27. April 2024
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Ich fürchte, wir sind nicht mehr zu retten

© Ernst Pisch
Lesedauer ca. 7 Minuten

Vor knapp zwei Jahren hatte ich in meinem Artikel Sind wir noch zu retten … über die von Menschen gemachte Umweltbelastung und vom Wachstumszwang der Wirtschaft geschrieben.

Seither wurde viel gesprochen, versprochen, auf Straßen geklebt, Solarpaneele montiert, E-Mobile und CO2-Zertifikate gekauft usw. Es wird mit dem Finger auf den jeweils anderen gezeigt. Zum Beispiel, wenn festgestellt wird, dass ein einziges Kreuzfahrtschiff, welches im Hafen von Barcelona anlegt, mehr CO2-Ausstoß produziert, als alle Autos der Millionenstadt zusammen. Und jetzt, da der CO2-Ausstoß von China inzwischen sogar den der USA übertrifft, hat man einen ganz besonders schuldigen Übeltäter ausgemacht – dass der Pro-Kopf Ausstoß aber noch hinter dem Deutschlands liegt, wird lieber verschwiegen. Ebenso spricht man lieber nicht darüber, dass es sehr viele europäische Firmen sind, welche in China produzieren lassen, um ihre Gewinnspannen zu maximieren. Stattdessen kursieren in diversen sozialen Medien „Beweise“, dass es doch gar keine Veränderung des Klimas gäbe oder dass es zwar längst technische Lösungen für all die bestehenden Probleme gäbe, deren Marktreife aber von Konzernen bewusst verhindert würde.

Zugleich wird festgestellt, dass man die Klimaziele, welche man sich bei den Klimakonferenzen vorgenommen hatte, bei weitem nicht erreicht.

Gerade eben berichtete der ORF, dass bereits „sechs von neun der planetaren Belastungsgrenzen überschritten sind“. Unter den Kennzahlen, welche den Gesundheitszustand unseres Planeten beschreiben sollen, befinden sich Parameter, wie die globale Erwärmung, Artensterben, Zerstörung von Lebensräumen, Einbringen neuartiger Stoffe in die Umwelt, Verschmutzung der Atmosphäre, Ozeanversauerung usw.

Die Flut der täglichen, sich teils widersprechenden Meldungen prasselt derart auf uns ein, dass man große Lust verspürt, all dieses Chaos mit einem lautstark gebrüllten „RUHE!!!!“ zu beenden.

Versuchen wir doch, die Situation möglichst objektiv zu betrachten und mit Vernunft und ohne von Emotionen gesteuerten Gedanken nach Lösungen zu suchen, falls sie denn tatsächlich nötig sein sollten.

Wenn ich mir untenstehende Grafik, welche ich bei meinen Recherchen auf Wikipedia gefunden habe, betrachte, so komme ich unweigerlich zum Schluss, dass die Menschheit sehr wohl etwas unternehmen sollte, völlig unabhängig davon, ob der Mensch nun Schuld oder auch nicht Schuld an einem Temperaturanstieg ist. Selbst wenn manche noch der Meinung sind, dass es überhaupt keinen Temperaturanstieg gäbe, wäre ein Handeln angebracht.

Die Grafik zeigt uns, dass es nur ziemlich kurze Zeiträume im Leben unseres Planeten gab, in denen es kühler war als in der Zeit, in der der Mensch die Weltbühne betrat. Es ist also so oder so damit zu rechnen, dass sich unsere Umwelt wieder erwärmen wird. Was die Menschheit zum Überleben am dringendsten benötigt, ist Zeit, um sich darauf einzustellen. Diese Zeit können wir nur gewinnen, indem wir alles Erdenkliche tun, um einer Erwärmung entgegenzuwirken und wenn möglich, sogar zu stoppen.

Was man ebenfalls aus der Erforschung der Erdgeschichte herauslesen konnte, ist die Tatsache, dass ein höherer CO2-Gehalt in der Luft zu höheren Temperaturen führt.

Im Kambrium, rund 500 Millionen Jahre vor unserer Zeit, lag der CO2-Anteil beim 12-fachen der heutigen Konzentration. Dafür lag der Sauerstoffgehalt deutlich niedriger – so, als ob man sich im Hochgebirge befände. Die Temperaturen lagen damals bis zu 13°C über den heutigen Temperaturen. Man spricht zwar von der „Kambrischen Explosion“, weil zu jener Zeit unzählige neue Arten entstanden, aber ich bezweifle, dass der Mensch in solcher Umgebung konkurrenzfähig genug wäre, um in gewohntem Saus und Braus weitermachen zu können.

Neben Zeiten der Entstehung neuer Arten, gab es aber auch Perioden, in denen ein regelrechtes Massenaussterben grassierte. Es gab nach heutigem Wissensstand bisher fünf solcher Perioden. Auslöser waren meist Vulkanismus. Dabei verschwanden jeweils 50 bis sogar über 90 Prozent der Arten.

Wissenschaftler stellen auch heute ein überdurchschnittliches Artensterben fest. Einige Wissenschaftler sind sogar der Ansicht, dass das aktuelle Artensterben bis zu 1000 mal stärker ausgeprägt sei, als das „normale“, sogenannte „Hintergrundaussterben“. Demnach würden wir uns somit am Beginn eines sechsten Massenaussterbens befinden. Anders als bei den bisherigen Massensterben dürfte diesmal aber der Mensch der Auslöser sein. Neben den immer knapper werdenden Flächen gesunder Ökosysteme, verschwinden Tiere und Pflanzen auch aufgrund des Konkurrenzdruckes durch eingeschleppte Arten. Globaler Handel und Verkehr verschleppen Arten in fremde Regionen und kippen dort das natürliche Gleichgewicht. Im Beitrag “Aliens” in Inzing hatte ich dieses Thema bereits aufgegriffen.

Wie es für die Menschheit aussehen könnte, wenn sie mit massiven Ressourcenengpässen und Klimaveränderungen konfrontiert wird, lässt sich alle Jahre bei Insektenstaaten beobachten. Wird das Futter im Spätsommer und Herbst langsam knapp, findet man immer mehr verendete Wespen unter ihren Nestern. Und wenn dann noch dazu die Temperaturen sinken, gleicht der Wespenstaat einem Massaker. Das bedeutet zwar nicht das Ende des Insektenstaates, wäre aber für unsere menschliche Vorstellung ein grauenhaftes Desaster. Die überlebende Wespen-Königin weiß im Gegensatz zur Menschheit in ähnlicher Situation, dass ein nahrungsreicher Frühling mit angenehmen Temperaturen auf sie wartet.

Wir kommen also zum Schluss, dass jede Anstrengung, welche einen Temperaturanstieg verhindert oder verzögert, zu unserem eigenen Nutzen ist. CO2 ist eine wesentliche Komponente, welche die Erwärmung fördert, somit sollte diese möglichst reduziert werden.

CO2 ist aber nicht das einzige Problem, welches der Mensch zu lösen hat.

Die Ressourcen der Erde sind begrenzt. Es gibt nur begrenzt Wasser und sonstige Rohstoffe, landwirtschaftlich nutzbare Flächen und damit Nahrung, bebaubare Flächen und Flächen, welche für eine gesunde Umwelt erforderlich sind. Und nicht zuletzt ist auch Energie nur begrenzt verfügbar.

Bis vor nicht allzu langer Zeit schienen diese Ressourcen in unendlichem Maße verfügbar zu sein. Das, was der Mensch für Leben, Produktion und Handel benötigte, war eine winzig kleine Menge dessen, was auf der Erde zur Verfügung stand. Es hat über Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende gereicht, ohne dass ein Ende abzusehen gewesen wäre.

Die Wende kam allerdings mit einem Wirtschaftssystem, welches ständiges Wachstum erfordert. Während der Ressourcenverbrauch bis dahin in etwa linear mit der Bevölkerung anstieg, war nun ein vom Bevölkerungswachstum völlig entkoppeltes, exponentielles Wachstum gefordert. Das hat zu mehr Wohlstand für große Teile der Bevölkerung geführt, scheint aber mittlerweile völlig außer Kontrolle zu geraten. Längst profitieren nicht mehr alle Bevölkerungsschichten davon, sondern ganz im Gegenteil konzentriert sich der Wohlstand immer mehr auf immer weniger Menschen. Was aber fatalerweise hinzukommt, ist der exponentiell steigende Bedarf an Ressourcen.

Bei exponentiellem Anstieg rückt das Ende der Verfügbarkeit einer Fläche, eines Rohstoffes oder Energieträgers sehr plötzlich in greifbare Nähe. (Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf die Grafik meines oben erwähnten Beitrages verweisen, die das Wirtschaftswachstum der letzten 1000 Jahre illustriert).

Grafik: Ernst Pisch anhand von Daten aus Wikipedia

Heuer verstarb mein Großonkel im Alter von knapp 104 Jahren. Als er zur Welt kam, betrug das weltweite Bruttoinlandsprodukt (jene Kennzahl, womit Ökonomen die Wirtschaftsleistung beziffern) knapp 3 Billionen Dollar (eine 3 mit 12 Nullen). Jetzt, als er sich in so hohem Alter verabschiedete und Ruhe fand, beträgt das weltweite BIP rund 105 Billionen Dollar. Die Wirtschaft wuchs innerhalb eines Menschenlebens auf das 35-fache! Selbst die Differenz aufs jeweils vorherige Jahr ist heute deutlich größer, als damals die gesamte Wirtschaftsleistung! Um derartig astronomische Zahlen generieren zu können, werden auch immer astronomischere Mengen an Rohstoffen und Energie benötigt.

Um es kurz zu fassen: Alles, was exponentiell wächst, findet in der realen Welt ein abruptes Ende. Ganz einfach deshalb, weil die erforderlichen Ressourcen zur Neige gehen – daran lässt sich nicht rütteln!

Um das Klimaproblem zu lösen, werden derzeit vor allem Verhaltensänderungen, Änderung bei der Produktwahl usw. gefordert. Das ist schon OK – ich habe nichts dagegen einzuwenden. ABER! All diese Maßnahmen haben linearen Charakter! Menschen steigern ihren Ressourcenverbrauch nicht exponentiell im Verlauf ihres Lebens. Wer isst mit 50 Jahren die doppelte Menge dessen, was er als 20-Jähriger verdrückt hat? Oder wer kauft sich in diesem Alter doppelt so viel Kleidung? Das Leben eines Menschen verläuft relativ linear.

Hingegen erfordert das Wirtschaftssystem ein exponentielles Wachstum. Man kann exponentiell wachsenden Ressourcenverbrauch nicht mit Maßnahmen in den Griff bekommen, welche nur linear wirksam werden. Selbst die genialste technische Erfindung wird dazu nicht in der Lage sein – so realistisch muss man sein!

Manche Firmen brüsten sich, CO2-neutral zu sein, indem sie in CO2-Zertifikate investieren. Damit werden – vorwiegend im Ausland – Maßnahmen finanziert, welche der Bindung von CO2 dienen sollen. Das wäre zum Beispiel eine Waldaufforstung. Auf den ersten Blick sehr löblich – abgesehen davon, dass nicht selten Betrug dahinter steckt, wenn z.B. zwar aufgeforstet, wenige Jahre später aber dann doch wieder alles niedergebrannt wird.

Was würde aber dieses „sich frei kaufen ohne echte Maßnahmen“ auf Dauer bedeuten? Die Firma wird aufgrund eines „gesunden“ Wirtschaftswachstums über die Jahre exponentiell mehr CO2 ausstoßen. Demgegenüber müssten dann auch exponentiell wachsende Waldflächen zur Verfügung gestellt werden. Auch Fläche ist eine endliche Ressource der Erde! Wenn das die Lösung für nicht nur einen, sondern viele Konzerne sein soll, wird bald zu wenig Fläche für sonstige Zwecke vorhanden sein. Es funktioniert so ganz einfach nicht!

Dasselbe gilt für Energie. Die Digitalisierung wird sehr viel Energie verbrauchen – ich habe bereits in meinem Beitrag Künstliche Intelligenz – Teil 2  den enormen Energieverbrauch erwähnt. Ein Wirtschaftswachstum ohne wachsenden Energieverbrauch halte ich für unmöglich. Mag sein, dass neue Erfindungen den Verbrauch reduzieren, aber auch das wären wiederum nur lineare Maßnahmen, welche das exponentielle Wachstum lediglich etwas verzögern.

Würde die Menge Energie, welche die Menschheit heuer verbraucht, jährlich um nur 2 Prozent steigen (das durchschnittliche, weltweite Wirtschaftswachstum der letzten vierzig Jahre betrug über 3%) – was glauben Sie, wäre nach 460 Jahren erreicht?

Es würde dann selbst die gesamte Energie der Sonne, welche auf die Erde trifft, nicht mehr ausreichen, um den Energiebedarf der Menschen zu decken!

Exponentielles Wachstum ist unkontrollierbar – so, wie die nukleare Kettenreaktion einer Atombombe. Man wird deshalb – um bei diesem Vergleich zu bleiben – Maßnahmen treffen müssen, um diese Reaktion zu linearisieren. Genau das passiert in einem Kernkraftwerk.

Es mag vermutlich so manchen Leser schockieren, aber unser Wirtschaftssystem wird in einer Art und Weise kontrolliert werden müssen, damit exponentielles Wachstum verhindert wird. Die Kunst wird sein, dies in einer allgemein akzeptierten Weise zu bewerkstelligen.

Und genau hier endet leider mein Vertrauen in die Menschheit.

Es kann sein, dass Rationierungen – in welcher Form auch immer – nötig sein werden. Ich höre schon laute Aufschreie. Verfechter des freien Marktes (auch darüber habe ich im Beitrag Deregulierung durch Regeln? geschrieben) werden dagegen halten, dass dies völlig inakzeptabel sei und den Prinzipien des freien Warenhandels usw. widerspräche. Andere wiederum werden sich dagegen auflehnen, weil ihre Freiheit eingeschränkt würde – „das käme ja einer Diktatur gleich“, und, und, und …

Aber seien wir ehrlich – uns allen ist doch ein Leben mit Regeln und Einschränkungen sehr vertraut. Das beginnt bereits bei der Kindererziehung zuhause. Eltern bestimmen die Regeln (im Rahmen der Gesetze; Stichwort „keine Gewalt“ usw.), welche die Kinder einzuhalten haben, da sonst unangenehme Konsequenzen folgen. In der Schule läuft es ähnlich ab. Auch in der Arbeitswelt herrscht nicht völlige Freiheit. Ich könnte mich nicht daran erinnern, dass ein Chef am Morgen demokratisch abstimmen ließ, ob die Angestellten heute lieber feiern oder arbeiten würden. In einem ähnlichen Kontext müsste man auch eine Regulierung des Wirtschaftssystems betrachten. Freiheiten ja, aber mit Regeln, welche derart gestaltet sind, dass man nicht wieder in ein System zurück verfällt, welches unseren Planeten und unsere Umwelt zerstört.

Mit Regeln, deren Sinn und Nutzen man versteht, wird doch jeder Mensch gut leben können!? Es geht schließlich um unser aller Wohl und das unserer Kinder!

Und da ich in diesem Beitrag bereits so oft auf einen meiner früheren Beiträge verwiesen habe, nun gleich noch ein letztes Mal: Wozu sind Mücken gut? So hieß mein Artikel, in dem ich daran zweifelte, dass sich die Intelligenz des Menschen letztendlich als eine erfolgreiche Eigenschaft erweisen wird, um der Menschheit eine lange Existenz auf unserem Planeten zu sichern. Wie ich erst kürzlich feststellen durfte/musste, hatte der geniale Physiker Stephen Hawking ebenfalls derartige Gedanken geäußert. Das bestätigt zwar, dass ich mit meiner Befürchtung vielleicht nicht ganz daneben liege, aber so recht darüber freuen kann ich mich über diese Bestätigung nicht.

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Ernst Pisch

Ernst fotografiert in seiner Freizeit leidenschaftlich gerne und interessiert sich für die Technik, welche dahintersteckt. Während der oft längeren beruflichen Fahrten von und zu den Kunden denkt er unter anderem auch gerne darüber nach, warum die Welt genau so ist, wie sie ist. Dabei entstehen Fragen und manchmal auch neue Interessen, Ideen und Erkenntnisse, welche er gerne mit anderen teilt.

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