20. April 2024
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Zahlen und Gedanken zu Corona in Tirol

Lesedauer ca. 6 Minuten

Da zu Beginn der Coronakrise keine eigenen Zahlen für Tirol zur Verfügung standen, begann ich damit, diese Zahlen aus den diversen Medienberichten zu kopieren und in eine Tabelle einzutragen. Inzwischen ist zwar mit dem Dashboard der Tiroler Landesregierung

https://experience.arcgis.com/experience/d225672c788d4847b231f1283d63aead

eine sehr gute Datenquelle vorhanden. Da ich aber in „meiner“ Tabelle ein paar zusätzliche Berechnungen durchführe, werde ich diese trotzdem auch weiterhin mit den Zahlen aus dem Dashboard füttern.

Ausgangslage

Folgende Zahlen werden von der Tiroler Landesregierung veröffentlicht:

Positiv: Es gab anfangs einige Verwirrung, da die Bundesregierung die positiven Testergebnisse dem Hauptwohnsitz zuordnet, das Land Tirol allerdings alle positiv getesteten Personen im Bundesland gezählt hat. Am 24.3. wurden auch auf Bundesebene die Tiroler Zahlen übernommen. Damit gibt dieser Wert alle jemals positiv getesteten Personen zum Zeitpunkt der Vorlage des Testergebnisses (warum dieser Zeitpunkt wichtig ist, werden wir später noch ergründen) im Bundesland Tirol an.

Aktiv Positiv: Dies sind jene Personen die nach einem positiven Testergebnis noch kein negatives Testergebnis erhalten haben.

Genesen: Jene Personen die im Gegensatz zu den „Aktiv Positiven“ nach dem positiven Testergebnis ein negatives Testergebnis erhalten haben.

Verstorben: Hierzu werden alle Verstorbenen gezählt, für die ein positives Testergebnis vor oder auch nach dem Tod vorliegt. Eine Unterscheidung ob mit oder an Corona verstorben wird meines Wissens in Tirol nicht durchgeführt.

Tests: Die Anzahl der in Tirol abgenommenen Proben, auch wenn dafür noch kein Testergebnis vorliegt. Die Zahl der noch in Auswertung befindlichen Testergebnisse liegt momentan (7.5.) bei ca. 2000 Tests. Dies ergibt sich dadurch, dass die Tests eine gewisse Zeit brauchen, bis sie im Labor ankommen, und auch der Verarbeitungsprozess im Labor benötigt mehrere Stunden.

Berechnungen

Folgende Daten werden aufgrund der vorhin genannten Zahlen berechnet:

Tests/Tag: Der Wert am Vortag wird einfach vom aktuellen Tageswert abgezogen. Hier kann der massive Ausbau der täglichen Tests zur Hochzeit der Infektionswelle auf ca. 2000 Tests beobachtet werden. Auch am Wochenende werden in Tirol etwas weniger Tests durchgeführt. Inzwischen hat sich die Anzahl der Tests pro Tag wieder auf unter 1000 eingependelt.

Reproduktionszahl: Dieser sehr häufig in den Medien genannte Wert gibt an, wie viele Personen ein Infizierter in weiterer Folge ansteckt. Einen guten Einstieg, wie diese Rate berechnet werden kann, gibt der Wikipedia-Artikel zum SIR-Model wieder: https://de.wikipedia.org/wiki/SIR-Modell. Wer etwas tiefer in die Berechnungsmethoden dieser Zahl in Österreich eintauchen will, dem sei dieser Artikel der TU Graz ans Herz gelegt:

https://www.ages.at/download/0/0/e03842347d92e5922e76993df9ac8e9b28635caa/fileadmin/AGES2015/Wissen-Aktuell/COVID19/Methoden_zur_Sch%C3%A4tzung_der_epi_Parameter.pdf

In meiner Tabelle beschränke ich mich für die Reproduktionszahl auf eine stark vereinfachte Berechnung. Diese geht von einer vom Robert Koch Institut beschriebenen Generationsdauer für Covid19 von 4 Tagen aus.

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/17_20.pdf?__blob=publicationFile

Dabei wird einfach die Zahl der Neuerkrankungen der letzten 4 Tage durch die Zahl der Neuerkrankungen der vorhergehenden 4 Tage dividiert. Um Tagesschwankungen auszugleichen, werden für die tatsächliche Berechnung immer die Durchschnittswerte der vorhergehenden Woche herangezogen. Unterschiede zu den von der TU Graz errechneten Werten sind auf die unterschiedlichen Durchrechnungszeiträume zurückzuführen. Die von der TU Graz errechneten Daten findet ihr auf der Ages-Seite:

https://www.ages.at/en/wissen-aktuell/publikationen/epidemiologische-parameter-des-covid19-ausbruchs-oesterreich-2020/

Steigerungsrate: Dieser Wert gibt die Steigerung der positiv getesteten (nicht der aktiv positiven) Personen an. Gerade in der Anfangszeit der Epidemie eine gute Kennzahl, um das exponentielle Wachstum der Erkrankungen zu erkennen. Sobald die Zahl der genesenen Personen wesentlich größer ist als die Zahl der aktiv positiven, geht deren Wert aber immer mehr gegen Null und die Reproduktionszahl ist ein besserer Indikator für das epidemische Verhalten.

Steigerungsrate Verstorbene: Da die vorhergehenden Parameter von der Anzahl der durchgeführten Tests bzw. der Dunkelziffer der Infizierten abhängen, ist eine besser quantifizierbare Zahl die Steigerungsrate der Verstorbenen. Diese ist allerdings immer mit einer relativ großen zeitlichen Verzögerung gegenüber der Infektion verbunden.

Um kleine Tagesspitzen aus den beiden vorher genannten Zahlen zu entfernen, wird meist der 4 Tagesschnitt verwendet. So werden einerseits große Tagesschwankungen ausgeglichen, andererseits findet nur eine Zeitverzögerung von 4 Tagen statt und die Werte geben halbwegs aktuelle Ereignisse wieder.

Tabelle

Hier findet ihr nun die Tabelle mit allen seit Beginn der Epidemie in Tirol eingetragenen Werten:

https://docs.google.com/spreadsheets/d/1q7qfmrLcl5sZNyAjFuRT62-EGhh7Werdr-8WMLhKC6k/edit#gid=0

Diskussion

Eine Interpretation der in der Tabelle ermittelten Kurven und Datensätzen.

Einen Anstieg der Infizierten zu Beginn der Epidemie findet ihr am Beginn der Kurve. Der sprunghafte Anstieg am 24.3. ist dabei dem massiven Ausbau der Testkapazitäten geschuldet. Am 1. April, genau 2 Wochen nach der Quarantäneverordnung für Tirol, ist der Peak an aktiv positiven Fällen erreicht und seitdem, mit einer kleinen Ausnahme Anfang April (zu dieser Zeit wurden die Quarantänegebiete Paznaun und Sölden nahezu flächendeckend getestet), ist dieser Wert beständig am Sinken. Die zeitliche Verzögerung von 2 Wochen, bis die Maßnahmen in den Zahlen sichtbar werden, liegt genau im prognostizierten Bereich. In anderen Ländern wie z.B. Deutschland wird nicht der Zeitpunkt der Testung angegeben, sondern es wird über das Nowcast System der geschätzte “tatsächliche“ Zeitpunkt der Infektion eingetragen (mit Fragebogen ermittelt). Hier eine gute Erklärung: https://corona.stat.uni-muenchen.de/nowcast/. Daher finden wir diese 2 Wochen Verzögerung in den deutschen Zahlen nicht und auch die unten angeführte Reproduktionszahl entspricht in Deutschland der Reproduktionszahl am tatsächlichen Tag.

Ihr könnt gut erkennen, dass die Steigerungsrate der Verstorbenen den Infizierten (zum Zeitpunkt, als das Testergebnis vorliegt) um 11-17 Tage hinterherhinkt. Doch wie schon oben beschrieben nähern sich die Steigerungsraten aufgrund der großen Anzahl an genesenen Fällen immer mehr dem Nullpunkt an.

Da wir bei den Infektionen seit Mitte April nur noch eine geringe Steigerungsrate verzeichnen, kann für diese erste Welle in Tirol die CFR-Zahl (case fatality rate = Todesfälle pro erkannten! Infizierten) annäherungsweise errechnet werden. Da wir mit Stand 11.5.2020 bei 3524 positiv getesteten in Tirol liegen, bedeuten die 107 Verstorbenen eine CFR von ca. 3%. Übrigens liegt die IFR-Zahl (infection fatality rate = Todesfälle pro wirklich Infizierten) niederer als dieser Wert. Die Sora Studie geht für Österreich davon aus, dass pro erkannten Infizierten zwei Infizierte nicht erkannt wurden (8900 zu 28500). Da in Tirol überproportional viele Tests durchgeführt wurden (20% der österreichischen Tests bei 10% der Bevölkerung), schätze ich die Zahl der nicht erkannten Infizierten in Tirol noch etwas geringer ein. Damit würde die IFR für Tirol über 1% betragen. Die Princess-Diamond-Corona-Studie:

https://www.eurosurveillance.org/content/10.2807/1560-7917.ES.2020.25.12.2000256

geht von einer IFR Zahl für Corona von 1.3% (0.38-3.6). Dies deckt sich also sehr gut mit unserer vorher berechneten Zahl.

Die Reproduktionszahl benötigt mit unserer Berechnungsmethode eine minimale Vorlaufzeit von 2 Wochen. Daher liegen erst mit 10. März verwertbare Zahlen vor. Ein sehr hoher Wert, bei dem 1 Infizierter 20 Personen ansteckt, deckt sich nicht mit der in der Literatur angegebenen Basisreproduktionszahl von 2-3.3 für Covid 19. Dieser Anfangs sehr hohe Wert dürfte eher darauf zurück zu führen sein, dass erst, als schon einige postiven Fälle vorlagen, die Anzahl der Testungen sukzessive erhöht wurden. Ein erstmaliges Unterschreiten der Basisreproduktionszahl von 1 am 2.April bedeutet, dass sich seit diesem Tag das Virus in der Tiroler Bevölkerung nicht mehr vermehrt ausbreitet und eine langsame Eindämmung stattfindet. Dies finden wir auch in der ersten Grafik mit dem erstmaligen Zeitpunkt, an dem die aktiven Fälle abnehmen, wieder. Solang dieser Wert weiterhin unter 1 gehalten werden kann, ist keine Steigerung der aktiv positiven Personen zu erwarten.

Vergleich

Hier noch ein paar Daten aus Tirol im internationalen Vergleich (Stand 11.5.).

Die weltweiten Daten könnt ihr euch von der Seite des European Centre for Disease Prevention and Control herunter laden:

https://www.ecdc.europa.eu/en/geographical-distribution-2019-ncov-cases

Da in vielen Ländern diese Zahlen weiterhin täglich stark ansteigen und auch die Meldesysteme große Unterschiede aufweisen, ist eine abschließende Betrachtung aus heutiger Sicht nicht möglich. Diese Zahlen können uns also nur erste Hinweise liefern:

LandEinwohnerInfizierteVerstorbeneCFR%MR/100.000
Tirol75470535241073,0414,2
Österreich8859449158456203,917,0
USA3326391021347881806825,9924,3
Spanien500157922274362674411,7653,5
Italien624026592198143073913,9849,3
Frankreich678481561775472664615,0139,3
UK657611172243323214114,3348,9
Deutschland8015966217257676614,449,6
Iran8492331410928666856,127,9
China13940159778401146375,520,3
Niederlande1728039742987547512,7431,7
Schweiz84039943034418456,0822,0
Schweden1020249126670325612,2131,9
Japan125507472158476333,990,5
Südkorea51835110109362582,360,5

Die CFR-Zahl in Tirol wird nur von einer sehr niederen CFR-Zahl in Südkorea unterboten. Dies deutet einerseits auf eine sehr geringe Dunkelziffer an Infizierten hin, andererseits können sehr hohe CFR Zahlen wie in Frankreich, Italien, Schweden, Spanien und dem UK einen Hinweis darauf geben, dass nicht alle Covid 19 Patienten aufgrund der Überlastung des Gesundheitssystems eine intensivmedizinische Behandlung erhalten. Die Mortalitätsrate (MR/100.000) gibt an, wie viele Menschen pro 100.000 Einwohner an Covid 19 verstorben sind. Sie ist ein Indiz dafür, wie stark ein Land von der Seuche bisher betroffen war. Da Tirol hier der Hotspot in Österreich war, ist eine hohe Rate gegenüber Gesamtösterreich gegeben. Doch im Ländervergleich bleibt auch Tirol niederer als die am stärksten betroffenen Staaten. Daten zu besonders betroffenen Regionen wie der Lombardei sind leider nicht öffentlich einsehbar, liegen aber um ein Vielfaches höher als die gesamtstaatlichen Zahlen.

Text, alle Diagramme und Tabellen: Simon Pfandler

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Simon Pfandler

Simon betreibt bereits seit längerer Zeit einen Blog www.steilwaende.at, auf diesem berichtet er hauptsächlich über seine Schi- und Bergtouren. In Zukunft wird uns Simon die heimische Bergwelt näher bringen.

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2 Gedanken zu “Zahlen und Gedanken zu Corona in Tirol

  1. Vielen Dank für diese tolle Arbeit, die Du Dir da gemacht hast und mit uns teilst.
    Was mir aufgefallen ist, wäre unter Verstorbenen sagst du, dass alle zählen bei denen vor oder nach dem Tod COVID-19 festgestellt wurde. Auf der Seite des Ministeriums steht aber:
    “(1) Jede verstorbene Person, die zuvor COVID-positiv getestet wurde, wird in der Statistik als „COVID-Tote/r“ geführt, unabhängig davon, ob sie direkt an den Folgen der Viruserkrankung selbst oder „mit dem Virus“ (an einer potentiell anderen Todesursache) verstorben ist.”
    … also NUR, wenn es VOR dem Tod festgestellt wurde. (Wird wohl nicht viele Fälle betreffen.)
    Die Anfangs sehr hohe Reproduktionszahl (Verdoppelung in weniger als 3 Tagen) scheint mir eine logische Folge der Definition wann getestet wird. Es hieß da in den Vorgaben:
    “Getestet wird wer Symptome zeigt UND entweder kurz zuvor in einem Risikogebiet war (damals nur Teile Italiens, die Region um Madrid und Hubei) oder Kontakt zu einer positiv getesteten Person hatte.”
    Ein hoher Prozentsatz zeigt keine oder nur geringe Symptome und fällt somit heraus. Kontakt zu einer positiv getesteten Person kann man nicht haben so lange niemand getestet wird. So konnte sich das Virus ungehindert ausbreiten, bis zufällig die erste Person mit Symptomen aus einem Risikogebiet kam. Von da an gab es dann auch eher Kontakte und so wurde immer mehr getestet und auch viele “neue” Erkrankte gefunden. Man hat also eigentlich an jedem Tag viele Fälle entdeckt, die schon seit längerem anstanden.
    Ein deutlicher Rückgang im laufe der folgenden Wochen war also zu erwarten. So deutlich wie es jetzt ist dürfte es natürlich auch wegen der getroffenen Maßnahmen sein und es gibt nur wenige Staaten, die es bisher so gut wie wir hier überstanden haben. Wollen wir hoffen, dass es so weiter geht.
    Gruß
    Robert

    1. Hallo Robert
      Danke für deine Rückmeldung. Es freut mich, wenn der doch etwas sperrige Artikel gelesen wird, ganz besonders freut es mich, wenn er auch noch so aufmerksam gelesen wird!
      Bei den Verstorbenen habe ich mich wohl falsch ausgedrückt. Ich meinte damit Personen die getestet werden, dann versterben und dann erst die Testauswertung über ein positives Ergebnis vorliegt. Die werden meines Wissens auch dazu gezählt. Aber wie du schreibst. das wird nicht viele Personen betreffen.
      Ja du hast recht, die Reproduktionszahl hängt sehr stark von den Testkriterien ab. Ein Wechsel der Kriterien hat sehr häufig unverhältnismäßige Sprünge zur Folge. Du musst aber auch bedenken, dass die Zahlen aus denen sie berechnet wird bis zu 15 Tage alt sind (4 Tage verglichen mit den 4 vorherigen Tagen und dann noch jeweils ein 7 Tagesschnitt). Wir erreichen eine “realistische” Reproduktionszahl von 3 am 16.3. Die extrem hohen Werte davor haben also ihren Ursprung auch in den Anfangstagen der Epidemie in Tirol, ganz am Beginn der Testungen. Glaube die Kriterienänderung war erst um den 16.März, kann mich aber nicht mehr an das genaue Datum erinnern. Beide Faktoren gemeinsam erklären aber gut warum die Zahlen am Beginn so hoch liegen.
      Deinem Schlusssatz ist nichts mehr hinzuzufügen.
      Gruaß
      Simon

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