27. April 2024
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Fragwürdige Freiheitskämpfe

Jesuitenkirche: Kreuzdarstellung ,Gewalt und Missbrauch‘ von Hans Seifert
Lesedauer ca. 4 Minuten

Ich gebe es gleich vorweg zu. Wenn es um Andreas Hofer geht, dann bin ich ein wenig befangen. Zum einen weil ich einer der ersten Zivildiener Tirols war – weniger aus Opposition gegenüber dem Österreichischen Bundesheer, das ich bis zum heutigen Tag ob seiner vielfältigen Aufgaben durchaus schätzen gelernt habe, als aus der Überzeugung, dass die soziale, zivile und geistige Landesverteidigung denselben Stellenwert verdienen wie die militärische. Gerade wenn es um die geistige Landesverteidigung geht, sehe ich aktuell ob der vielen politischen wortGEWALTigen Spaltpilze, die verächtlich die kulturelle Vielfalt, die Österreich stets ausgezeichnet hat, hinterfragen und verächtlich auf andersdenkende Mitmenschen beleidigende Wortbomben werfen, dringenden Handlungsbedarf.

Zurück zu Andreas Hofer und seine Kriegstreiber. Der 20. Feber, Todestag Hofers, wurde früher in Schulen alljährlich mit einer Feierstunde begangen. Die Volkschüler wurden vor einem Bildnis Hofers, Speckbachers und Haspingers versammelt und mussten sich die Lobeshymnen auf diese „Freiheitskämpfer“ anhören, um dann lautstark – selbstgebastelte rotweiße Fähnchen schwingend – „Zu Mantua in Banden…“ zu singen. Und dann kam es: Es brauchte Schuldige für die Ermordung Hofers. Allen voran, der Verräter Raffl, den man bis in die neuere Geschichte herauf als „Judas von Tirol“ abkanzelte und somit Hofer zu einer Art Messias erhob. Heute nicht mehr gebräuchlich, gab es früher neben dem Schreibnamen, sogenannte „Vulgo“-Hausnamen. Meiner war „Raffl“. Als „Raffls-Georg“ war ich dann, obwohl in keinerlei Verwandtschafts-Nachfolge zum historischen Franz Raffl stehend, Mittelpunkt von Spott und Hohn. „Du Andreas-Hofer-Verräter“, war noch der harmloseste und vorerst gewaltlose Ausdruck. Auf dem Heimweg von der Schule bekam ich dann schon mal ein paar Prügel verabreicht. Schutz und historiengerechte Aufklärung von Lehrpersonen, denen diese Vorgänge sicherlich nicht entgangen waren, erhielt ich keine. Auch in meiner Ausbildung zum Geschichtelehrer fehlte eine differenzierte Darstellung der Vorgänge und Hintergründe rund um die sogenannten Freiheitskämpfe Tirols. Es würde hier zu weit führen, die wechselvolle Geschichte des Aufstandes zu beschreiben. Es lohnt, aktuellere Versionen der Landesgeschichte Tirols nachzulesen. Auch um zu erkennen, wie missbraucht die damalige Bevölkerung von den Rädelsführern und Hintermännern wurden und wie sehr die Menschen und das kleine Land Tirol zum Spielball der Großmächte geworden war. Es liegt mir fern, einzelne Menschen aus der Distanz von über zwei Jahrhunderten zu verurteilen. Fern liegt mir auch, Menschen in Traditionsverbänden, die viel Wertvolles leisten aber auch den Mythos Hofers hochhalten, zu verletzen. Ein Mann, der sicherlich überfordert von der zugeschriebenen und übernommenen Rolle war. Zusammenfassend darf und muss man sagen, dass die Aufstände und verheerenden Kämpfe keinerlei Nutzen für das Land gebracht haben. Letztendlich eine große Enttäuschung ausgelöst haben, auch ob des Verrates, insbesondere vonseiten des Wiener Hofes. Hofer hat sehr wohl erkannt, dass Kapitulation ein wichtiger Schritt gewesen wäre. Der Kriegstreiber Haspinger, ein später aus dem Kapuzinerorden ausgetretener Geistlicher, spielt hierbei eine sehr unrühmliche Rolle und kann nur in ein immerwährendes Prinzip münden, dass es keine „heiligen Kriege“ geben darf. Sie sind stets Gotteslästerung.

ccc

Die Forschung zu den Vorgängen und Auswirkungen der Aufstände Tirols ist sicherlich noch nicht abgeschlossen. Übrig bleiben viele…

Fragwürdigkeiten

Wer waren die Hintermänner? Welchen Nutzen hatten sie erwartet und bekommen?

Wer beschreibt das Elend und die Verarmung aller Beteiligten ob der Kämpfe und Niederlagen? Schlachtenberichte und deren Interpretationen blenden dies in der Regel aus und erschöpfen sich meist nur in Opferzahlen und Gebietsverlusten.

Warum lieferte man trotz der mangelhaften Ausrüstung und fehlenden Strategie die Menschen einem Massaker aus?

Welche Gefühle, Ängste und Sorgen hatten die Menschen, die letztendlich in einen aussichtslosen Kampf getrieben wurden?

Wie erging es deren Eltern, Ehefrauen und Kindern?

Wie viele Verletzte, Verkrüppelte, langfristig Erkrankte und Traumatisierte forderten die Aufstände?

Welche persönlichen und wirtschaftlichen Verluste gab es? Wie viele Verwüstungen und Zerstörung von Kulturgut?

Wie lange dauerte es, bis sich das Land von diesen niedergeschlagenen Aufständen erholt hatte?

Was lernen wir aus der Geschichte? Auf welchen Schauplätzen gibt es bis heute ähnlich gelagerte Wiederholungen?

Wer beschreibt und würdigt die vernunftbegabten Friedensstifter?

Diese Liste ließe sich unendlich fortsetzen. In der Regel gibt es für diese Forschungsansätze nur mangelhafte öffentliche Finanzierung. Komfortabler ist die Fortschreibung und Pflege von Mythen – nicht selten einhergehend mit der Sehnsucht, selbst in die Geschichte verwoben zu sein, bzw. sich nicht mit Anhängern des Mythos verscherzen zu wollen.

Welche Freiheit und Freiheiten gibt es, die es zu verteidigen gibt – wenn möglich mit gewaltfreiem Widerstand?

Besorgniserregend ist es, dass uns aktuell der unteilbare Wert des Friedens scheinbar abhandengekommen ist. Die Kriegstreiber und Aufrüstungsfanatiker haben Hochkonjunktur. Im wahrsten Sinn ein Bombengeschäft. Milliarden fließen in die weltweite Rüstungsindustrie – Hochverrat an den Armen, Hungernden und Heimatlosen! Die Wiederaufbau-Industrie erhofft sich ob der täglich zunehmenden verheerenden Zerstörungen astronomische Gewinne für die Zukunft. Ein Papst, der für die „weiße Fahne“ als Beginn von Friedensverhandlungen plädiert, wird als alter unwissender Trottel abgestempelt. Vergessen sind die großen Leistungen eines Mahatma Gandhi, Nelson Mandela, Martin Luther King und die unmissverständlichen Friedensbotschaften von Jesus Christus.

Dem ranghohen Offizier, der Österreich wieder „kriegstauglich“ machen möchte, sag‘ ich mit den Worten von Reinhard Mey: „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!“

Fotos: © Georg Schärmer (Ausschnitte einer Installation des Künstlers Hans Seifert, die er in der Fastenzeit vor dem Stift Wilten aufgestellt hat.)

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Georg Schärmer

Geboren am 14. März 1956. Jahrelanger Leiter sozialer Einrichtungen und Bildungsstätten; zuletzt Direktor Caritas Tirol und Vizepräsident Caritas Österreich. Vorstandsmitglied von Pflegeeinrichtungen im In- und Ausland. Autor mehrerer Bücher, Publikationen und Herausgeber von Kulturformaten. Besondere Interessen: Musik, Literatur, Architektur und Sozialraumentwicklung. „Ziel des Schreiben ist es, andere sehen zu machen“ (Joseph Conrad)

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