Das Motiv, diesen Artikel zu schreiben, ist die Verleihung des Arthur-Haidl-Preises 2023 an die TIROLER STRASSENZEITUNG in Innsbruck anlässlich ihres 25jährigen Bestandsjubiläums.
In der Begründung der Jury heißt es:
“Der 20er und all seine VerkäuferInnen prägen das Innsbrucker Straßenbild. All diese Persönlichkeiten bereichern ihr jeweiliges Gebiet durch ihre Art und Individualität, wodurch sie die große Vielfalt ihrer Zeitung lebendig in der Stadt verkörpern. Die Zeitung befasst sich mit so vielfältigen Themen und auch die Förderung von jungen JournalistInnen und FotografInnen entspricht der Zielsetzung des Preises. Dabei gehen die Beiträge jeweils sehr in die Tiefe, eröffnen den LeserInnen neue Perspektiven auf andere Lebensrealitäten und weiten so den Blick für das Leben in seiner Vielfalt.”
Die Straßenzeitung erhielt schon Ende 2022 eine große Anerkennung (Preis der Vielfalt), nun folgte der Arthur-Haidl-Preis mit einer (dringendst benötigten) Dotierung von 10.000 Euro.
Mit diesem Preis werden seit 2004 Menschen, Initiativen und Projekte im Bereich Kultur, Jugend, Tradition, Bildung und Geisteswissenschaften ausgezeichnet, die einen außerordentlichen Beitrag zum Wohl und Ansehen der Stadt leisten.
Arthur Haidl war von 1971 bis 1977 Innsbrucker Vizebürgermeister und Landesjugendreferent. Seine Tochter Dr.in Roswitha Stiegner stiftet seit 2004 (zunächst jährlich, seit 2015 alle zwei Jahre) diesen Preis im Andenken an ihren Vater. Eine Jury berät über die Preisvergabe, die endgültige Entscheidung obliegt dann dem Innsbrucker Bürgermeister.
So weit, so (sehr) gut!!!
Mit der Novemberausgabe 2023 feiert der “20er” sein 25jähriges Bestandsjubiläum – eingebettet in einen gemeinnützigen Verein.
Das einmal im Monat erscheinende Blatt glänzt durch eine äußerst bunte Vielfalt an Themen (die sonst in anderen Medien oft nur am Rande behandelt werden) sowie durch eine in Sprache und Stil – basierend auf penibel durchgeführten Recherchen – herausragende Gestaltung.
Hier ein paar Beispiele aus einer großen Zahl von besonders interessanten Artikeln aus den letzten Ausgaben der Zeitung:
– Die letzte Reserve (Nicolas Hafele über fehlende Fachkräfte, die wir dringend bräuchten, um unsere Gesellschaft am Laufen zu halten / Mai 2023)
– EWIG LEBEN? (Theresa Girardi über den sehr komplexen Prozess des Alterns / Juli-August 2023)
– Alle so müde (Rebecca Sandbichler über die Bedeutung ausreichenden Schlafs für das Wohlbefinden des Menschen / Oktober 2023)
– Stille Helden (Melanie Falkensteiner über eindrucksvoll gelebte empathische Kompetenz / November 2023)
Die Jubiläumsausgabe der Straßenzeitung (November 2023) präsentiert eine Auswahl von Titelblättern, die die Art von Themen widerspiegeln, welche der Redaktion im Laufe der 25jährigen Geschichte des Blattes besonders wichtig erschienen:
Neben einem ausführlich dargestellten Schwerpunktthema (“Dossier”) gibt es viele kürzere Beiträge mit großer gesellschaftlicher Relevanz, Kulturschmankerln, Interviews respektive Kommentare von ExpertInnen, zahlreiche Hinweise auf Veranstaltungen im Raum Tirol und vieles mehr. Ein durchgängiges Prinzip der Zeitung ist auch die bewusste Nachwuchsförderung im Bereich Journalismus und Fotografie.
Der “20er” ist ja nicht nur eine Zeitung, sondern steht auch für ein beispielgebendes, soziales Projekt. Er bietet Menschen, die aus verschiedensten Gründen Probleme haben, ihr Leben zu fristen, die Möglichkeit, durch den Verkauf der Zeitung ein gewisses Einkommen zu erzielen. Wer kennt sie nicht, die vielen Ecken und Plätze in Innsbruck und Umgebung, wo die VerkäuferInnen stundenlang stehen und versuchen, mit freundlicher Anrede und einladender Geste Menschen zum Kauf des “Zwanzgers” zu animieren?
Mir würde z. B. bei meinen zahlreichen Besuchen in der Buchhandlung “Tyrolia” etwas fehlen, würde nicht am Eingang der mir inzwischen sehr vertraute Verkäufer (Ivan Horvath) stehen. Ich bewundere diese Menschen, wie sie geduldig ein freundliches Auftreten an den Tag legen, auch wenn viele Leute achtlos oder manche sogar abweisend an ihnen vorbeigehen. Vereinzelt ernten sie ein “Hab ich schon” (das ihnen oft mit gespieltem Bedauern entgegenschlägt). Bestenfalls aber kaufen dann PassantInnen eine Zeitung, wobei die Hälfte des Preises von derzeit € 3,40 in die Geldbörse der StraßenanbieterInnen fließt.
In der Sendung Tirol heute vom 5.10.2023 (ORF 2) beschrieb die aktuelle Chefredakteurin Rebecca Sandbichler (die seit ihrem Einstieg bei der Zeitung im Jahr 2020 deutliche qualitätssteigernde Akzente zu setzen vermochte) die derzeitigen Probleme im Zusammenhang mit dem Projekt der Tiroler Straßenzeitung folgendermaßen:
Auch wenn es in den 25 Jahren des Bestehens des “Zwanzgers” schon öfter Krisen gegeben habe, sei die Lage derzeit besonders dramatisch. Die Finanzierung stütze sich ausschließlich auf den Verkauf der Zeitung, Anzeigen und Spenden. Es gebe keine Zuwendung von öffentlichen Stellen.
Die Teuerung sowie sonstige aktuelle sozioökonomische Probleme hätten die Verkaufszahlen deutlich sinken lassen, sodass der “20er” als kleine Zeitung aufgrund der allgemeinen Konkurrenzsituation am Markt mit dramatischen Existenzproblemen zu kämpfen habe. Einerseits gingen also die Verkaufszahlen zurück, andererseits kämen aber immer mehr Menschen mit der Bitte, auch als VerkäuferInnen tätig sein zu dürfen. Dies sei eine wichtige “Pufferfunktion” des Blatts. Sie appelliere an die PassantInnen, den VerkäuferInnen, nicht nur eine Spende zu geben, sondern ihnen im Sinne der Unterstützung für das Gesamtprojekt ein Exemplar abzukaufen. Man müsse JETZT(!) etwas tun, damit der “20er” weiterexistieren könne.
Die Anerkennung durch die Verleihung des Arthur-Haidl-Preises sei ein “Mutmachpreis” und komme mit der relativ hohen Dotierung gerade zum richtigen Zeitpunkt.
Um den “20er” zu retten, bedarf es allerdings noch weiterer Unterstützung – auch durch die Politik und private Personen, denen die Erhaltung des “20ers” am Herzen liegt. Daher möchte ich an dieser Stelle einen dringenden Appell an die Leserschaft der DZ Inzing richten, diesem so herausragenden Sozialprojekt “20er” mit einer ergiebigen Spende unter die Arme zu greifen. Alle Informationen dazu bekommt man auf der Homepage der Aktion “Retten Sie den 20er”: https://retten-sie-den-20er.at/
Interview mit Ivan Horvath – einem langjährigen “20er”-Verkäufer
(Das Gespräch wird – soweit möglich – wörtlich, teilweise jedoch sinngemäß widergegeben.)
Ivan Horvath kommt aus dem Südosten der Slowakei. Er gehört zur Minderheit einer magyarisch sprechenden Roma-Gruppe. Wie in vielen anderen Ländern leben auch dort die Roma vielfach in prekären bis katastrophalen Verhältnissen, wofür es mehrere Gründe gibt. Die Arbeitslosenquote ist extrem hoch. Die Menschen werden vom Staat zu wenig unterstützt und versuchen daher oft ihr Glück im Ausland.
Ivan lebt in der Wohngemeinschaft der VINZIHerberge “Waldhüttl” in Innsbruck und ist dort sogar Obmannstellvertreter der Vinzenzgemeinschaft.
(LS) Lieber Ivan, danke für die Bereitschaft zu diesem kurzen Interview!
(LS) Wie lange verkaufst du schon den “20er”?
Ich bin schon sehr lange hier, ca. 20 Jahre. Ich habe als Straßenmusiker begonnen, bin dann mit einem Zeitungsverkäufer ins Gespräch gekommen und hab mich daraufhin beim “20er” beworben.
(LS) Wie schaut ein Arbeitstag von dir normalerweise aus?
Ich starte jeden Tag um halb 9 oder 9 und arbeite bis 18 Uhr – mit einer kurzen Mittagspause dazwischen. Samstags verkaufe ich nur bis 12 Uhr, dann fahre ich nach Hause und beteilige mich an der Gemeinschaftsarbeit im Waldhüttl.
Es ist schon ein langer Tag. Immer stehen ist oft mühsam, die Gelenke tun weh – dazu die Temperaturen: Im Winter ist es oft sehr kalt, im Sommer sehr heiß. Ich stehe immer vor der Buchhandlung Tyrolia. Die Angestellten dort sind sehr freundlich zu mir, bringen mir oft Cappuccino, laden mich ein hineinzukommen, wenn das Wetter sehr kalt oder sehr heiß ist. Sie sagen: “Ivan, du bist einer von uns.”
(LS) Wie geht es momentan mit dem Verkauf?
In letzter Zeit [vor der Medieninitiative des “Zwanzgers” / L.S.] ist der Verkauf schon sehr stark zurückgegangen. Früher habe ich oft 10 bis 15 Zeitungen am Tag verkauft, zum Schluss durchschnittlich etwa 5 bis 10. Ich kaufe von der Redaktion eine bestimmt Anzahl an Zeitungen und kann diese dann um den doppelten Preis verkaufen. Ich bin also nicht Angestellter, sondern habe den Status eines Selbständigen. Nachdem in den Medien (Zeitungen, ORF) über die schwierige Situation des “Zwanzgers” Anfang Oktober berichtet wurde, sind unsere Verkaufszahlen seither wieder deutlich angestiegen (15 bis manchmal sogar 20 Stück pro Tag).
(LS) Sind die Leute freundlich zu dir?
Zum allergrößten Teil sind die Leute sehr freundlich. Viele kennen mich schon, reden mit mir und diskutieren über verschiedene Dinge. Natürlich gibt es auch weniger nette Passanten. Dann kommen etwa Meldungen wie diese:
“Was machst du da, du bist ja Ausländer?”
oder
“Du bist nicht arm, du hast eine teure Markenjacke an!” [Eine Jacke, die er geschenkt bekommen hatte/ LS]
Aber es gibt manchmal auch Verkäufer, die relativ aufdringlich versuchen, die Zeitung zu verkaufen. Manche “schwindeln” auch ein bisschen und geben einen höheren Verkaufspreis an. Das ist nicht gut für das Image der Straßenverkäufer.
Einmal – vor etwa zwei Jahren – hatte ich ein sehr unangenehmes Erlebnis. Damals waren Verkäufer einer ganz anderen Straßenzeitung in Innsbruck aktiv, über deren aggressives Verkaufsverhalten sich Passanten bei der Polizei beschwert hatten. Daraufhin haben mich zwei Polizisten ziemlich rüde zur Rede gestellt. Als Menschen, die mich kannten, das mitbekommen haben, sind diese mir hilfreich zur Seite gestanden, worauf die Polizisten sich schließlich entschuldigt haben.
Aber insgesamt sind die Leute sehr, sehr freundlich zu mir.
(LS) Warum musst du den “20er” verkaufen?
Zuhause bekomme ich von der Regierung nur 60 Euro Sozialhilfe (das gleiche noch einmal für meine Frau). Daher brauchen wir das Einkommen vom “Zwanzger”-Verkauf dringend.
(LS) Erhoffst du dir nach der aktuellen Regierungsumbildung Verbesserungen in deiner Heimat, der Slowakei – einem EU-Mitgliedsstaat?
Nein! Der linksnationale Robert Fico ist für uns kein Hoffnungsschimmer. Dreimal hat der dies schon als Regierungschef “unter Beweis gestellt”.
(DZ) Was wünscht du dir für die Zukunft?
Gesundheit für mich und meine Familie. Ich bin ein Familienmensch. Alle zwei, drei Wochen fahre ich nach Hause in die Slowakei. Das ist sehr schön. Zuhause bleibe ich dann meistens eine Woche. Dann bekomme ich schon wieder “Heimweh” nach Tirol. Mein Herz schlägt für beide Welten – die slowakische und die Tiroler Heimat.
Dann wünsche ich mir natürlich auch, dass die Zeitung gut funktioniert. Einerseits, dass viele Exemplare verkauft werden können, und andererseits, dass uns das so freundliche und hilfsbereite Organisations- und Redaktionsteam des “20ers” noch lange erhalten bleibt.
(LS) Vielen Dank für das offene Gespräch!
Schlussbemerkungen:
Die Bezeichnung des “20ers” als “beste Zeitung Tirols” ist keine reine Schlagzeilenfloskel, sondern in Bezug auf heimische PRINT-Medien absolut ernst gemeint (sonst ist natürlich die DZ Inzing als Blog das zu empfehlende Non-Plus-Ultra der lokalen Presselandschaft 😉).
So möchte ich ganz zum Schluss dem “Zwanzger” in kollegialer Verbundenheit alles Gute für die Zukunft wünschen – und uns LeserInnen, dass niemals ein Zeitpunkt eintreten wird, zu dem wir auf diese herausragende Straßenzeitung verzichten müssen!!!
Fotos: L. Strasser