25. April 2024
Newsletter   

„Bevor sie mich vergessen,….“

© Pixabay
Lesedauer ca. 2 Minuten

Nachklang zum Artikel „Pflegenotstand“ in der Dorfzeitung (10.10.2022) und ein Weckruf

https://blog.dorfzeitung-inzing.at/?p=9698

Vor dem Hintergrund einer daueraufgeregten Entrüstungs- und Vorwurfsgesellschaft und unübersehbaren populistisch vorangetriebenen Spaltungstendenzen kommen jene unter die Räder, die entweder ökonomisch oder mental nicht mehr mithalten können, bzw. deren Stimme verstummt ist. Der drohende Generationenkonflikt befeuert dies zusätzlich. Menschen, die nicht mehr der „Leistungsmaxime“ entsprechen, gelten als überflüssig und belastend für den Staatshaushalt. Der nicht mehr zu leugnende Pflegenotstand wird tagespolitisch ausgeblendet und, so scheint es zumindest, achselzuckend zur Kenntnis genommen. Die Zukunftsaussichten der „Alten“ sind nicht rosig. „Bevor sie mich vergessen, vergess‘ ich mich lieber selbst und mach mich aus dem Staub“, könnte ein gefährliches Denkmuster werden.
Oder: Wir geben die Hoffnung nicht auf und glauben unerschütterlich an eine solidarische Gesellschaft und die mutige Kreativität, die aus Notzeiten erwächst und diesen Sachverhalten neue, vielleicht auch unorthodoxe Lösungen entgegen zu setzen imstande ist. Vielleicht formiert sich eine neue Bürger:innen-Bewegung, gründen sich zeitgemäße Genossenschaftsmodelle und neue Formen zivilgesellschaftlicher Betreuung, die von Bürokratie und Politik lösungsorientiertes Service einfordern, statt hemmender Beharrung und sinnbefreiter Kontrolle. In jedem Fall braucht es ein neues Miteinander und Füreinander aller Akteur:innen. Das wünsch ich mir auch in meiner Gemeinde wenn es um die Neuerrichtung des Pflegeheimes geht. Ich erhebe keinen Vorwurf und unterstelle den handelnden Akteuren den besten Willen. Ich hoffe nur, dass sie sich nicht dem Diktat von Landesstellen unterwerfen. Diese haben über lange Strecken und Zeiten keine wirklichen Lösungen bereitgestellt, den vorhandenen Pflegenotstand zu beheben und denken meiner Erfahrung nach meist „zu klein(kariert)“. Was ich mir wünsche ist mehr Partizipation und Involvierung. Nicht zuletzt meiner Generation, die in absehbarer Zeit Bewohner:innen des pflegeunterstützten Lebensraums sein werden. Ich tu dies nicht mit der Haltung eines zukünftigen „Kunden“ mit übertriebenem Anspruchsdenken, sondern als einer, der bereit ist, bis ans Ende des Lebens seinen Beitrag zum Gelingen eines guten Miteinanders zu leisten. Und diesen Beitrag möchten viele Gleichaltrige leisten. Daran glaube ich.  Es geht um unsere Zukunft und vor allem um ein Signal an die jungen Menschen, dass wir keine selbstsüchtigen Forderer und Ressourcenverbraucher sind, sondern aktiv das Jetzt und Morgen mitgestalten und die jüngere Generation entlasten möchten. Vor allem möchten wir aber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pflege und Betreuung unsere Wertschätzung ausdrücken, unsere Unterstützung anbieten und die Sorge nehmen, dass da egozentrische und fordernde Oldies auf sie zukommen. Modelle von Wohngruppen-Hausgemeinschaften, Involvierung von gut vorbereiteten und begleiteten Freiwilligen, örtlichen Gemeinschaften, die die Qualität im „Heim“ fördern, Generationenfeste und vieles mehr können eine gute Begleitmelodie sein. Bei dieser Gelegenheit ein großes DANKE an die Mitarbeitenden im Heim. Gerade die Aktion „Opernball im Vivavinz“ hat aufgezeigt, mit welch‘ beherztem Einsatz hier gearbeitet und gestaltet wird.
Ich kenne den aktuellen Planungsstand des geplanten Neubaus nicht, hoffe aber, dass man groß, mutig und nachhaltig denkt. Vielleicht auch mit neuen Modellen, zum Beispiel einer Übergangs- und Kurzzeitpflegestation in Kooperation mit den Tirol.Kliniken oder der Integration von studentischem Wohnen für den großen Bedarf der Universitätsstadt Innsbruck oder einer Verbindung mit Startwohnungen für junge Menschen. Auch das Modell einer Senioren-Wohngemeinschaft wäre es wert, pionierhaft in unserer Region zu verwirklichen. Wichtig scheint mir, dass sich die dörfliche Gemeinschaft auf das neue Projekt freut, ein Bild der Lebendigkeit gezeichnet wird und die Bereitschaft gefördert wird, auch persönliche Verantwortung dafür zu übernehmen.
Wer sich angesprochen fühlt, eventuell auch bereit wäre, einem „Förderer:innen-Verein“ beizutreten, den lade ich herzlich ein, sich bei mir zu melden.

Meine Mailadresse: georg@die-gastgeber.at

Diesen Artikel teilen:

Georg Schärmer

Geboren am 14. März 1956. Jahrelanger Leiter sozialer Einrichtungen und Bildungsstätten; zuletzt Direktor Caritas Tirol und Vizepräsident Caritas Österreich. Vorstandsmitglied von Pflegeeinrichtungen im In- und Ausland. Autor mehrerer Bücher, Publikationen und Herausgeber von Kulturformaten. Besondere Interessen: Musik, Literatur, Architektur und Sozialraumentwicklung. „Ziel des Schreiben ist es, andere sehen zu machen“ (Joseph Conrad)

Alle Beiträge ansehen von Georg Schärmer →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert