18. Oktober 2024
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Abschied von Monoj

Lesedauer ca. 4 Minuten

Es ist ziemlich genau 25 Jahre her, dass ich in der Bahnstraße neben dem alten ADEG gesessen bin und mir Bildbände aus Indien durchgeblättert habe. Petra und ich hatten den Plan gefasst für einige Monate nach Indien zu reisen, was lag also näher als Monoj Dutta um Ratschläge zu fragen.

Kennengelernt hatten wir uns schon gute 10 Jahre vorher. Wie jede:n Jugendliche:n in Inzing, sprach Monoj auch mich mit seinem echten Interesse an Kindern und Jugend an. Vermutlich wird er mich gefragt haben, ob ich schon der Sohn der Apothekerin sei. Er wusste eigentlich immer, zu wem die Kinder gehörten und fragte auf seine herzliche Art doch danach. Und wenn er es einmal nicht wusste, dann fragte er anders, ganz Tiroler: “Wem gehörst du denn?”.

Jedenfalls saßen wir da einige Monate vor unserer Reise, schon gut informiert und eingelesen, bei ihm in der Wohnung und erfragten nicht wirklich neue Dinge oder besondere Ratschläge. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann wird es wohl einerseits seine besondere Zurückhaltung gewesen sein. Andererseits war es wohl von uns auch naiv zu glauben, dass ein Inder alles über dieses riesige Land zu wissen hätte. In einem wesentlichen Punkt half uns Monoj aber doch sehr. Er stellte Kontakt mit Arka und Seemita her, die in Neu Delhi lebten. Monoj hätte gesagt, dass Seemita seine Nichte war, aber wahrscheinlich sind die Verwandtschaftsverhältnisse viel komplizierter. Wie er den Kontakt herstellte, kann ich nicht mehr sagen, aber Emails hat es damals für die breite Gesellschaft jedenfalls noch keine gegeben. Arka arbeitete bei Air India und hatte damit Zugang zum Flughafenbereich vor der Zollabfertigung und den Passkontrollen. Er holte uns also dort ab, noch vor einem Pulk an Menschen, vorwiegend Taxi- und Rikshafahrer. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich schwitzend im Winterpullover hinter Arka durch den Spalier an Menschen getrottet bin und froh war, dass ich mich dann in ein Auto setzen konnte und geschützt vor dem Unbekannten die ersten Eindrücke auf mich wirken lassen konnte. Arka, Seemita und ihre Tochter Hiya hatten uns dann einige Tage langsam an Indien herangeführt. Ein Glück, das ich jeder und jedem Reisenden wünsche.

Monoj mit Dr. Sil in seinem Heimatdorf Patla

Drei Jahre später flog ich wieder nach Indien, diesmal allein und diesmal holte mich Monoj vom Flughafen in Kalkutta ab. Er hatte mit Bernhard eine kleine Rundreise gemacht und es war vereinbart, dass wir uns bei anderen Verwandten in Kalkutta treffen und einige Tage gemeinsam dort sein sollten. Monoj hätte gesagt, bei seinem Onkel Dr. Sil, aber wahrscheinlich waren die Verwandtschaftsverhältnisse etwas komplizierter. Schon am nächsten Tag waren wir zu einer Brautschau eingeladen, die in einem großen Haus stattfand. Man wurde durch eine Vielzahl an Räumen durchgeschleust, in einem Zimmer saß schließlich der Bräutigam und einige Zimmer später dann die Braut. Zumindest in meiner Erinnerung war das so. An das anschließende Essen kann ich mich besser erinnern, dieses fand in einem riesigen Saal statt, wo alle Besucher:innen unweigerlich nach der Odyssee durch die Räume stranden mussten. Und jede:r wurde zum Essen eingeladen. Ich genoss es, auch den Salat, die ungeschälten Früchte, den Fisch und das heimische Leitungswasser, zumindest für den Moment.

Monoj blieb dann doch länger in Indien als ursprünglich geplant und wir besuchten gemeinsam unter anderem das Dorf, in dem sein Vater Landarzt gewesen war und er zu dem Zeitpunkt noch ein Haus und Felder besaß. Für die Dorfbewohner waren Bernhard und ich wohl die ersten Weißen, die sie zu Gesicht bekamen. Beim Chai vor einer Hütte zwickte mich ein Mann in den Arm, um festzustellen, dass meine Hautfarbe wirklich so bleich war. Und immer wieder Einladungen von seinen Verwandten. In meinem Reisetagebuch schrieb ich damals: “Ich muß mich immer noch über die fast verrückte Gastfreundschaft dieser Menschen wundern, es ist einfach unglaublich, zuerst ladet er [der Vater Seemitas] uns in ein teures Lokal ein, dann beschenkt er uns [einen Kerzenhalter aus Marmor] und zum Schluß bedankt er sich noch, daß wir seine Gäste sein durften, unglaublich.”

Monoj mit Verwandten in Kulti (?)

Viel Zeit, die ich im Februar 2001 mit Monoj verbringen durfte, viele schöne Erinnerungen an einzelne Episoden und noch heute ein tiefes Dankeschön an ihn. Denn ganz abgesehen von der erwähnten unglaublichen Gastfreundschaft, ohne Monoj hätte ich nur an der Oberfläche Indiens gekratzt, durch ihn durfte ich ländliches Indien abseits der großen Sehenswürdigkeiten kennenlernen. In meinem Reisetagebuch beschreibe ich den Abschied und letzten gemeinsamen Tag mit Monoj in Kalkutta. Am Vormittag hatten wir noch ein paar Kleinigkeiten erledigt, anschließend in einem noblen Lokal ein Bier getrunken. Dann hatten wir offensichtlich lange nach einem bestimmten Restaurant gesucht, in das Monoj mich unbedingt bringen wollte. Er begleitete mich noch zum Zug und “wie der Zug abfuhr, lief Monoj noch die längste Zeit mit, um mir zu winken. Ein wirklich und wahrhaftig herzlicher Abschied.”

Wiedergesehen haben wir uns dann in Inzing und seitdem eine Freundschaft gepflegt, die oft nur in zufälligen gemeinsamen Zugfahrten bestand, aber auch lange seine Fixpunkte hatte. Wie mein Geburtstag, wo er dann mit einem Alu Gobi (=Kartoffel/Karfiol-Curry) auftauchte, weil er wusste, dass das meine indische Lieblingsspeise war. Früher lud er auch öfter zum Essen zu sich ein, eine Runde von mehreren Leuten. Und hin und wieder ein Bier im Wintergarten oder die Bitte, ihm bei Computersachen zu helfen. Wobei Monoj sich zwar nicht scheute, um Hilfe zu fragen, aber immer auf so eine bescheidene Art, dass es einerseits dann in Vergessenheit geraten konnte und man es andererseits sehr gern machte. Wie man das halt für Freunde macht.

Wie ich letzte Woche von seinem Tod hörte, war ich zutiefst getroffen und schockiert. Und noch immer erwarte ich fast, am Bahnhof stehend, dass Monoj mit seiner Sporttasche kommt und wir zumindest die Zugfahrt haben zum Ratschen. Auch wenn ich als Atheist nicht daran glaube, ist es doch nachvollziehbar, wie tröstend der Gedanke an Reinkarnation ist. Oder ganz einfach: es verlässt uns jemand und jemand anderer kommt. In diesem Sinne: Mach’s gut, Monoj, ich werde dich vermissen, willkommen Hannah, ich freu mich, dir beim Wachsen zuzusehen!

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Michael Haupt

Michael nennt sich selbst gern Kulturarbeiter und macht das in verschiedenen Feldern, sowohl beruflich, als auch in seiner Freizeit. Letztlich geht es ihm dabei immer um die politische Dimension von Kultur. Um ihr Potenzial, die Gesellschaft vorwärts zu bringen, in dem sie Themen und Fragestellungen auf andere Art aufwirft. Das wird sich auch in seinen Artikeln für den Blog zeigen.

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Ein Gedanke zu “Abschied von Monoj

  1. Danke für diese Erinnerungen, ich kannte Monoj nur als treuen Besucher aller Kulturvereinsveranstaltungen und ein freundliches Gesicht, dem man im Dorf immer wieder begegnete. Die Traurigkeit, die mich bei der Nachricht von seinem Tod, erfasste, machte mir bewusst, wie sehr mich seine freundliche Präsenz, selbst aus gewisser Entfernung, begleitet und erfreut hatte.

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