3. August 2025
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AUFGEGESSEN – eine Buchbesprechung

Lesedauer ca. 3 Minuten

Ein paar Scheiben schlecht gewordener Schinken hier, ein eingetrocknetes Weckerl da, eine schimmelige Zitrone oder zwei faule Zwetschken – es sind im Einzelnen meist kleine Mengen, die weggeworfen werden. Pro Kopf und Jahr summieren sie sich in Österreichs Privathaushalten statistisch zu 75 kg. Wieviel das ist, zeigt das Buch AUFGEGESSEN! von Isolde und Dieter Bornemann in eindrucksvollen Bildern. Mit solch sinnlicher Wahrnehmung wollen sie das Bewusstsein für einen anderen Umgang mit Lebensmitteln anregen.

Aktiv gegen Essen im Müll

Dieter Bornemann ist vielen als Wirtschaftsredakteur des ORF bekannt, manchen inzwischen auch als erstklassiger Fotograf. Hier stellt er seine Kunst in den Dienst eines Themas, das seiner Frau Isolde besonders am Herzen liegt: Die Ernährungsfachfrau sagt der Lebensmittelverschwendung den Kampf an.

Das Experiment

Isolde Bornemann fand 11 Haushalte, die bereit waren, vier Wochen lang jedes weggeworfene Lebensmittel zu notieren. Die Bornemanns kauften dann diese Lebensmittel nach und fotografierten sie, wie in einem Food-Blog arrangiert, vor den Personen des jeweiligen Haushalts. Die Beteiligten, obwohl eher verschwendungsbewusst und unter dem statistischen Wegwerf-Durchschnitt, waren überrascht bis schockiert.

Allen gemeinsam war das Erstaunen darüber, was doch alles anfiel. Und in den abgedruckten Interviews kristallisieren sich die Gründe heraus: Da sind einerseits die Verlockungen von Superangeboten und besonders attraktiven Obst- und Gemüseregalen. Mindestens ebenso wichtig ist ein Mangel an Koordination zwischen den Mitgliedern eines Haushalts. So kaufen zwei Leute unabhängig voneinander dasselbe ein und dann wird es nicht aufgegessen. Kinder verweigern plötzlich eine Speise, Teenager greifen spontan zu Instantgerichten, außer dem Papa will niemand die Reste vom Vortag aufgewärmt essen.

Unsicherheit und Hygienewahn

Auf jedem Joghurt steht ein Mindesthaltbarkeitsdatum. Im Kühlschrank hält es sich ungeöffnet aber ohne Geschmackseinbußen sehr viel länger. Viele, gerade Jüngere, trauen sich jedoch nicht (mehr), selbst zu probieren, ob etwas noch essbar ist bzw. gut schmeckt. Isolde Bornemann schafft hier Abhilfe mit klaren Hinweisen zur Lagerung und Haltbarkeit verschiedener Produktgruppen und plädiert für einen entspannten Umgang mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum. Die Tipps halten selbst für erfahrene Hobbyköche schlaue Life-Hacks bereit. Darauf folgen verlockend fotografierte Rezepte zur Resteverwertung.

Das Anliegen

Die Edition Lammerhuber steht für ausgezeichnete Fotografie – in Buchform und als Initiator des Global Peace Photo Award. Fotograf und Verleger Lois Lammerhuber legt über die bildnerische Qualität hinaus Wert auf gesellschaftsrelevante Themen und publiziert neben Prachtbänden auch Reportage-Bildbände, etwa über die äußersten Ränder der EU oder den langen Schatten von Tschernobyl. AUFGEGESSEN! ist so ein Band und verbindet ein gesellschaftliches Anliegen mit hoher fotografischer Qualität.

Das Buch wendet sich an Menschen, die gerne in schön gestalteten Kochbüchern blättern und, zumindest vom Anspruch her, gerne kochen. Wer vor allem gern spontan einkauft und kocht, wird hier kaum fündig. Der ästhetisch ansprechende Band verlockt dazu, den eigenen Umgang mit Lebensmitteln zu reflektieren. Wie Wolf Lotter im Vorwort schreibt: „nicht einfach dahinessen und… dahinkaufen, sondern eben bewusst, bedacht… auswählen lernen“, was einem gut tut. Die Interviews mit den Familien zeigen jedoch, wie viel innerfamiliäre Koordination dafür notwendig ist und sich wohl nicht immer durchhalten lässt. Am schwersten wohl in Familien mit kleinen Kindern, die in dem Experiment fehlten.

Die fotografische Konfrontation mit der Gesamtheit der in vier Wochen weggeworfenen Lebensmittel hat aber in allen beteiligten Haushalten zu einem vertieften Bewusstsein des eigenen Verschwendungspotenzials geführt. Wer gern kocht, kann neben dem gezielteren Einkauf auch die Rezepte am Ende des Bands nutzen, um die Wegwerfstatistik weiter zu senken. Einen Versuch wäre es wert.

Noch ein Hinweis für Fotobegeisterte

Das Festival La Gacilly-Baden Photo vom 13. Juni bis 12. Oktober 2025 ist jedes Jahr ein Fixtermin für alle, die sich für Fotografie interessieren.

Die Bilder dieses Buches sind in einer Ausstellung unter dem Titel AUFGEGESSEN! beim Festival in Baden zu sehen:
https://festival-lagacilly-baden.photo/de

Alle Fotos: © Edition Lammerhuber

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Brigitte Scott

Brigitte Scott lebt seit 20 Jahren in Inzing und ist hier im Chor Inigazingo, im Kulturausschuss als Vertreterin der Liste JuF und im Kulturverein aktiv. Bis zum Ende der gedruckten Dorfzeitung war sie viele Jahre deren (Mit)herausgeberin und vor allem an Kulturberichterstattung interessiert. Brigitte ist ursprünglich aus Salzburg und lebte 16 Jahre in England. Ihrem Beruf als Übersetzerin und Lektorin geht sie in reduziertem Umfang auch jetzt in der Pension noch nach. 2009 engagierte sie sich im Projekt Radio Enterbach und davor im Literaturprojekt Andern(w)orts, beide vom Kulturverein. Sie liebt Musik, als Chorsängerin und als rege Besucherin von Konzerten. Sie ist Mitglied des English Reading Circle, der sich jedes Monat trifft, um ein bestimmtes Buch zu besprechen, natürlich auf Englisch. Sie gartelt mit Freude, aber hauptsächlich nach der Methode "Versuch und Irrtum". Trotzdem findet sie immer wieder genug zu ernten, um ihrer Kochleidenschaft zu frönen. Saisonale und indische Küche, die sie in England erlernt hat, liebt sie besonders - und ihre Gäste ebenfalls.

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Ein Gedanke zu “AUFGEGESSEN – eine Buchbesprechung

  1. Danke für diese überaus sympathische und freundliche Buchbesprechung! Wir freuen uns, wenn sich möglichst viele Menschen mit dem Thema Lebensmittelverschwendung beschäftigen, denn es liegt in der Verantwortung jedes einzelnen, dass der Müllberg kleiner wird. Herzlichen Dank und liebe Grüße, Isolde Bornemann

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