28. April 2024
Newsletter   

Die RADIKALISIERUNG unserer GESELLSCHAFT im Sog extremistischer Subkulturen im Internet / Teil 2

Fotos: li L. Strasser / re © Suhrkamp Verlag
Lesedauer ca. 14 Minuten

Gedanken anhand des Buches “Massenradikalisierung” von Julia Ebner

Deutsche Ausgabe (in der Übersetzung von Kirsten Riesselmann): MASSENRADIKALISIERUNG – WIE DIE MITTE EXTREMISTEN ZUM OPFER FÄLLT. Surkamp Nova – Berlin 2023, 261 Seiten
Englische Ausgabe: Going Mainstream: How extremists are taking over. ITHAKA / Bonnier Books – UK 2023 / 264 pages (paperback)

(Zitate im Text: JE, S. xy)

Ausgewählte INHALTE und ergänzende KOMMENTARE zu Ebners Recherchewerk (Fortsetzung von Teil 1)

IV) Transphobie / Denunzierung der LGBTQ-Community

© Pixabay

In vielen Ländern kam es in letzter Zeit zu einem Anstieg von Gewaltdelikten gegenüber der sogenannten Lesbian-Gay-Bi-Trans-Queer (LGBTQ)-Gemeinde.

Eine Studie des National Center for Transgender Equality hat 2015 festgestellt, dass 40 Prozent der betroffenen Personen mindestens einen Suizidversuch unternommen hätten (JE, S. 163). In Deutschland wurden 2020 mehr als 200 relevante Straftaten gemeldet, in den USA viele Mordanschläge begangen und in GB und Frankreich sind die Übergriffe in der Statistik explodiert.

Derzeit ist die Geschlechtsidentität eines der am stärksten polarisierenden Themen. Und das betrifft nach einer Hochrechnung – basierend auf einer Studie der University of California in LA – weltweit ca. 50 Millionen Menschen (wobei die Dunkelziffer wohl recht hoch ist, da sich nicht alle Betroffenen aus Scham und Angst bisher geoutet haben). (JE, S. 166)

Transphobe Gewalt geht von den extrem rechten Rändern des politischen Spektrums, von christlichen Fundamentalisten und überraschenderweise auch von (radikalen) Feministinnen (u.a. Alice Schwarzer) aus. Letztere befürchten, dass Errungenschaften bei Trans-Rechten auf Kosten ihrer allgemeinen frauenrechtlichen Anliegen gehen könnten.

Auch bei diesem Phänomen kann man wieder feststellen, dass sich die Anhängerschaft nicht nur in entsprechenden Kanälen und Plattformen im Internet mit ihren Angriffen und Hassbotschaften zu Wort meldet, sondern dass sie inzwischen auch in etablierten Medien Raum findet (Daily Mail u.a.). Auch im politischen Kontext spielt das Thema immer wieder eine Rolle. Beispiele dazu sind Trumps Themenwahl im US-Wahlkampf 2016, die gekippte Gleichstellungsverordnung in Texas, das “Toiletten-Gesetz” in North Carolina oder Theresa Mays 2017 geplante Reform des Gender Recognition Act genannten Gesetzes, die es Trans-Personen ermöglichen sollte, ohne Beibringung von Beweismaterialien (ärztlichen Attesten u.Ä.) das eigene Geschlecht zu bestimmen (Prinzip der Selbstauskunft). Aufgrund massiven Widerstands wurde die Reform im UK ad acta gelegt.
Natürlich, könnte man fast sagen, kommt auch bei diesem Thema der Anti-Semitismus ins Spiel: Jüdische PhilanthropInnen würden Kampanien für Trans-Rechte massiv finanziell unterstützen (JE. S. 180).
Weitreichende Online-Plattformen wie Twitter (mehr als 360 Millionen NutzerInnen), Facebook oder Instagram versuchen heute ansatzweise, Hass gegen Trans-Personen zu bekämpfen. Seit Elon Musk Twitter nun als “X” übernommen hat, muss man befürchten, dass dort die kleinen Errungenschaften wieder rückgängig gemacht werden.

Gerade (auch) jüngere Menschen scheinen offensichtlich zunehmend unter den Einfluss von rechtsextremen Bewegungen wie Alt-Right zu gelangen. Man nennt sie die Generation Z (geboren etwa zwischen 1995 und 2005). Diese ist wohl auch deswegen so anfällig für dieses Gedankengut, weil sie so webaffin ist. Laut mehreren Studien soll diese Bevölkerungskohorte die “wahrscheinlich konservativste Generation seit Ende des Zweiten Weltkriegs” sein (JE, S. 185). Demnach habe sie auch wenig Vertrauen in staatliche Institutionen und in die Mitmenschen generell.

In diesem Zusammenhang muss man beispielsweise die mit enormer finanzieller Unterstützung durch Milliardeninvestoren gegründete “Prager University” (PragerU / PU) nennen. Diese Online-Plattform wurde etabliert, um die traditionellen Medien zu umgehen. Sie versucht, gezielt junge Leute anzusprechen, denen die Political Correctness an ihren Bildungseinrichtungen auf die Nerven geht. Im Gegenzug werden sie durch Plattformen wie die PU mit Werten konfrontiert, die sehr konservativ bzw. rechtslastig unterlegt sind (JE, S. 185).
Die PU hat auch an US-amerikanischen Universitäten und Colleges großen Anklang gefunden.

Und auch hier “können wir wieder altbekannte Muster erkennen: Radikale Subkulturen vernetzten sich weltweit, um alternative Medienimperien aufzubauen und einen gesellschaftlichen Backlash auszulösen”. (JE, S. 186)

Die in den USA aus dieser Bewegung hervorgegangene PragerForce drangsaliert Menschen, die sie als der LGBTQ-Community zugehörig identifizieren, massiv durch viral gehende Kampagnen. Diese führen dann zu einer Veränderung der öffentlichen Meinung.

In den USA wurde unter Trump den Transgender-Personen der Dienst in der Armee verboten.

Auch im Sport haben betroffene Menschen große Probleme und werden sehr oft mit offenem Hass konfrontiert. Dabei verwendete Methoden sind Deadnaming, Misgendering, Doxing oder Outing (siehe Glossar am Ende des Artikels!).

Selbstbestimmte Geschlechtsdefinition ist keineswegs eine Entwicklung der jüngeren Vergangenheit in westlichen Gesellschaften. Indigene Ethnien (Navajo, Inkas, Chukchi/Sibirien …) z. B. unterscheiden seit langem bis zu fünf verschiedene Geschlechter.

Als heterosexuelle Person kann man sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, welchen Ängsten Mitglieder aus dem LGBTQ-Spektrum in der Gesellschaft ausgesetzt sind und welchem Hass sie in unseren Gesellschaften (aktuell vermehrt wieder) begegnen.

V Impfgegnerschaft

Foto: Fernando Zhiminaicela auf Pixabay

In einer Vorbemerkung zu diesem Thema schreibt J. Ebner: “Sobald politisch signifikant große Teile der Bevölkerung anfangen, an Ideen zu glauben, die ihren Ursprung in randständigen Subkulturen haben, ist der Prozess der Massenradikalisierung abgeschlossen.” (JE, S. 195)

Bei ihrem Impftermin in Wien machte sie eigenartige Erfahrungen mit kritischen Fragen der impfenden Krankenschwester.

Nach einer Recherche der Financial Times sind die Menschen in deutschsprachigen Ländern besonders zurückhaltend in Bezug auf die Corona-Impfungen – mit Österreich als führendem Land der SkeptikerInnen.

Sehr aufschlussreich gestaltete sich eine Begegnung Ebners mit einem aus Rumänien stammenden Uber-Fahrer namens Marius in London, der sich im Regierungsviertel Whitehall im Sitzstrike befand. Auf den ausgestellten Plakaten waren die gängigen “alternativen Wahrheiten” zu Corona, 5G, NASA, Bill Gates u.a. zu lesen.

Einen Schwerpunkt bildete dabei die Erzählung von den Eliten als “Reptiloide” (u.a. die ganze Royal Family, Angela Merkel, Mark Zuckerberg und andere). Sie wären in Wahrheit außerirdische Echsenmenschen (Kreuzungen von Menschen mit Reptilien), die die Welt beherrschten.

[Wäre dies nicht eine so weit verbreitete und auch von gebildeten Menschen weitererzählte Geschichte, müsst man das Buch an dieser Stelle zuschlagen und mit ungläubigem Kopfschütteln zum Alltag übergehen!!]

Überall würden die Reptiloiden die Regierungen bilden, die die “reinen” Menschen vernichten wollten, indem sie ihnen positive PCR-Tests ausstellten und den (tödlichen) Impfstoff verabreichten.

Ein junger Mann aus Mexico namens Pedro bestätigte Marius’ Ausführungen. Er hätte Ähnliches auch mehrfach auf Telegram gelesen. Weiters spricht er über die oft in diesem Zusammenhang zitierten Chemtrails der Flugzeuge, mit deren Hilfe man das Wetter manipulieren würde. Covid-19 schätzte er als normale Grippe ein. Nur die Impfungen seien tödlich. Außerdem würden sie uns magnetisch machen.

Weit verbreitet scheint die Annahme zu sein, dass der Corona-Impfstoff von BioNTech/Pfizer praktisch nur aus Graphenoxid besteht, das für den Menschen in der hohen Konzentration giftig ist. Diese Darstellung ist des Öfteren, u.a. in einer spanischen Studie, als wissenschaftlich unhaltbar bezeichnet worden (JE, S. 203).

Ein anderer Impfmythos, verbreitet von der US-Journalistin Ramola D., sollte beweisen, dass im Corona-Impfstoff Parasiten nachgewiesen wurden. R.D. kommt zu dem Schluss auf der Basis einer Analyse von mehreren Studien, deren Verfasser “einschlägige” Qualifikationen (Geologe, Osteopath, nicht berechtigt praktizierender Arzt …) aufwiesen.

Solche Erzählungen, gepaart mit multiplen Ängsten, haben im Laufe der Pandemie offensichtlich dazu geführt, dass sich vielfach die Meinung festzusetzen begann, dass die WHO und Bill Gates einen chemischen Krieg gegen die Weltgesellschaften führten. Diese Entwicklung gipfelte in virtuellen sowie realen Angriffen auf WissenschaftlerInnen, MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen u.Ä. – bis hin zu tödlichen Konfrontationen.

Besonders gut in Erinnerung ist uns wohl der Fall der österreichischen Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr, die nach monatelang andauernden massivsten Bedrohungen in Netz und Wirklichkeit schließlich Selbstmord beging.

Auch der Fall Paul (der schwer verletzt wurde) bzw. Nancy Pelosi (ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses in den USA) ist ein Beispiel für den abgrundtiefen Hass von Verfechtern von mehrfachen Verschwörungsmärchen. Hierbei handelte es sich um einen Vertreter der QAnon-Bewegung, die an Trumps Wahlbetrug, unterirdische Kindesmissbrauchsnetzwerke und an die tödliche Wirkung der Corona-Impfungen glauben (JE, S. 217).

Die Coronaleugner- und Impfgegnerszene hat auch deshalb so stark Fahrt aufgenommen, weil viele bekannte Persönlichkeiten aus verschiedensten Prominentennischen die entsprechenden Mythen weiterverbreitet haben: Kochbuchautor Attila Hildemann, Schlagersänger Michael Wendler oder Radiomoderator Ken Jebsen aus Deutschland, Piers Corbyn/UK, Robert F. Kennedy Jr./USA und viele mehr (u.a. auch VertreterInnen der österreichische Kunst- und Kulturszene).

Eine Studie in den USA aus dem Jahr 2021 hat ein “Desinformationsdutzend” ausgemacht, das in den Kanälen der Sozialen Medien eine Anhängerschaft von über 60 Millionen erreicht (JE, S. 211).

Karolin Schwarz ist eine bekannte Fakten-Checkerin (Gründerin von Hoaxmap) aus Deutschland, die die kursierenden Desinformationen als “Infodemie” bezeichnet (JE, S.- 212). Da die Szene sie für eine Reptiloide hält, wird sie auch im Netz brutal angefeindet.

Frau Schwarz ortet den Beginn der Verschwörungserzählungen weit vor Corona, sieht aber eine enorme Intensivierung seit 2015 (“Flüchtlingskrise”, Trump-Wahlkampf, Brexit…). Und durch die Sozialen Medien seien sie politischer und ansteckender geworden. Sie prangert Situationen an, wobei etablierte Medien nicht wissenschaftlich abgesicherte Meinungen gleichwertig neben weitgehend anerkannte Realitäten bei Debatten stellen würden.

Julia Ebner hat am Institute for Strategic Dialogue / ISD durch eine Social-Media-Analyse zeigen können, dass sich Falschinformationen in Bezug auf den Covid-19-Impfstoff vor allem (und sich überlappend) in den rechtspopulistischen / -extremen Netzwerken einerseits und den Kommunikationsblasen von Verschwörungstheoretikern andererseits wiederfinden (JE, S. 214).

Ein immer wiederkehrendes, latentes Thema in Verschwörungskreisen ist die Annahme, dass die Eliten Kinder in unterirdischen Lagern foltern, ihnen adrenochromhaltiges (konzentriertes Adrenalin aufweisendes) Blut abzapfen, um jung und gesund zu bleiben. “Rettet die Kinder”, “Stoppt die Pädos” sind dabei gängige Slogans (u.a. neulich auch von einem Tiroler Investmentberater sehr dramatisch via YouTube verbreitet). (JE, S. 220/221)

In diesem Zusammenhang tauchen auch immer wieder altbekannte, antisemitische Erzählungen auf – sogenannte Ritualmordlegenden. Die Juden hätten christlichen Kindern das Blut abgezapft, um es für religiöse Rituale zu verwenden. Uns in Tirol wurde dies sehr lange am Beispiel vom “Anderl von Rinn” mit Billigung der röm.-kath. Kirche versucht zu vermitteln.

Bei der Verbreitung von Desinformation und Verschwörungsmythen spielt offensichtlich QAnon eine entscheidende, zentrale Rolle im Netz. Inzwischen soll diese Bewegung eine Anhängerschaft von mehr als viereinhalb Millionen Menschen in gut einem Dutzend Ländern (auch in Österreich als QAnon Austria) haben (JE, S. 223).

Tausende Kanäle im Internet haben inzwischen einen Bezug zu QAnon: Z.B. Qnews, Anti-Vaxx Worldwide (“Corona-Impfstoffe sind die eigentliche Krankheit“) u.v.m. Die millionenfache Verbreitung der involvierten Ideen ist zur ernsthaften Bedrohung für die Wissenschaften, seriöse mediale Berichterstattung und schließlich für die liberale Demokratie geworden (JE, S. 243)

VI Russland- bzw. Putinsympathisanten

© Pixabay

Zunächst berichtet Frau Ebner von einem Interview, das sie mit einem Soldaten aus der Ukraine geführt hat. Darin spricht dieser über seine Gefühle und Ängste, aber auch von seinem Verantwortungsbewusstsein für seine Heimat, das es ihm nicht erlaubt hätte, nicht in den Verteidigungskrieg zu ziehen, auch wenn er als Vater von drei Kindern nicht dazu verpflichtet gewesen wäre (JE, S. 245-248).

An einem Frühlingstag besuchte J. Ebner eine prorussische Demonstration auf dem Frankfurter Opernplatz. Sie trifft dort auf eine Gruppe von Menschen, die sie den deutschen Querdenkern zuordnet. Diese Bewegung ist am Beginn der Pandemie entstanden und hat heute hunderttausende Anhänger, die auch gerne QAnon-Symbole bei Protestkundgebungen präsentieren. Die Gruppe ist eine Mischung aus Rechtsradikalen, links zu verortenden Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern und Reichsbürgern (JE, S. 252). Erkennungsmerkmale dieser Putin-Fans sind u.a. Homophobie und Frauenhass.

Die Überschneidungen zwischen der Querdenkerszene und Russlandfreunden sind manifest: Nach einer Erhebung der Universität Frankfurt glaubten 43 Prozent, dass der Ukrainekrieg nur ein Manöver sei, um von der Pandemie abzulenken (JE, S. 260).

Auch bei diesem Thema sind wieder sehr junge InfluencerInnen im Netz tätig. Als Beispiel wird im Buch die 29jährige Alina Lipp aus Deutschland genannt. Sie gibt u.a. folgende “Weisheiten” von sich: “Der Westen will einfach den Krieg um jeden Preis und sucht nach irgendeiner traurigen, schrecklichen Geschichte, womit sie einen Angriff rechtfertigen können”. (JE, S. 261).

Man muss sich wirklich wundern, wie viele Menschen im Westen auf die russische Propaganda hereinfallen. Und noch mehr muss man sich wundern, wie Russland bzw. Putin in den letzten Jahren via Cyber-Attacken u.a. die US-amerikanische Politik vor sich hergetrieben hat. Die russischen Verbindungen zu Trump und seinem Team sind ja hinlänglich bekannt.
(Wer mehr darüber wissen möchte, dem/ der sei das Buch “Der Weg in die Unfreiheit” von Timothy Snyder – erschienen 2018 im Verlag C.H.BECK – nachdrücklich empfohlen.)

VII Gegenstrategien

J. Ebner bietet im letzten Kapitel 15 Strategien (von fünf ExpertInnen erarbeitet) an, um Massenradikalisierungen wirksam einzugrenzen. (S. 293-324):

(1) Der psychologische Berührungspunkt
(2) Der soziale Berührungspunkt
(3) Der technologische Berührungspunkt
(4) Aktionsbündnisse schmieden
(5) Auf globaler und lokaler Ebene Menschen aus der Praxis vernetzen
(6) Die Wirtschaft einbilden
(7) Generation Alpha
(8) Generation Z
(9) Digitale Migranten
(10) Die Sprache zurückerobern
(11) Opportunismus zur Anzeige bringen
(12) Desinformation frühzeitig entlarven
(13) Vertrauen neu aufbauen
(14) Forschung in Echtzeit
(15) Auf Tech-Trends reagieren

Ohne auf die einzelnen Methoden näher  eingehen zu wollen, erkennt man anhand der Aufzählung, dass es psychologisches Gespür braucht, um mit den Gegenmeinungen umgehen zu können, ohne deren VerfechterInnen abzukanzeln resp. ihnen mit ähnlicher verbaler Antipathie zu begegnen. Denn die Gründe, warum Menschen so kruden Ideen anhängen, sind sehr vielfältig und wurzeln oft in schwierigen sozialen Bedingungen.

Um effektiv entgegenwirken zu können, bedarf es einer deutlich verbesserten technologischen Bildung (Digitalisierung), damit eine lokale sowie weltweite Vernetzung erfolgen kann, um ähnliche Reichweiten zu erzielen wie die der Desinformationsträger. Und wenn die Wirtschaft, sprich finanzieller Erfolg damit verbunden ist, dann kann dadurch ein entscheidender Faktor miteingebracht werden.

Die Jugend (die Generation Z und deren Nachfolgerin Alpha) “mitzunehmen”, scheint mir besonders wichtig zu sein, da man nur so in die Zukunft wirken kann. Richtiges Agieren im Netz (technisch und inhaltlich) wird zu einer Kernkompetenz (nicht nur der Jungen, sondern auch von älteren Semestern). Zuletzt wird noch darauf hingewiesen, dass die Forschung haut- und zeitnah an den technologischen Entwicklungen im WWW dranbleiben muss, um effektive Gegenstrategien zu den vielen Verschwörungserzählungen zu unterstützen bzw. zu ermöglichen. Dies umso mehr, wenn man das enorme Potential, das die Künstliche Intelligenz/ChatGPT in Zukunft auszuspielen imstande sein wird, bedenkt.

SCHLUSSBEMERKUNGEN

Julia Ebner hat ein Buch vorgelegt, das in seiner Wucht und Dringlichkeit kaum zu überbieten ist. Die internationale Kritik lobt das Werk auch dementsprechend:
Eliot Higgins (ein britischer Internetjournalist.): “A must read!
Richard Kerbaj (ein mehrfach ausgezeichneter britisch-australischer Filmregisseur und Autor) findet, dass das Buch sehr aktuell und aufschlussreich ist. Dem kann ich mich nur anschließen.
Man kann sich der Lektüre kaum entziehen, auch wenn man manchmal aus Ungläubigkeit oder Wut über den Inhalt das Buch zuschlagen möchte. Aber die Augen vor der Realität zu verschließen, ist ja auch keine Lösung.
Um die Auswüchse der Verbreitung von Hassbotschaften und irrationalen, lügenhaften Inhalten durch die großen Player wie Facebook, Instagram, Telegram, TikTok, WhatsApp, X, XING, YouTube u.a. einzudämmen, versucht die EU, durch Verordnungen (Beschlüsse von Parlament und Rat) entsprechend entgegenzuwirken. Seit 2022 gilt das Digital Markets Act (DMA) genannte Gesetz, womit eine gerechtere und stärker wettbewerbsorientierte Gestaltung des digitalen Sektors erreicht werden sollte. Mit April 2023 wurde die als Digtal Service Act (DAS) bezeichnete Verordnung auch für große Plattformen wirksam, die letztere zwingen sollte, illegale Inhalte schneller zu entfernen.
In diesem Zusammenhang hat Johanna Constantini, eine auf den Umgang mit Sozialen Medien spezialisierte Klinische Psychologin, in ihrem Gastkommentar in der TT vom 29. August 2023 einen heiklen Punkt angesprochen: Sie hat darauf hingewiesen, dass man diesen neuen EU-Gesetzen zwar grundsätzlich vertrauen kann, aber ihre Einhaltung unbedingt auch kontrollieren muss.
Auch die wohl bekannteste heimische Digital-Expertin Ingrid Brodnig äußerte sich ähnlich in einem Interview bei Susanne Schnabl im Report (ORF 2, 12.9.2023). Auch sie bewertete die relevanten EU-Gesetze in ihrer Wirksamkeit grundsätzlich positiv. Wenn die EU den großen digitalen Anbietern auf die Füße steigen würde, hätte dies mit Sicherheit Auswirkungen v.a. auf die unmittelbare Reaktion der Plattformen. Sie würden gezwungenermaßen innerhalb von 24 Stunden (mit Ausnahmen in komplizierten Fällen) angezeigte Inhalte entfernen müssen.  

Eine durchaus relevante Frage ist, inwiefern oder ob sich überhaupt die digitalen Bedrohungen auch in einem “geschützten” Kosmos wie unserem Dorf auswirken. Von außen betrachtet könnte man zum Schluss kommen, dass da “die Welt noch in Ordnung” ist und das soziale Gefüge durchwegs funktioniert. Dies ist ja auch eine berechtigte Einschätzung, wenn man sich das rege Vereinsleben von Inzing vor Augen hält. Nachbarschaftliche Kooperationen und generell freundschaftliche Begegnung bestimmen durchwegs den Alltag.

Dennoch leben wir nicht auf einer “Insel der Seligen”. Denn das Internet wird ja nicht umsonst World Wide Web genannt. Das heißt, es gibt kaum einen Winkel auf diesem Globus, wo die digitalen Botschaften nicht wirksam werden können.

Und nach meinen persönlichen Erfahrungen gibt es durchaus auch in Inzing eine “Querdenkerszene” und einen “Hang nach rechts” in Teilen der Bevölkerung. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder – entgegen meiner ausdrücklichen Ablehnung – Videobotschaften mit klar faktenresistenten Inhalten (z. B. zuletzt mit der Aufforderung, unsere Kinder vor den elitären Kinderschändern zu retten – siehe QAnon!) zugeschickt bekommen. Oder ich fand, als ich vor Jahren als Koordinator des Freundeskreises für Integration (FKFI) tätig war, anonyme Aufforderungen in meinem Postkasten vor, die Unterstützung von geflüchteten Menschen zu unterlassen, denn damit würden “unsere” Werte bzw. Kultur zu Grabe getragen!!

Und so komme ich ganz zum Schluss noch einmal auf eine Kernaussage von Julia Ebner in ihrem Buch über Massenradikalisierung zurück: Die Überschneidung aller im Buch genannten Subkulturen mit rechtspopulistischen bis -radikalen Elementen unserer Gesellschaft ist eine reelle, ernst zu nehmende Bedrohung der Demokratie. Daher gilt es alle Kräfte zu mobilisieren, damit nicht auch in Österreich im Rahmen der Nationalratswahlen 2024 (wieder) eine Konstellation entsteht, die Parteien dazu bemächtigt, in menschenverachtender Weise über Gruppen der Gesellschaft drüberzufahren.
Aktuelle Umfragen und ungeniert veröffentlichte, einschlägige Meinungen (wie das neueste Video der FPÖ-Jugend) lassen Schlimmes befürchte.

Hans Rauscher berichtet in diesem Zusammenhang von einer weltweit in sehr vielen Ländern von der Open Society Foundation (George Soros) durchgeführten Befragung. Demnach ist die Demokratie weiterhin beliebt, aber unter jungen Menschen ist sie deutlich weniger geschätzt. Nur 57 Prozent der Jungen (18-36 Jahre alt) halten sie für die bessere Regierungsform (71 Prozent der Älteren). Mehr als 40 Prozent (!) der Jungen sprechen sich für Militärdiktaturen aus. Besonders hohe Zustimmungswerte weisen Ägypten, Bangladesch und – als größte “Demokratie” der Welt – Indien auf. Man muss zwar bedenken, dass echte Demokratien weltweit in der Minderzahl sind. Dennoch ist das ein besorgniserregender Trend, zumal in Europa große Länder wie Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien, Polen, Ukraine, aber eben auch Russland an dieser Meinungsumfrage teilgenommen haben.
Dass junge Leute (v.a. Männer) besonders in Problemstaaten wie den USA, Russland, Ägypten, Äthiopien, Indien u.a. zu autoritären Lösungen neigen, ist nicht neu. Dass auch im Westen viele trotz jahrzehntelanger gegenteiliger Erfahrungen (wieder) glauben, “starke Führer” würden den aktuellen Problemmix aus Klimakrise, Migration, Armut, Teuerung, Pandemien etc. besser lösen können als demokratische Regierungen, ist sehr besorgniserregend. Vgl. dazu auch den Hinweis auf die Generation Z in diesem Artikel (Kapitel VI Transphobie)
(DER STANDARD / Online:  Hans Rauscher, 13. September 2023:
https://www.derstandard.at/story/3000000186638/junge-fans-von-militaerdiktaturen?ref=rss)

Dennoch vertraue ich den vernünftigen, positiven Kräften in unserem Land und meine im Sinne von A. Merkel: “Wir schaffen das!” Ich halte es da auch ganz mit Herbert Grönemeyer, der nicht müde wird zu betonen, wie viel beeindruckendes, ziviles Engagement es im Zusammenhang mit aktuellen Problemen gibt. Als Beispiel nennt er die Unterstützung von geflüchteten Menschen in der sogenannten “Flüchtlingskrise” ab 2015 oder aktuell das besondere Bemühen um die Ukrainevertriebenen. Auch regional und lokal gibt es viele Hoffnungsschimmer wie etwa die Rumänien-Hilfsaktion oder die Aktionen der Vinzenzgemeinschaft in Inzing (um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen).

GLOSSAR

AltMedia: Alternative Medien verschiedenster Art

AltRight: Die alternative (extreme) Rechte (als politische Bewegung)

Chemtrails: Begriff für eine besondere Art von Kondensstreifen, der im Zusammenhang mit einer seit den 1990er Jahren verbreiteten Verschwörungstheorie verwendet wird. Diese Kondensstreifen sollen nicht von Flugzeugen stammen, sondern stellten absichtlich weltweit in die Atmosphäre eingebrachte Chemikalien dar. Man behauptet, diese Zusatzstoffe in der Lufthülle der Erde seien sehr langlebig und würden sich flächig ausbreiten. Sie sollen eine Bevölkerungsreduktion bewirken oder militärischen Zwecken dienen.

Cis-Person: Menschen, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

Deadnaming: Eine Trans-Person provokativ mit ihrem Geburtsnamen ansprechen.

Deep State: Eine Bezeichnung für einen Staat im Staat (Schattenstaat), die zu einem negativ konnotierten politischen Schlagwort wurde. Die dabei zumeist verdeckte Macht ginge von Gruppen aus, die sich gegenüber der Regierung eines Staates nicht oder nur eingeschränkt loyal verhielten und ihren eigenen Gesetzen gehorchten. Der Begriff wird gern von Verschwörungstheoretikern verwendet und meint, dass die Regierungen fremdgesteuert seien.

Dox(x)ing / doxen: Das Sammeln und Veröffentlichen personenbezogener Daten – oft mit bösartigen Absichten gegenüber den Betroffenen, um ihnen zu schaden.

Great Replacement: Dies ist ein politischer Kampfbegriff der Neuen (extremen) Rechten, wobei die Einwanderung von Nichtweißen und Muslimen auf eine angebliche Verschwörung zurückzuführen sei – mit dem Ziel, die weißen Mehrheitsbevölkerungen in westlichen Staaten zu ersetzen (Bevölkerungsaustausch, Umvolkung, Überfremdung, Volksmord…). Dieser gezielte Genozid würde zum befürchteten Untergang der Weißen Rasse führen.  

Great Reset: Zunächst eine Initiative des Weltwirtschaftsforums (WEF), um die Weltwirtschaft bzw. globale Gesellschaft im Anschluss an die COVID-19-Pandemie neu zu gestalten. Seitdem wird der Begriff von manchen für kolportierte Weltherrschaftspläne einer finanziellen und politischen Elite, die hinter der Pandemie stecke und diese für ihre Ziele benutze, verwendet. Diese Annahme knüpft an ältere Verschwörungstheorien einer angeblichen „Neuen Weltordnung“ (New World Order) und eines „Großen Austauschs“ (Great Replacement) an.

Incels: Unfreiwillig (da sie keine Partnerinnen finden) zölibatär lebende Männer

Lookism: Der Ausdruck bezieht sich auf die Annahme, dass das Aussehen eines Menschen auf der Basis einer gesellschaftlichen Konstruktion von Schönheit bzw. Attraktivität den Wert einer Person bestimmen würde.

Memes: Beiträge im Internet, die in der Regel humoristisch, manchmal auch satirisch und entsprechend gesellschaftskritisch sind. Dabei kann es sich um selbsterstellte oder montierte Werke handeln, nämlich um bewegte und unbewegte Bilder, Texte, Videos oder auch Audios.

Misgendering: Bewusstes Benutzen des falschen Pronomens, um die Zielperson zu beleidigen.

Misogynie: Frauenhass

QAnon: So nennt sich eine Gruppe, die 2017 in den USA entstanden ist und rechtsextreme Verschwörungstheorien im Internet verbreitet. Der Gründer ist eine Person mit dem Pseudonym Q. Im Zentrum der Erzählung steht die Behauptung, dass eine einflussreiche, weltweit agierende, satanistische Elite Kinder entführen würde, sie gefangen halte, foltere und ermorde. Aus deren Blut würde ein Verjüngungsserum zubereitet. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump bekämpfe diese Elite und einen vorgeblichen „Deep State“. Die Bewegung hatte ursprünglich nur ein paar Tausend Anhänger, ist aber inzwischen weltweit auf mehrere Millionen angewachsen.

Reptiloide: Das sind fiktive Wesen, eine Kreuzung aus Mensch und Reptil. Sie kommen in Science-Fiction-Romanen vor, sind neuerdings aber auch Teil einer sehr eigenartigen Verschwörungstheorie: Sie mischten sich als (jüdische) Elite unter die Leute, um die Menschheit zu versklaven und eine neue Weltordnung (NWO) zu etablieren.

Russia Today (RT): Russisches Auslandsfernsehprogramm, das die russische Sichtweise des internationalen Geschehens als Gegengewicht zu westlichen Medien darstellen soll. Der Auslandskanal der russischen Regierung verbreitet Staatspropaganda, unterlegt mit verschiedensten Verschwörungserzählungen als Mittel eines “Informationskrieges” (Eigendefinition der Chefredakteurin).

Trans-Person:
Biologische Männer/Frauen, die ganz oder teilweise als Frauen/Männer leben.

Troll: Das ist ein unberechenbares Fabelwesen der nordischen Mythologie, das die Naturkräfte verkörpert.

Trollfabrik (auch Putinbots genannt): Bezeichnungen für eine verdeckte Organisation in Russland, die im Auftrag des Staates Manipulationen im Internet betreibt.

.

ccc

Portrait von Julia Ebner

© Phil Coomes / BBC / Suhrkamp Verlag

Sie wurde 1991 in Wien geboren. Ihre komplexe akademische Ausbildung umfasst die Bereiche Internationales Management, Philosophie (beides in Wien), Ökonomie und Entwicklungsökonomie (Peking) sowie Internationale Beziehungen (London). Der “Einfluss von Echokammern auf Identitätsfusion und Radikalisierung” ist der Titel ihrer Doktorarbeit, die sie kürzlich am St. John’s College der Universität Oxford vorgelegt hat. Sie berät u.a. UN, NATO, Weltbank und Regierungen in verschiedenen Ländern und tritt international bei Talkshows (BBC, CCN, France 24, Markus Lanz, Maybrit Illner, Im Zentrum/ORF…) als Expertin auf. Zahlreiche Artikel zu ihrem speziellen Forschungsgebiet “Radikalisierung/Extremismus” hat sie in renommierten Zeitungen wie The Guardian, The Independent oder Falter veröffentlicht. Aktuell forscht und arbeitet sie am Centre for Strategic Dialogue in London.

Quellen: Wikipedia, Suhrkamp Verlag

Diesen Artikel teilen:

Luis Strasser

Als begeisterter Leser der Printausgabe der DZ hat sich Luis – zusammen mit einem kleinen Team – nach der drohenden Einstellung der Druckversion 2019 dafür eingesetzt, die DZ in irgendeiner Form zu erhalten. Das Resultat ist der nun vorliegende Blog, an dem als Redaktionsmitglied und Autor mitzuarbeiten ihm viel Freude bereitet. Seine Schwerpunktthemen: Politik, Bildung, gesellschaftlicher Wandel, Zeitgeschichte…

Alle Beiträge ansehen von Luis Strasser →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert