3. November 2025
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Frauenministerin Eva Maria Holzleitner in Zirl zu Gast: Frauenpolitische Meilensteine in Österreich und heutige Herausforderungen

Lesedauer ca. 4 Minuten

Junge Menschen können sich heute kaum mehr vorstellen, wie weitgehend noch vor wenigen Jahrzehnten die Handlungsspielräume von Frauen und Mädchen in Österreich eingeschränkt waren. Vor etwa 50 Jahren hat ihre Lebensrealität noch ganz anders ausgesehen: Wenn Frauen z.B. arbeiten gehen wollten, brauchten sie die Zustimmung des Ehemannes – dieser konnte auch das Arbeitsverhältnis aufkündigen, ohne seine Ehefrau zu fragen oder einzubeziehen. Der Ehemann war rechtlich als „Haupt der Familie“ verankert, damit auch eine patriarchale Familienform als herrschende Lebensform vorgegeben. In der Arbeitswelt war es beispielsweise rechtens, dass Frauen und Männer für die exakt gleiche Arbeit einen unterschiedlichen Lohn erhielten – in Kollektivverträgen waren sogar eigene „Frauenlohngruppen“ festgeschrieben: Frauen verdienten einfach deshalb weniger, weil sie Frauen waren. Und der Schwangerschaftsabbruch wurde unter Strafe gestellt und kriminalisiert: Bis 1975 mussten Frauen in Österreich, die eine Schwangerschaft unterbrechen wollten, zusätzlich zu einer Gefängnisstrafe erhebliche gesundheitliche Gefahren riskieren.

Vor genau 50 Jahren, im Jahr 1975, setzte in Österreich die Familienrechtsreform ein und schaffte neue Realitäten. Frauen wurden in der Familie schrittweise dem Mann gleichgestellt, zahlreiche Gesetze verbesserten in Folge das Leben von Frauen und Mädchen nachhaltig. Die frauenpolitischen Meilensteine wurden in den 1970er-Jahren bis in etwa zur Mitte der 1990er-Jahre auf den Weg gebracht. Dieser Zeitraum wurde in der Politikwissenschaft als das „Goldene Zeitalter der Frauenpolitik in Österreich“ bezeichnet.

Das „Goldene Zeitalter der Frauenpolitik in Österreich“

In den 1970er-Jahren war die Zeit reif für grundlegende Veränderungen. Weltweit und auch in Österreich entstand die Zweite Frauenbewegung: Frauen kündigten lautstark das Einvernehmen mit traditionellen Rollenbildern auf, forderten Selbstbestimmung über den eigenen Körper und thematisierten und skandalisierten erstmals öffentlich Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

Zeitgleich war die Sozialdemokratie in Österreich erstmals alleine – ohne Koalitionspartner – in Regierungsverantwortung, von 1971 bis 1983 mit einer Alleinregierung unter Bruno Kreisky. Aufgrund dieser für Frauen günstigen politischen Mehrheitsverhältnisse konnten große Reformen auf den Weg gebracht werden: Sozialdemokratinnen konnten an die lange Tradition des Kampfes für die Rechte von Frauen anknüpfen und unerledigte frauenpolitische Anliegen aus der Ersten Republik wieder aufnehmen. Die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs und die Reform des patriarchalen Ehe- und Familienrechts waren erste große Meilensteine – beides wurde bereits in der Ersten Republik, im Jahr 1925, eingefordert, konnte aber damals nicht umgesetzt werden.

Die Ära von Johanna Dohnal

Das Goldene Zeitalter der Frauenpolitik ist untrennbar mit der Persönlichkeit von Johanna Dohnal verbunden. Sie war eine herausragende Politikerin. 16 Jahre lang – von 1979 bis 1995 – prägte sie in der Bundesregierung die österreichische Frauenpolitik – beharrlich, mutig und unbequem. Charakteristisch für ihre Ära war ihr Politikverständnis: Sie organisierte Frauenenqueten und Frauenforen, auch in den Bundesländern, öffnete das Bundeskanzleramt für alle Frauen und ihre Anliegen und hielt Sprechstunden ab, um die Anliegen von Frauen in Politik zu übersetzen. Besonders intensiv arbeitete sie mit Aktivistinnen aus der Zweiten Frauenbewegung zusammen.

Bis zur Ära von Johanna Dohnal existierte kein eigenständiges Politikfeld Frauenpolitik. Mit Johanna Dohnal setzte nun auch die Institutionalisierung der Frauenpolitik ein. Sie wurde 1979 als Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen angelobt. Frauenspezifische Anliegen wurden nun zur Regierungspolitik und entkoppelt von – bislang konservativer – Familienpolitik: Frauen wurden nicht mehr nur als Teil der Familie gesehen, sondern als eigenständige Personen mit Rechten, die es zu stärken gilt. 1990 wurde das Staatssekretariat zu einem Frauenministerium aufgewertet – Johanna Dohnal wurde die erste Frauenministerin in Österreich.

Die Ausstellung „Frauen machen Politik“

Die Ausstellung „Frauen machen Politik. Sozialdemokratische Visionen und Errungenschaften“, die am 28. August im B4 in Zirl gezeigt wird, nimmt genau diesen Zeitraum des „goldenen Zeitalters“ zum Ausgangspunkt: Sie thematisiert die großen frauenpolitischen Meilensteine in der Zweiten Republik wie etwa die Familienrechtsreform und die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches (1975), aber auch z.B. die rechtliche Verankerung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ (1979) oder das Österreichische Gewaltschutzgesetz (1997), das europaweit Vorbildwirkung ausübte.

Das historische Bewusstsein über diese Meilensteine der Gleichberechtigung zu stärken, ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil diese Errungenschaften nicht in Stein gemeißelt sind. Fortschritt ist nicht selbstverständlich. In vielen Ländern erleben wir derzeit Versuche, Frauenrechte einzuschränken – sei es beim Zugang zu selbstbestimmten Entscheidungen, beim Schutz vor Gewalt oder bei der Gleichstellung in Beruf und Gesellschaft. Auch traditionelle Rollenbilder und überkommene Vorstellungen von Männlichkeit nehmen in den Sozialen Medien wieder viel Raum ein.

Viele dieser Meilensteine prägen aber auch bis heute die frauenpolitische Agenda: Immer noch müssen Frauen z.B. um gleichen Lohn für gleiche Arbeit oder um eine gerechtere Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit oder um einen Kinderbetreuungsplatz kämpfen. So bleibt auch die Ausstellung „Frauen machen Politik“ nicht bei den historischen Errungenschaften für Frauen stehen, sondern fragt, wo wir heute stehen und was es nach wie vor zu verbessern gilt.

Mit einer niederschwelligen Vermittlung von Hintergrundinformationen, Zahlen und Fakten soll mit dieser Ausstellung auch das Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass Politik die Lebensbedingungen von Menschen sehr weitreichend gestalten kann und es daher wichtig ist, sich für Politik zu interessieren.

Frauenministerin auf Tour – in Zirl

Die Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner kommt im Rahmen ihrer Sommertour durch Österreich auch nach Zirl. Am Donnerstag, den 28. August nimmt sie im Veranstaltungszentrum B4 an einem Podiumsgespräch teil (gemeinsam mit der Nationalratsabgeordneten Selma Yildirim und der ehemaligen Frauenvorsitzenden Gisela Wurm; Moderation: Alexandra Weiss). Die Frauenministerin spricht über aktuelle frauenpolitische Vorhaben auf Bundesebene und steht anschließend für Fragen und Diskussion zur Verfügung. Unter dem Titel „Poetry meets Politik“ treffen starke Worte auf starke Positionen – politisch, poetisch, feministisch: Anna Maria Mühlbacher alias „Die Bacher“ eröffnet den Abend mit einem Poetry-Slam-Beitrag. Die Veranstaltung beginnt um 19:00 Uhr, aber bereits ab 18:00 Uhr kann im B4 die Ausstellung „Frauen machen Politik“ besichtigt werden.

Veranstaltungshinweis:

https://ri-tirol.at

📅 Donnerstag, 28. August 2025
📍 B4 Kulturzentrum Zirl, Bahnhofstraße 4
🕕 Einlass & Ausstellungsbesuch ab 18:00 Uhr
🕖 Veranstaltungsbeginn um 19:00 Uhr
🥨 Snacks und Getränke stehen für euch bereit

Hintergrundinformationen:

Für die Ausstellung wurde vom Renner Institut Tirol ein Begleitheft erstellt, das einen Einblick in zentrale Meilensteine österreichischer Frauenpolitik ermöglicht und mit weiterführenden Texten zum Nachdenken anregt. Download:

https://www.ri-tirol.at/themen/frauen-machen-politik/hintergrundinformationen

Zur Autorin des Blogbeitrags:

Lisa Gensluckner, Politikwissenschafterin und Mitarbeiterin im Renner Institut Tirol, hat die Ausstellung „Frauen machen Politik“ ausgearbeitet.

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