17. Dezember 2025
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You are amazing – Ein Herz voll Mut und Farben

Lesedauer ca. 4 Minuten

An einem der ersten Schneetage im November stapfe ich hinauf zur Inzinger Mittelschule; es ist kalt und ungemütlich. An meiner linken Schulter baumelt schwer die Kamera. Bei dickflockigem Schneetreiben schlage ich den Weg über den Parkplatz Richtung Haupteingang ein. Nun folgt die schmale Pflasterung. Ich nehme aber nicht die Treppen zum Eingang hinauf, sondern gehe weiter geradeaus. Die Wand unterhalb der Treppe, direkt einem großen Werkraum gegenüber, strahlt farbenfroh in das müde Wintergrau. „You are amazing“ steht in großen Lettern umrahmt von gelben Sternen auf einem harmonisch bunten Hintergrund geschrieben; lebensgroße Schattenrisse in verschiedenen Posen schweben wie lebendige Scherenschnitte fast tanzend über die facettenreich leuchtende Fläche. Während rasche Schneeflocken vor die Kameralinse fallen, mache ich ein paar Fotos.

Die Mädchen, die das Wandbild, den wunderbaren Farbenbogen mutmachender Botschaft, an die graue Fläche gezaubert haben, erwarten mich bereits im ersten Stock der Mittelschule zusammen mit ihrer Lehrerin Monika März, die in der Klasse auch Kunst unterrichtet. Als Klassenvorständin begleitet Frau März die Mädchen Fabienne, Aylin, Anna, Emma, Linda und Annabell bereits das vierte Schuljahr. Frau März und ihre Mädchen das ist ein herzliches Miteinander, ein harmonisches Selbstverständnis auf Augenhöhe, ein respektvoller Zusammenhalt. Diese Gemeinschaftspower spürt man im Wandbild, auf dem einem die Botschaft lebendig-lebhaft entgegen tanzt.

Wie ist die Idee zum Wandbild entstanden? „Der Blick richtete sich immer auf diese graue Wand, wenn wir im Werkraum waren.“, antwortet Monika März und erzählt: „Ich überlegte deshalb, wie man den Beton verschönern könnte. Zusammen mit meinen Mädels habe ich nachgedacht, Farben besorgt und das Projekt gemeinsam entwickelt. Zuerst entstand der Hintergrund; wir wollten ihn sehr farbenfroh gestalten. Und die Figuren? Das könnt ihr erzählen, wie wir die Figuren gemacht haben“, fordert Frau März die Mädchen auf. Begeistert steigt gleich die erste ein: „Wir haben die Anna als Vorlage genommen.“ – „Ja, weil ich die richtige Größe habe“, wirft Anna lachend ein. „Annas Umrisse wurden auf ein großes Papier gezeichnet, in verschiedenen Posen als Figuren in Bewegung. Die Umrisse wurden ausgeschnitten und dann auf die Wand übertragen. So entsteht der Eindruck, als seien die Figuren lebendig“, erzählt die lebhafte Gruppe.

„Und was wollten wir ausdrücken?“, leitet Frau März die Mädchen an, und prompt erscheint ein leuchtendes Strahlen auf den Gesichtern der jungen Frauen. Begeistert schwingt ein einhelliges „You are amazing!“ durch den Raum.

Die Künstlerinnen haben gemeinsam einen Ausdruck für etwas Wunderbares und gleichzeitig sehr Herausforderndes gefunden. Der Schriftzug drückt Vielfalt aus, schließt so viel mit ein, was junge Menschen heute beschäftigt, was sie mittels Social Media ständig bei sich tragen, wodurch sie einem ständigen Update und permanenter Selbstoptimierung unterworfen sind. Es sind nicht nur die Beauty-Standards, von denen eines der Mädchen erzählt, mit denen man sich auseinandersetzen muss, wegen derer man sich im Vergleich eh immer schlecht fühlt. Es sind auch die Themen Grenzüberschreitungen und Mobbing, mit denen sich Mädchen und Jungs stark konfrontiert sehen und denen sie einfach ausgesetzt sind. All diese Erfahrungen beeinflussen Talent, Können und Selbstbewusstsein nachhaltig negativ. Einen Farbblocker dagegen hält das Wandbild.

Als reines Mädchenprojekt ist es außerdem geradezu dazu prädestiniert, mit üblichen Rollenzuweisungen zu brechen. Eine der Figuren ist eine Fußballerin; diese Welt des Sports zu erobern, ist über die Jahrzehnte hinweg gelungen und wird inzwischen … ja, was?! … stelle ich mir die Frage … als Selbstverständlichkeit akzeptiert?! Ein leises „Jein!“ druckst in meinem Kopf herum. „Mädchen- und Frauenarbeit scheint wieder komplett neu auf dem Plan zu stehen, mit einem Drängen, das ich früher so nicht gespürt habe“, sage ich. „Ja!“, antwortet eines der Mädchen nachdenklich. „Männer sind schon sehr präsent und werden es immer mehr“, sagt sie ruhig und ernst.

Diese Belastung ist spürbar. Täglich. Für viele Frauen. Jeden Alters. Es ist die Art und Weise, wie Mädchen und Frauen von Männern gesehen werden, auch wie sie ihre Sicht als deutlich wichtiger und richtiger markieren, Machtpositionen missbrauchen und der Welt den männlich dominanten Fokus verpassen. Genau an dieser Schraube gilt es zu drehen – nur einfach ist das nicht.

Aber Frau März weiß: „Ich habe starke Mädchen in der Klasse! Ich möchte sie voranbringen, ihnen ihre Rolle bewusst machen, wie wichtig es ist, einen guten Beruf zu erlernen, zu kämpfen für eine gerechte Bezahlung. Das möchte ich ganz gezielt unterstützen und sie in diesen Belangen fördern, damit sie als Frau – und vielleicht auch als Mutter – gute Beziehungen führen, ihr Leben selbstbewusst gestalten und ihre Frau im Leben stehen können.“

Ist das etwas, das Frau März und ihre Mädchen auch den Mädchen und Frauen aus dem Dorf mitgeben wollen? „Ja!“, sagen alle wie aus einem Mund. Es ist wichtig, Frauen in Führungspositionen, auch im Gemeinderat, zu haben, um von dort etwas bewegen zu können. Darüber ist sich die Gruppe einig. „Verantwortung!“, benennt Frau März das Stichwort. „Wir werden auch im Dorf angesprochen“, erzählt eines der Mädchen, „hauptsächlich von Frauen der älteren Generation.“ Mädchen- und Frauenarbeit in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, ist Frau März und ihren Mädchen also gelungen.

„Was empfindet ihr, wenn ihr wahrnehmt, dass ihr da etwas Bleibendes geschaffen habt  und wenn ihr euch das Wandbild anseht?“, frage ich die Gruppe. „Freude!“, sagen alle zugleich und das Wort macht das Herz auf. Es öffnet den Verstand hin zu dem unbeschwerten Mut, hin zu der Unerschrockenheit und der Selbstverständlichkeit, die sie verinnerlicht haben.

Frau März und ihre Mädchen haben mit ihrem Wandbild gleichzeitig etwas wiederbelebt und sie haben bleibende Erinnerung geschaffen: eine Erinnerung daran, dass im Leben der Mut nicht immer einfach von alleine wächst, dass er Unterstützung braucht, dass wir alle immer wieder einmal hören sollten:

„You are amazing. – Du bist gut, so wie Du bist!“

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Angela Pargger

Angela erachtet Worte als das wichtigste Instrument menschlicher Kommunikation. Worte verbinden oder können hart trennen. Gefühle und Beobachtetes in Worte zu fassen, die zueinander passen und miteinander harmonieren, begeistert Angela seit Jahren. Schreiben ist eine wunderbare Möglichkeit, Erlebtes mit anderen Menschen zu teilen, Erfahrungen zu verarbeiten, sich zu positionieren, zu wehren und Dinge auf den Punkt zu bringen.

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2 Gedanken zu “You are amazing – Ein Herz voll Mut und Farben

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