21. November 2024
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Von Fantabomben, Schweinelämmchen und Zahnbürstenkriegen

Lesedauer ca. 7 Minuten

Zur Melodie des Kikaninchenklassikers „Party“ (für Eingeweihte dibbedibbedab…ein regelrecht quälender Ohrwurm und irgendwann freß ich dem depperten Kaninchen das “Dibbedibbedab” vor der Nase weg), ertönt lautes Gestreite und mittenhinein ein deutlich zu hörender Ausruf: „Du Arschtigall! – ich spiel nicht mehr mit Dir!“. Türen werden mit einem lauten Knall für einen kurzen Augenblick endgültig geschlossen und Tränen fließen, unterdessen rumsen die Türen immer wieder ins jeweilige Schloss.

Während ich mir noch Gedanken darüber mache, was wohl ein oder eine „Arschtigall“ ist und mir das bildlich vorstelle, eile ich mit leisem Unverständnis bewaffnet die Treppe hoch. Der erste Stock gleicht einem Schlachtfeld. Da gab es bis vor kurzem noch: Bad, Elternschlafzimmer, Kinderschlafzimmer, Spielzimmer (für die Kinder) und einen Gang. Nun, alles ziemlich eindeutig „umdekoriert“ zu einem Kinderzimmer. Als erstes frage ich meine beiden Wirbelwinde: „Was war denn los?“…Ein Langes und ein Breites malgenommen mit „der hat“ und „der hat“ und „hat gesagt“, „hat gehauen“, „hat angefangen“…

“Man kann alles ausreden“, denke ich mir. Nach längeren taktisch zähen Verhandlungen und mehrmalig wiederholtem Türenknallen, erfolgt das Angebot meinerseits die Türen einfach aus den jeweiligen Angeln zu entfernen, damit wenigstens die Knallerei aufhört. Nein, das wollen sie beide nicht, wenigstens darüber sind sie sich einig. „Wir haben ein Recht auf Privatsphäre!“. Woher kennt der kleine Klugscheißer dieses Wort?! Ich rücke an zum nächsten Schritt und fasse die Spaltungstheorie ins Auge. Etwa so: Wenn das jetzt nicht getrennt oder zusammen funktioniert, ist mir egal wer angefangen hat und weitermacht, dann darf heute keiner mehr den versprochenen Teil der Serie schauen.

Das „Außerdem wie sieht’s hier eigentlich aus?!“, bleibt mir im Halse stecken, als ich das Spielzimmer betrete. Gerade noch höre ich hinter mir ein vereinigtes Tuscheln, kleine Füße, die eiligst Richtung Elternschlafzimmer tapsen und dann Stille, vollkommene Stille. Die Sorte Stille, nachdem es dreizehn geschlagen hat. Nur, dass das keine Uhrschläge waren, sondern Einschläge. Wahrhaftige Einschläge – scheinbar mangels Spielzeug in einem vollgestopften Spielzimmer – mit Fantabomben.

Die sträflichen Vergehen reihen sich vor meinem Inneren auf: Die Herren haben sich wie kleine diebische Elstern in den Keller geschlichen, um den Vorrat an Fantadosen, gehortet für besondere Anlässe, zu plündern, um sie dann geöffnet und halb ausgetrunken als Wurfwaffe zu benutzen. Worte, die ich nicht finde speiend, stampfe ich ins Elternschlafzimmer. Keine Kinder. Während meiner wütenden Kehrtwende hör ich’s wispern. Die kleinen Vandalen haben sich unters Bett verkrochen. Ich stürze Richtung Bettunterseite und zische, ein Glühen in den Augen, ein fast nicht hörbares: „Ihr kommt da jetzt sofort raus!“

Ich höre, wie sie denken!….Innerlich zähle ich die Sekunden…im Kopf allerdings schwirren böse Geister der schwarzen Macht.

Langsam und reichlich zögerlich hat man derweil unterm Bett beschlossen, sich dem Schicksal zu ergeben. Schweigend deute ich an mir nachzufolgen. Mein Blick vernichtet jeden Widerspruch. Eiligst folgen mir vier Füße in den Keller. Dort teile ich wortlos Eimer und Putzlappen aus. Der Kleine setzt zum Widerspruch an: „Waaaaaas?!…“. Sein Bruder beendet das mit einem geschwisterlichen Knuff in den Oberarm. Ich ignoriere. Wie zwei arme Tropfe wackeln Kinder samt Putzgerätschaften vor mir die Treppe hoch. Im ersten Stock fülle ich die Eimer mit Wasser.

Frisch und fröhlich ans Werk sieht anders aus, aber Spaß hatten sie ja wohl schon genug. Zischelnd und sich im Laufe der Arbeit immer einiger werdend, dass dies Kinderarbeit sei, werden die Hinterlassenschaften der Fantabomben entfernt. Nachdem das Zimmer grundgereinigt, die herumliegenden Spielsachen alle verräumt sind, ist die Herrschaft verwundert, wie groß doch so ein aufgeräumtes, sauberes Zimmer ist.

Auf die Nachfrage des Großen: „Das machen wir nicht mehr, oder?“ erwidert der Kleine prompt: „Nein! Sonst müssen wir wieder putzen!”. Ich bin relativ unschlüssig, was die beiden jetzt gelernt haben. Es folgt eine Gardinenpredigt meinerseits über das „sich einfach Bedienen“, den „spaßeshalber Verbrauch von Lebensmitteln“ und überhaupt „den Krawall“…

Sie hören sich’s an, verräumen noch Eimer und Lappen und begeben sich wieder ins Spielzimmer. Kurz.

Inzwischen habe ich beschlossen, dass ein Mittagessen nicht schaden könnte und beginne mit den Vorbereitungen. Plötzlich steht der Kleine wie aus dem Boden gewachsen mitten in der Küche: „Was gibt’s heut zum Mittagessen?“, „Fantasuppe“, antworte ich kurz. Ungeduldig: „Mama, was gibt’s jetzt wirklich?!“. Ich grinse. „Schweinelendchen mit Kartoffelpüree.“ Die Augen werden groß und füllen sich mit Tränen – blankes Entsetzen steht ihm ins Gesicht geschrieben. Langsam ruft er aus: „Waaaaaas?! Schweinelämmchen?! Das arme Lämmchen!“

Fassungslos sieht er mich an. „Nein!“, beruhige ich ihn und setz mich vor ihm auf den Boden. „Schweinelendchen. Das ist ein Teil vom Schwein, das nennt man Lende!“. Er entgegnet prompt: „Achso! Aber Lendchen hört sich so niedlich an: Das esse ich SICHER NICHT!“. Sämtliche Überzeugungsversuche scheitern. „Na gut“, gebe ich innerlich auf. Ist ja nicht so, dass ich es nicht versteh und ich hab die Faxen dicke, da brat ich zusätzlich lieber noch ein Ei, anstatt die komplette Verweigerung und Verachtung am Tisch sitzen zu haben. Später beim Essen denk ich mir: „Zum Glück lässt er uns Andere in Ruhe essen und bringt keine Diskussion auf den Tisch.“. Keine Diskussion auf den Tisch, dafür ein volles Glas Wasser auf den Küchenboden, mit Scherben, versteht sich…

Nachdem alles gegessen, gewischt, gestaubsaugt und abermals gewischt ist, möchte ich eigentlich zu einem gemütlichen Nachmittag übergehen. Ich will das auch ehrlich und wahrhaftig durchziehen, überlege, was wir spielen könnten oder malen oder lesen, bis der Krawall im oberen Badezimmer nicht mehr zu überhören ist.

Und wieder frage ich mich: „Was zum Teufel ist bitte ein/eine Arschtigall?“ – zumindest isses unfein, jemand anderen so zu betiteln. Diese Frage aber lässt sich wiederum nicht klären.

Es ergibt sich im Badezimmer ein merkwürdiges Bild: Beide Kinder ziehen an einer blau-orangenen Zahnbürste, der eine vorn, der andere hinten. Der Große, mit Zahnpastatube bewaffnet, ist gerade dabei genau jene Tube auf der Backe seines Bruders auszudrücken. Ich unterbinde das. „Streitet ihr Euch um eine Zahnbürste?!“, frage ich leicht fassungslos.

Und schon geht es los. Im aufgeheizten Stimmengewirr höre ich Folgendes „Das ist die Zahnbürste vom Bürschtl! Das ist meine, die hat mir die Frau vom Bürschtl bei der Steffi im Kindergarten geschenkt! Das ist MEINE!“ Der Andere argumentiert ebenso. Der Andere, in diesem Fall der Große, hatte sich jahrelang nicht um diese Zahnbürste geschert – ich nehm’s trotzdem hin als das, was es zu sein scheint: ein Streit aus einer Laune heraus, eher von kurzfristiger Dauer.

„Hach, das löse ich ganz einfach!“, denk ich mir. Öffne den Badezimmerschrank, hole eine nigelnagelneue grüne Zahnbürste heraus und präsentiere „die Lösung“. Wenn ich jetzt schreibe, man straft mich daraufhin mit verachtenden Blicken, wäre das noch weit, weit untertrieben. Ich scheine da irgendwas nicht mitbekommen zu haben. Und so wurde der Zahnbürstenkrieg geboren.

Jeden Abend, jeden Morgen, wird um diese eine Zahnbürste gestritten, um sich dann doch wieder mit der eh schon vorhandenen jeweilig eigenen die Zähne zu putzen. Aber trotzdem, ein Streit mit Dauerpotential und extrem bewundernswertem Durchhaltevermögen. Es nützt auch nix, dass ich die Bürschtlzahnbürste verstecke.

Inzwischen wird schon beim Aufstehen, beim Frühstück, Mittags, Nachmittags und beim Abendessen gestritten. Das Wort Zahnbürste löst mittlerweile ein nervöses Zucken an meinem Augenlid aus. Ich erzähle in der Therapie vom Zahnbürstenkrieg, ich durchforste Laden um Laden nach einer ähnlich aussehenden depperten Scheißzahnbürste. Es gedeiht schon soweit, dass bei der alleinigen Erwähnung des Wortes Bürste mein Zorn ins Wallen kommt. Ich bin am Ende meiner Geduld. Als ich dann auch noch davon träume, den unschuldigen Biber Bürschtl in einem Massaker beiseite zu räumen, beschließe ich, beim Land die für Zahnhygiene zuständige Stelle anzurufen.

Nach langem Hin und Her lande ich bei einem Herrn, der überhaupt kein Verständnis für meine Situation hat. „Die Zahnbürsten werden im Rahmen eines Kindergartenbesuchs im Rahmen der Zahnvorsorge verteilt, der aber aufgrund der derzeitigen Situation (Anmerkung: Corona) nicht stattfinden kann.“, rattert der Herr gelangweilt herunter. Jedes „Ja aber“, wird quittiert mit: „Ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, die Zahnbürsten werden im Rahmen….“, genervt beende ich das Telefonat mit bitterbösen Gedanken, wo sich wer auch immer irgendwelche Zahnbürsten hinstecken kann!

Ich schwöre mir, bei nächster Gelegenheit im Kindergarten anzufragen, ob es vielleicht eine übrige Zahnbürste gäbe; mir mittlerweile egal ob benutzt oder unbenutzt! Als ich mein Anliegen vorbringe wird verdutzt geschaut, aber schnell begriffen. „Ja…“, denke ich mir, “Ich verstehe das auch nicht“, und dass ich mich hier zum Affen wegen einer Zahnbürste mach, beschert mir einen roten Kopf. Ich komm mir vor, als könnten wir uns keine Zahnbürsten leisten.

Man versichert mir, es würde nachgesehen und wenn noch eine da wäre, würde ich ganz zuverlässig eine bekommen.

Nur einen Tag später erhalte ich das heilige Stück. Froh trag ich’s nach Hause und präsentiere die neue Errungenschaft beim Mittagessen. Ich komme nicht einmal dazu, mich zu erklären, da bekommen beide Jungs ganz schmale Augen und der Große zischt in meine Richtung: „Wieso hast Du jetzt die Zahnbürste vom Bürschtl?!“, Worauf der Kleine beharrend fordert: „Ja, warum?!“. Eigentlich hab ich keine Lust, jetzt noch eine Frohbotschaft zu verkünden, doch weiteren Zahnbürstenkriegen fühle ich mich nicht gewachsen. „Die habt ihr vom Kindergarten bekommen, jetzt hat jeder eine!“. „Oh, Mama ist die Beste!“ darf ich mich kurz einen Nachmittag in meiner guten Tat suhlen.

Das sieht dann am Abend schon wieder ein wenig anders aus. Auf meine Frage: „Warum benutzt Du jetzt nicht die neue Zahnbürste vom Bürschtl?! Sondern die Grüne?!“, antwortet der Kleine recht knapp: „Weißt Du, da war das Prinzip!“….augenblicklich verlasse ich den Raum und schmettere meinem Mann um die Ohren: „Du bist dran!“. Er blickt mich verwundert an. „Diese Räume sind eindeutig überfüllt mit Arschtigall!!!“, zischle ich im Vorbeigehen und verlasse das Haus.

Nachsatz: Nach einem “Mach doch in dem lustigen Bereich mal wieder was-das tut auch dir gut-Gespräch” mit einem Mitautor, habe ich nun in die Klamottenkiste gegriffen und diesen Text “ausgegraben”, mit beiden Hauptakteuren besprochen, was ich bringen darf und für eine Weile die Welt vergessen. Danke für den Schupfer!

Alle Fotos: Pixabay

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Angela Pargger

Angela erachtet Worte als das wichtigste Instrument menschlicher Kommunikation. Worte verbinden oder können hart trennen. Gefühle und Beobachtetes in Worte zu fassen, die zueinander passen und miteinander harmonieren, begeistert Angela seit Jahren. Schreiben ist eine wunderbare Möglichkeit, Erlebtes mit anderen Menschen zu teilen, Erfahrungen zu verarbeiten, sich zu positionieren, zu wehren und Dinge auf den Punkt zu bringen.

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