18. Januar 2025
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Wir brauchen mehr Licht

Foto: Monika Osl
Lesedauer ca. 5 Minuten

In stockdunkler Nacht ohne eigene Lichtquelle unterwegs – wie schnell verliert man dabei die Orientierung. Welche Erlösung ist da jede noch so kleine Lichtquelle, die Richtung und Ankommen verspricht. Menschen in Not erleben dies Tag und Nacht. Die laute, blendende, oberflächliche Welt der Ansehnlichen, Erfolgreichen und Belustigten hat wenig Gespür für die Leisen, Verängstigten, Unsicheren, Verstummten, Umnachteten. Bertold Brecht hat es so umschrieben: „Denn die einen sind im Dunkeln und die anderen sind im Licht. Und man sieht die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Daran ändern lobenswerte Aktionen wie „Licht ins Dunkel“ schon einiges – aber bei weitem nicht für alle. Ich denke an die zunehmend Vereinsamten, psychisch oder dementiell Erkrankten, beschämten Verschuldeten, Verlassenen, Heimatlosen.

Wir feierten in den letzten Tagen den Geburtstag eines jüdischen Kindes, das vor über 2000 Jahren zur Welt gekommen und später als Wanderprediger zum „Licht der Welt“ geworden war. Einer, der ein achtsames Auge auf die Ausgestoßenen, Erbärmlichen und Beschämten hatte. Einer, der sie vorurteilsfrei in die Mitte holte, sich frei von Ekel und Abscheu berühren ließ, ja zum Heiler und Erwecker der Selbstheilungskräfte wurde. Aber auch einer, der sich schützend vor die Armen stellte, was ihn zum Opfer eines politischen Mordes machte. Sein lichtvolles Echo überdauerte alle Zeiten politischer und religiöser Vereinnahmung.  Bis zum heutigen Tag setzt er Impulse für einen Perspektivenwechsel. Zum einen für unzählige soziale Initiativen rund um den Erdball und zum anderen in Form einer Einladung, Ausstiege aus den vereinnahmenden Lärmpegeln und Lichterketten einer verzweckten und konsumorientierten Welt zu wagen.

Perspektivenwechsel

Wir leben in einer Zeitenwende. Die unzähligen Schreckensbilder und sorgenvollen Nachrichten, die tagtäglich auf uns niederprasseln, brauchen Ausgleich. Zum einen durch einen Sichtwechsel hin zum Guten, Solidarischen, ja Liebevollen und durch das Säen und Ernten lichtvoller Gedanken, Töne, Bilder. Die Sehnsucht nach dem Licht war immer wieder Anstoß künstlerischen Schaffens. Es ist nicht jeder und jedem gegeben, zu Pinsel und Instrument zu greifen.  Wir alle haben die Möglichkeit, unseren Blick auf das Schöne, vielleicht sogar Unscheinbare zu lenken. Die Natur ist eine unendliche Galerie lichtvoller Eindrücke. Sie eröffnet uns die Schönheit, die vor unseren Türen auf uns wartet.

Nachdem Monika Osl und ich die letzten 3 Jahre das Buch „Lichtung“ und das Kunstkartenset „Lichtquellen“ herausgegeben hatten, ergänzten wir den Zyklus vor kurzem gemeinsam mit Toni Osl mit einem besonderen Jahresbegleiter – das „Lichtjahr“. 26 hochwertige Bildkarten mit Motiven aus der Natur, ein Meditationsbüchlein und ein Ton-Album mit Texten und Melodien. Alles verpackt in Tiroler Schafwolle, gefertigt vom „Abrakadabra“ – ein Arbeitsprojekt für Drogenkranke der Tiroler Caritas.

Ich hab dazu 4 Kurztexte zu den 4 Jahreszeiten geschrieben – im Paket mit entsprechenden Fotomotiven, die ich hier auszugsweise anhänge:

Frühling

Foto: Toni Osl

Es ist Zeit, die Unerträglichkeit des Wartens und Verharrens aufzubrechen. Die Sehnsucht zur Welt zu kommen, sich dem Licht entgegenzustrecken, sich zeigen zu dürfen – mit allem was sich in uns gesammelt, ja aufgestaut hat – dafür ist jetzt die Zeit. Die Knospe bricht, gleich einem Echo des universellen Urknalls. Die unaufhörliche Ekstase der Schöpfung kennt keine Grenzen. Der Welt blüht Schönes. Du bist ein Teil dessen – unverwechselbar, unverzichtbar. Du bist ein Lichtstrahl – bestimmt zu leuchten.

Sommer

Foto: Monika Osl

Die Schutzschichten, die wir uns zeitlebens zugelegt, unsere Verletzungen verhüllt und uns an das „so gehört es sich“ angepasst haben – in einem revolutionären Befreiungsakt ablegen. Unser Eigentliches mutig und ohne auferlegte Hemmungen zeigen. Mach dich nackig und strahle!  Keine Finsternis kann sich vor dem Licht schützen. Die Welt ist voller Sonnen. Du bist eine davon. Dein Wärmestrom lässt Früchte reifen. Du bist eine ZuMUTung im besten Sinne.

Herbst

Foto: Toni Osl

Es ist etwas faul, wenn wir das Schlechte ins Regal stellen. Gesäubert vom unvermeidlichen Schmutz lasst uns das Gute bewahren. Nicht alles, was wir ernten ist unser Verdienst; nicht alles was zugrunde gegangen ist, unsere Schuld. Was bleibt erstrahlt in Dankbarkeit. Wir wollen nicht weiter von der Hand in den Mund leben und legen Vorrat an. Vorräte glauben an das Morgen und nehmen der Sorge die Angst. Jetzt ist die Zeit, das Schöne und Fruchtbare zu kosten und zu feiern.

Winter

Foto: Toni Osl

Vertrauensvoll ruhen. Freudvolle Ahnung, dass unter der Oberfläche der Frühling reift, sich das flockige Wasser für künftige Durststrecken sammelt. Eigensinnig sich der Muße und Sinnlichkeit verschreiben. Mögen andere sich dem Treiben hingeben, während ich mich von Schneeflocken streicheln und wärmer werdenden Sonnenstrahlen küssen lasse. Es war und wird ein Lichtjahr.

Lichtspuren

Ich pflege seit nahezu 40 Jahren ein tägliches Ritual. Ich erzähle mir jeden Abend eine „Gute-Nacht-Geschichte“. Es ist kein literarisches und ausformuliertes Werk, sondern vielmehr ein mit inneren Bildern begleitetes Gehen durch den abgelaufenen Tag – mit dem Fokus auf alles was gut war. Begegnungen, Augenblicke, Ereignisse, Geschenke des Alltags, wie gutes Essen, herzerwärmende Bilder und nicht zuletzt der Blick auf alles, was gut funktioniert in unserer Welt und in unserem Land. Vor allem die nicht selbstverständlichen Errungenschaften unseres Sozial- und Gesundheitssystems – von denen der Großteil der Weltbevölkerung nur träumen kann. Sauberes Wasser, eine betörend schöne Natur, ein reichhaltiges Kulturleben und ein noch hoher Grundwasserspiegel der Solidarität und Hilfsbereitschaft. Viele Initiativen in unseren Dörfern und Städten, die dem Zusammenhalt dienen. Ich kann und will nicht einstimmen in das Konzert der ewig Unzufriedenen, Nörgler und Wohlstandverwahrlosten. Mein Tag mündet stets in ein alles zusammenfassendes Wort: DANKE.

Natürlich blende ich die Not und die Missstände nicht aus. Das hat mich mein ehemaliger Beruf schonungslos gelehrt und auch mein Engagement befeuert.

Niemals habe ich es aufgegeben und werde es nicht aufgeben, Lichtspuren des Guten und Schönen aufzuspüren. Es ist es ein Segen, auf einem privilegierten Platz der Welt leben und wirken zu dürfen. Daraus erwächst die Verantwortung, dies zu schützen und einen Beitrag dazu zu leisten.

Am Schluss möchte ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser einen Jahressegen, den ich für das „Lichtjahr“ verfasst habe, schenken und ihnen alles erdenklich Gute für das Jahr 2025 wünschen.

 Ein segensreiches Jahr

Foto: Toni Osl

Mögen Herzsonnen dein Gemüt erwärmen

und Regen auf die Samen deiner Träume fallen.

Mögen Rückenwinde deine Vorhaben beschleunigen

und Rastplätze dir Erholung schenken.

Mögen Lichtquellen deine Nächte trösten

und Blumen der Dankbarkeit deine Gefährtinnen erfreuen.

Mögen deine Uhren für liebevolle Augenblicke innehalten

und der Lichtstrahl der Zuversicht dein Jahr erhellen.

Möge dich der Mut – zu leuchten – schamlos überraschen.

Du bist ein Segen.

Die Gestalter des Jahresbegleiters „Lichtjahr“: Georg Schärmer, Toni und Monika Osl (von re)
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Georg Schärmer

Geboren am 14. März 1956. Jahrelanger Leiter sozialer Einrichtungen und Bildungsstätten; zuletzt Direktor Caritas Tirol und Vizepräsident Caritas Österreich. Vorstandsmitglied von Pflegeeinrichtungen im In- und Ausland. Autor mehrerer Bücher, Publikationen und Herausgeber von Kulturformaten. Besondere Interessen: Musik, Literatur, Architektur und Sozialraumentwicklung. „Ziel des Schreiben ist es, andere sehen zu machen“ (Joseph Conrad)

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Ein Gedanke zu “Wir brauchen mehr Licht

  1. Danke für diesen Text, lieber Georg!
    Dein Segen für das neue Jahr erinnert mich stark an einen traditionellen irischen Segen, eigentlich ein Abschieds-/Aufbruchsspruch mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen:
    May the road rise to meet you
    May the wind be always at your back
    May the sun shine warm upon your face
    The rain fall softly on your fields
    And until we meet again
    May God keep you in the palm of his hand

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