19. September 2024
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Grüner Schnee

Lesedauer ca. 6 Minuten

Nicht so gut kommen Tirols Touristiker im bekannten Satireklassiker „Piefke Sage“ weg. Alles wird dem Profit untergeordnet. Keine Rücksicht auf die Leute, keine Rücksicht auf die Natur?

Aber ist das wirklich so – wenn man den Mega-Trend Nachhaltigkeit des Jahres 2024 bedenkt? Das älteste Tourismusgesetz der Welt; mehr als 6 Milliarden Euro an Wertschöpfung, den Tourist:innen ins Bundesland tragen (Stand 2022/ 2023): Fakt ist, Tirol lebt von und mit dem Tourismus und das gefühlt seit immer. Angesichts neuer Nachhaltigkeitsbestrebungen stellt sich aber die Frage: Wie lange noch? DATUM-Autorin Sarah Kröll hat mit Personen gesprochen, die an der grünen Transformation mitwirken: Mit Reisebloggerinnen, Hoteliers, Nachhaltigkeitsbeauftragten und Politiker:innen. Sie alle wissen: Will man den fragwürdigen Ruf (Stichwort Ischgl) loswerden, gibt es so einiges zu tun.

Wirklich bereitwillig geben die meisten nicht Auskunft, die sich in Tirols Tourismusverbänden mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Das liege keinesfalls daran, dass das Thema schon überpräsent sei, wie betont wird. Sondern an der Sorge, etwas Falsches zu sagen. Tirols Touristiker:innen sind vorsichtig geworden. Ein veritabler Shitstorm lässt nicht auf sich warten, aus dem zweifelhaften Ruhm nach den Pandemie-Superspreader-Erfahrungen hat man gelernt. Was ist nun die Aufgabe der Tourismusverbände? Die Nachhaltigkeitsmanager:innen betonen allesamt, dass ihnen die Wichtigkeit des Themas bewusst sei. Zumal diese gerade erst zwangsbeglückt worden: Das Landesgesetze verpflichtet Tourismusverbände seit letztem Jahr, eine/n oder mehrere Nachhaltigkeitskoordinator:innen zu beschäftigen. Übernahmen dies zuvor Marketingmanager:innen eher unwillig, ist es nun zur strategischen Hauptaufgabe geworden. Stellen in dem Bereich werden derzeit massenhaft ausgeschrieben. Zudem hat der Verband der Tiroler Tourismusverbände kürzlich eine Ausbildung für 40 Nachhaltigkeitskoordinator:innen abgeschlossen. Aus allen 34 Tourismusverbänden des Landes gibt es nun also Personen, die sich mit der Thematik hauptberuflich befassen und dabei auf eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung stützen können.

Einer von ihnen ist Raphael Chrysochoidis. Der junge Tiroler ist für die Nachhaltigketisagenden der Region Seefeld zuständig, bekannt als zweimaliger Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1964 und 1976 (gemeinsam mit Innsbruck). Seine Aufgabe bestehe weniger darin, die Nachhaltigkeit in der Region voranzutreiben. Er sieht sich als Helfer und Ideengeber. Nicht er, sondern alle anderen handelnden Akteur:innen – von Hoteliers, Gastronom:innen, Liftbetreiber:innen bis zum Dorfbürgermeister – sollen nachhaltig agieren. „Große Worte schwingen die meisten ja gerade. Das reicht schon lang nicht mehr. Nachhaltigkeit lässt sich in Zahlen knallhart messen. Green Washing wird abgestraft. Man muss ins Tun kommen“, sagt Chrysochoidis.

Jemand, der schon lang ins Tun gekommen ist, ist das Hotel Lisetta im sonnigen Dorf Tirol in Südtirols Süden. Die Hoteliersfamilie hat sich dem Umweltengagement verschrieben. Dazu zählt nicht nur die Verwendung rein regionaler und biologischer Lebensmittel in der Hotelküche oder das Vermeiden von Einwegartikeln. Das werde von den Gästen mittlerweile vorausgesetzt, meint der Hotelbesitzer. Man sei einen Schritt weitergegangen. Das unabhängige Gütesiegel greensign.de macht dieses Streben sichtbar. Es zeichnete das Lisetta aus, das auf tägliche Zimmerreinigung verzichtet, Maßnahmen zur Mitarbeiter:innen-Bindung und Weiterbildung setzt und Gästen Rabatte gewährt, die umweltfreundlich an- und abreisen.

Eine Vielfalt an Maßnahmen, die gesetzt werden können – davon kann auch das Bio Hotel Leutascherhof von Eveline und Christian Wandl in der Region Seefeld erzählen. Dieses trägt die Bezeichnung Plateau Pionier – mit Stolz. Bei sehr wenigen Betrieben ist der Umwelt- und Nachhaltigkeitsgedanke so manifest und seit langem in der Hotelgeschichte verwurzelt wie hier. „Er ist nicht das Sahnehäubchen, sondern der Grundsatz unseres täglichen Handelns“, sagt Gastgeber Christian Wandl. 2022 gründeten Hoteliers in Tirol die Plateau Pioniere – ein Zusammenschluss von Häusern, die sich als Vorbilder im Engagement sehen. Da federführend mitzuwirken, war für Wandl selbstverständlich. „Zum Weg eines nachhaltigen Tourismus in der Region gibt es für uns schon lange keine Alternative mehr“. Wandl ist stolz auf seine Arbeit und vor allem auf die Verleihung des Österreichischen Umweltzeichens und des EU Ecolabels für Betriebe im Juni 2023.

Am Seefelder Plateau auf 1.200 Höhenmeter gibt es nicht nur die Plateau Pioniere. Hier – einem der wirtschaftlich bedeutsamsten Tourismuszentren Österreichs – hält man große Stücke auf sich. Die Region bekam als eine der ersten überhaupt das Österreichische Umweltzeichen als Gesamtregion verliehen. Raphael Chrysochoidis vom Tourismusverband beschäftigt sich gemeinsam mit politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger:innen damit, den öffentlichen Verkehr auszubauen oder den Ganzjahrestourismus anzukurbeln. In Zahlen: Der größte CO2 Emittent im Tourismus ist die Mobilität. An- und Abreise der Gäste belaufen sich auf 75 Prozent der gesamten Emissionen. Das heißt, ein wichtiger Faktor ist, Alternativen zum Auto zu finden, wobei die berühmte letzte Meile – bis zur endgültigen Destination – das größte Problem darstellt. Chryosochoidis ist das ein Anliegen. Gerade arbeitet er mit VVT (Verkehrsverbund Tirol) und ÖBB sowie den Bürgermeister:innen der Plateau-Gemeinden daran, mit attraktiven Angeboten die Gäste (hauptsächlich aus Deutschland und den Niederlanden) in Bus und Bahn zu locken. Das Auto soll „mühsam“ werden; gerade in Hinblick auf die steigende Verkehrsbelastung über die Haupttransitrouten Tirols kann man das nachvollziehen. Einheimische wie Gäste leider unter den stundenlangen Kolonnen. Im Sommer 2024 reagierte die Tiroler Landesregierung damit, Abfahrverbote auf bestimmten Strecken einzuführen. Das bedeutet, Gäste, die nicht explizit in einer der Gemeinden rund um Seefeld urlauben, sondern bis nach Italien durchreisen (und vice versa) dürfen von Autobahnen nicht auf die Wege durch die kleinen Dörfer abweichen. Eigens ausgebildete Strassenaufsichtsbehörden prüfen dies und es werden durchaus saftige Sanktionen verhängt. Für Raphael Chrysochoidis ist diese bei Urlauber:innen naturgemäß unpopuläre Maßnahme notwendig. Sie zeigt, dass der Verkehr im Urlaubsland Tirol nicht nur die meisten umweltschädlichen Folgen nach sich zieht, sondern auch bei den Einheimischen ein wundes Thema ist.

Dieses dringliche Thema, die Mobilität, wird in vielen Studien als das am schwierigsten zu behandelnde genannt. Es benötigt eine Menge Zeit, ein neues Mobilitätskonzept zu erarbeiten. Der Faktor Zeit und der Faktor Geld – dass es mit diesen beiden steht und fällt erlebt nicht nur Raphael Chrysochoidis aus Seefeld in der täglichen Arbeit.

Ein Schwenk über Tirol hinaus: Im Jahr 2050 wird der Tourismus nachhaltig sein oder er wird nicht mehr existieren: Eine radikale Aussage, die die Reisebloggerin mit Künstlerin:name Jill on Journey tätigt. Die deutsche Influencerin mit rund 1.200 Follower:innen auf instagram hat eine Mission. Sie macht sich die Macht des Internets zu nutze, um auf ihr Herzensthema nachhaltiges Reisen aufmerksam zu machen. Und ist dabei ähnlich den Tiroler Tourismusbeauftragten schon so manches Mal auf Widerstand gestoßen.

Ein „basic“, wie Jill es nennt, ist auf Reisen das eigene Müllmanagement. Vielen sei die schiere Menge an Abfall, die sie produzieren, im Urlaub nicht bewusst beziehungsweise ein zu unpopuläres Thema, als das man sich damit nun auseinandersetzen möchte. Und dabei sei schon viel getan, wenn man Glastrinkflasche und Jutebeutel anstatt Plastikprodukten dabei hätte. Aber wie Jill auf einer kürzlichen Reise durch Albanien feststellen musste, ist es nutzlos, als Einzelne etwas der Flut aus Plastik entgegensetzen zu wollen, wenn das Land der Wahl über kein funktionierendes Abfallsystem und keine Politik, die sich des Themas annimmt, verfügt.

Jill hat daraus gelernt, sich von negativen Erfahrungen nicht entmutigen zu lassen. Zum Teil fällt es ihr schwer, sich an ihre eigenen Vorgaben – niemals fliegen, keine tierischen Produkte konsumieren – zu halten, wenn sie weiß, die Mehrheit der Menschen ist noch nicht auf diesen Weg aufgesprungen. Wobei gerade die junge Bloggerin betont, sie sei sich ihrer privilegierten Position sehr bewusst. Jill macht es keine Umstände, sich mehrere Tage für Reisen zunehmen, nur um ein Flugzeug zu meiden. Ganz abgesehen davon, dass die nachhaltige Wahl meist die teurere ist – noch immer. Sozial schwächer gestellte Personen haben diese Wahlfreiheit somit meist nicht.

Das meiste Gute scheitert somit am Geld. Dem stimmen die Mitarbeiter:innen der „Innsbruck Info“ ebenso zu wie Klaus Wandl vom Leutascherhof. Die Innsbruck Info ist als zentrale Marketingeinrichtung der Stadt erster Ansprechpartner zum Thema und hat einen besonderen Draht zur Politik. Wie lässt sich dies also lösen? Man könne nicht jegliche Verantwortung auf die einzelnen Urlauber:innen abwälzen. Die Gesprächspartner kritisieren, dass Gäste im Dschungel vieler undurchsichtiger Nachhaltigkeits-Siegel schnell überfordert sind. Weitere Baustellen: Bei der Verpflegung muss noch viel geschehen. Die meisten Restaurants arbeiten nicht mit biologischen oder regionalen Produkten. Und jene, die dies tun, wie das Team von Leutascherhof, machen es meist völlig abseits der Öffentlichkeit. Das heißt, Nachhaltigkeitsbestrebungen müssen Teil der Strategie und der Kommunikation der Unternehmen werden, sagen Jill und Herr Wandl – natürlich nur, wenn diese echt gemeint und überprüfbar sind – Stichwort Green Washing. Viele hätten Angst, etwas Falsches zu sagen oder falsch zu machen, wenn sie sich das erste Mal mit dem Thema auseinandersetzen, meint Wandl. Deshalb sind die wenigen Betriebe, die wirkliche Anstrengungen setzen, auch so wichtig als Vorbilder. Die Tiroler Tourismusverbände wollen solche Vorbilder aktiv fördern und vor den Vorhang holen und auch die Bloggerin Jill empfiehlt eine sehr exklusive Wahl an Reiseveranstalter:innen, Hotels und Lokalen.

Die Politik müsste hier ansetzen. Hohe Kosten, wenig Rechtssicherheit, keine alternativen Mobilitätsformen: Das sind alles Punkte, die sich durchaus auf gesetzlicher Ebene regeln lassen. Beispielsweise ging die EU mit der sogenannten „Green Claims Directive“ einen wichtigen Schritt. Die Nachhaltigkeits-Werbung wird damit strenger kontrolliert. Schwarze Schafe unter den Unternehmen werden sanktioniert. Best Practices sollen belohnt werden. Die Familie Wandl vom Leutascherhof ist ein gutes Beispiel: Hier baut man das Marketing bereits ganz auf die Nachhaltigkeit als Alleinstellungsmerkmal auf. Aber es gibt weitere politische Möglichkeiten, die Dinge voran zu bringen. So müsse es nicht nur gezielte Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien oder des öffentlichen Verkehrs geben. Die Tiroler Tourismuslandschaft ist von kleinen, familiengeführten Betrieben geprägt. Diese gezielt bei der Umrüstung zu unterstützen wäre eine wichtige Maßnahme, die wenn politisch gewollt, enorm viel bringen könne, betonen die Nachhaltigkeitskoordinator:innen.

Ein Fazit: Es ist ein wohlüberlegter Mix an Hebeln, die getätigt werden und Schritten, die getan werden müssen. Einzelne Urlaubshungrige, Hotels und Touristiker:innen sind ebenso wenig aus der Verantwortung zu nehmen wie politische Entscheidungsträger:innen. Will man in ein paar Jahren noch ein Geschäft mit dem Tourismus machen – in Tirol und darüber hinaus, gilt es jetzt umzudenken.

Gerade die Tiroler:innen täten gut daran, ihren Pioniergeist wieder aufzunehmen, immerhin gehört die Region zu den ältesten Tourismushotspots der Welt. Dem negativen Image, von Profitgeilheit und Massenabfertigung, von Piefke Sage bis Corona Spreader, wäre damit auch entgegengewirkt. Es braucht zielgerichtete Kommunikation, spürbare finanzielle Förderung und politische Vorgaben. Das ist der Weg zum Ziel, das alle erreichen wollen – die Reisebloggerin, der Tourismuskoordinator und die Hoteliers: Nachhaltig unterwegs. Denn Reisen an sich ist immer noch das Schönste, nicht wahr?  

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2 Gedanken zu “Grüner Schnee

  1. Hi, Sarah!
    Mobility, yes. Greenwashing, yes. Perhaps we need Felix Mitterer to write a new ‘Piefke Saga’?
    Tyrol Tourism also needs to focus on cultural tourism: quality offers for English-speaking guests, like ‘In the footsteps of D.H. Lawrence in the Zillertal: August-September, 1912’, ‘Ski-touring with Ernest Hemingway from Galtuer, 1923 & 24’, ‘Tracing Thomas Cook in the Zillertal and on the Arlberg in the 1870s’, ‘Following Sigmund’s wife Eleanor of Scotland in Seefeld and Stams in the mid-15th.c.’

    Not cheap tourist offers, but quality travel projects. Appealing to rich retired people. They have the money.

    We’re offering the Gemeinde in Inzing to do an English translation of the dozen or so ‘Themenweg’ panels. Inzing is an international community: some 54 different nations are represented here. English is a lingua franca!

    Andrew Milne-Skinner

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