Am 27. Februar 2022 finden in Tirol die nächsten Wahlen zu Gemeinderat und Bürgermeister:innen statt. Eine gute Gelegenheit, sich die Besonderheiten in Tirol im Vergleich zu den übrigen Bundesländern anzuschauen.
Die Gemeindewahlen in Österreich unterscheiden sich oft erheblich. Der Föderalismus verbrieft die teilweise Eigenständigkeit der einzelnen Bundesländer und damit haben Landesregierungen die Möglichkeit, verfassungsrechtliche Vorgaben großzügiger auszulegen. Dies soll den besonderen Interessen des eigenen Bundeslandes entgegenkommen, denn Wien hat als Millionenstadt durchaus andere Voraussetzungen und Bedürfnisse als Vorarlberg mit vielen sehr kleinen Gemeinden. Dennoch gibt es ein wichtiges gemeinsames Merkmal, das Österreich auch im internationalen Vergleich hervorhebt: Wählen mit 16. Mit der Wahlrechtsreform 2007 wurde das Alter für das aktive Wahlrecht bundesweit von 18 auf 16 Jahre gesenkt. Ansonsten gibt es einige wesentliche Unterschiede zwischen den Bundesländern, die selbstverständlich den politischen Wettbewerb und auch die Wahlbeteiligung beeinflussen. Am wichtigsten ist die Direktwahl der Bürgermeister:innen, welche sukzessive ab 1991 eingeführt wurde. Das sollte die Gemeindewahlen persönlicher gestalten, damit mehr Wähler:innen mobilisieren und das Amt durch die direkte Legitimation stärken. Sollte sich nur jemand als Kandidat:in aufstellen lassen, muss es am Stimmzettel auch eine Nein-Option anzukreuzen geben und man muss natürlich die Mehrheit der Stimmen erzielen. Tirol ist das einzige Bundesland, in dem es dieses explizite Nein nicht gibt. Bei uns findet einfach eine Wahl ohne Wahlmöglichkeit statt und der Bürgermeister, die Bürgermeisterin steht praktisch schon fest. Üblicherweise gibt es aber in einer solchen konkurrenzlosen Wahl dann auch mehr ungültige Stimmen als sonst.
Darüber hinaus gibt es noch einige kuriose Besonderheiten. Vorarlberg sieht vor, dass man in sehr kleinen Gemeinden eine sogenannte „Mehrheitswahl“ abhalten kann. Gänzlich ohne amtliche Stimmzettel, schreibt man einfach den Namen jener Person, die man im Gemeinderat sehen will, auf ein leeres Blatt Papier. Auch Niederösterreich kommt teilweise ohne amtliche Stimmzettel aus, beziehungsweise erlaubt auch die Abgabe eigener Zettel am Wahltag. Das führt dazu, dass einige Listen selbstgestaltete Vordrucke – selbstverständlich bereits mit dem Kreuz an der richtigen Stelle versehen – vor der Wahl per Post aussenden oder verteilen. Diese Stimmzettel müssen dann nur mehr am Wahltag abgegeben werden. In Niederösterreich darf man ebenso an einem gemeldeten Zweiwohnsitz wählen. Dadurch kommt es durchaus zu der absurden Situation, dass es in kleinen Gemeinden mehr Wahlberechtigte als EinwohnerInnen gibt. Die Wählerevidenz kann aber von den Gemeinden scheinbar nicht ohne weiteres so überprüft werden und so gibt es offenbar einige, die absichtlich mehrmals ihre Stimme abgeben. Dass dies möglich ist, ist schon höchst bedenklich – eine Änderung wurde bisher allerdings leider erfolglos von der Opposition eingefordert.
Tirol sticht im Bundesländervergleich noch durch ein Alleinstellungsmerkmal hervor: die Listenkoppelungen. Die Möglichkeit, mit einer anderen Liste zu koppeln, sieht vor, eine Art Wahlbündnis einzugehen und dennoch getrennt anzutreten. Das kann den Listen einen Vorsprung bei der Mandatsberechnung verschaffen und sichert manchmal auch knappe Mehrheiten im Gemeinderat ab. Somit ist es als parteipolitisches (Macht-)Instrument zu sehen, kann aber dennoch auch dem Wähler:innenwillen entgegenkommen. Am Ende des Wahltages werden die Stimmen in Mandate umgerechnet. Das ist gar nicht so banal wie man vielleicht glauben möchte. In Inzing wurden 2016 insgesamt 15 Mandate vergeben (immer eine ungerade Zahl, damit es bei Abstimmungen keinen Gleichstand geben kann). Das bedeutet, dass theoretisch pro 6,66% der Stimmen ein Mandat zu erreichen wäre. Ein Verteilungsschlüssel (das sogenannte d’Hondtsche Verfahren, wie es in der Wahlarithmetik genau genannt wird) legt fest, wie mit allen Fällen dazwischen umgegangen werden soll, wann auf- oder abgerundet wird und dass auch nicht zu viele Mandate vergeben werden. Dieses Verfahren ist aber nicht proportional und bevorzugt größere Listen. Somit kann es von Vorteil sein, die Stimmenanzahl in einer Koppelung zu bündeln, um damit vielleicht das eine Mandat mehr zu erreichen. Pro Wahlgang gibt es in Tirol immer einige Mandate, die genau durch diese Koppelung zugunsten der gekoppelten Listen zugeteilt werden. Es gibt immer wieder Fälle, die genau dadurch ihre Mandatsmehrheit im Gemeinderat absichern konnten oder in denen durch die konsequente Koppelung der bisherigen oppositionellen Listen schließlich eine Mehrheit gebrochen wurde. Die Möglichkeit der Koppelung kommt aber auch den Wähler:innen zugute. Der Wähler:innenwille wird eher respektiert, wenn überschüssige Stimmen, die zur Erlangung eines weiteren Mandates nicht ausreichen, an eine gekoppelte (also oft auch inhaltlich nahestehende) Liste gehen und nicht einfach gleichmäßig auf alle anderen Listen verteilt werden. Außerdem stellt die Möglichkeit der Koppelungen vor allem in anderen Ländern sicher, dass kleine Parteien nicht durch etwaige Sperrklauseln aus politischen Gremien ausgeschlossen werden. Die Möglichkeit zu koppeln ermöglicht es auch, dass man mit mehreren Listen antritt und damit ein größeres Mobilisierungspotential entfaltet, mehr Wahlmöglichkeiten bietet und somit die Wahlbeteiligung steigert.
Für die anstehenden Gemeinderatswahlen wird es sicherlich interessant, wie es sich mit der Wahlbeteiligung verhält. Grundsätzlich erreichen wir in Österreich im internationalen Vergleich eine traditionell recht hohe Wahlbeteiligung von 70-80%. Auch die Gemeindewahlen reihen sich in diesem Bereich ein, obwohl diese in anderen Ländern aufgrund der nachrangigen Bedeutung (gegenüber Wahlen auf Bundes- oder Landesebene) oft weniger Beteiligung zeigen. In Österreich haben wir aber eine sehr große Anzahl an relativ kleinen Gemeinden. Die durchschnittliche Gemeinde hat nur etwa 2.500 Einwohner:innen und das hat einen sehr starken Einfluss auf die Wahlbeteiligung: je kleiner eine Gemeinde – desto höher die Wahlbeteiligung im Schnitt. Das lässt sich dadurch erklären, dass das „Wählen gehen“ als sozialer Akt gesehen werden kann. In kleinen, überschaubaren Gemeinden fühlt man sich eher dazu veranlasst, sich zum Wahllokal zu begeben, um sich in Ausübung seiner Bürger:innenpflicht sehen zu lassen. Pandemiebedingt wird diese Bereitschaft für die nächste Wahl vermutlich etwas niedriger ausfallen und die Briefwahl einen etwas höheren Stellenwert einnehmen. Wer diese Möglichkeit in Anspruch nehmen will, sollte unbedingt alle Formalien beachten, damit die abgegebene Stimme auch ihre Gültigkeit behält:
– Das rechtzeitige Einlangen der Wahlkarte: am Postweg spätestens am Freitag vor der Wahl, oder am Wahltag bis 14:00 Uhr im Wahllokal abgeben (persönlich oder in Vertretung).
– Geprüft wird „die Unversehrtheit des Verschlusses der Wahlkarten“ und ob die eidesstattlichen Erklärungen auf den Wahlkarten ausgefüllt wurden.
– Die Stimme ist ungültig falls: die Wahlkarte kein Wahlkuvert enthält, die Wahlkarte zwei oder mehrere Wahlkuverts enthält, das Wahlkuvert beschriftet ist oder sich zumindest ein Stimmzettel zwar in der Wahlkarte, nicht aber im Wahlkuvert befindet.
Politik und Demokratie werden dann ihrem Anspruch gerecht, wenn sich möglichst viele daran beteiligen und einbringen. In diesem Sinne ein großes Dankeschön an alle, die von ihrem Wahlrecht gebraucht machen und besonders an jene, die sich der Wahl um ein öffentliches Amt stellen.
Weiterführende Informationen zu den anstehenden Gemeinderatswahlen 2022 in Tirol unter https://www.tirol.gv.at/abteilung-gemeinden/gemeinderats-und-buergermeisterwahlen-2022/
Wahlkarten können über das Portal https://www.wahlkartenantrag.at/ beantragt werden.
Foto und Text: Philipp Umek