntnis“:
Weißt du Georg, am Anfang und auch lange war da ein: Ich glaube an Gott. Dann folgte ein: Ich zweifle an Gott. Später immer wieder ein: Ich verzweifle an Gott. Jetzt gegen Ende meines Lebens darf ich sagen: Deo gratias. Ich danke dir Gott.
Georg Schärmer
Menschen-, Kultur,- Naturliebhaber
Fotos: Georg Schärmer