19. April 2024
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Wertloses Leben?

Lesedauer ca. 3 Minuten

„Sie kann nicht einmal einer Fliege etwas zu Leide tun“ – so spricht man über eine sehr sanftmütige Person. Ist das Leben einer Fliege wirklich das Wertloseste, was man sich nur vorstellen kann? Was bestimmt den Wert eines Lebens? – Die Größe? Das Aussehen?

Im Verlauf eines Jahres tötet jeder Mensch unzählige Insekten, Spinnen und andere kleine Mitbewohner unseres Planeten. Es geht ganz leicht – mit Fliegenklatsche, Zeitung oder mit der bloßen Hand. Die Ameise am Gartentisch wird zwischen zwei Fingern zerquetscht und auf den Rasen geworfen – einfach so während eines Gesprächs. Ohne Emotionen, völlig selbstverständlich.

Würde man das mit einer Katze tun? … Nein! Niemals!

Warum trägt man die Spinne nicht ins Freie und rettet so ihr Leben? Sie fühlt doch sicherlich auch Schmerz. Oder ist der Schmerz bei einem so winzigen Tier ebenfalls nur sehr klein?

Ich erinnere mich daran, als ich mit meiner kleinen Zehe am Türstock hängen blieb – so klein meine Zehe auch ist, der Schmerz war riesengroß!

Liegt unsere Gleichgültigkeit diesen Tieren gegenüber daran, dass sie aufgrund ihrer meist harten Schale keine Gemütsregung zeigen können? Oder ist es doch die geringe Größe, welche uns ein Gefühl der grenzenlosen Überlegenheit vermittelt?

Bienen sind eine der wenigen Insekten, die der Mensch respektiert und schätzt – aber wohl auch vor allem deshalb, weil wir uns ganz gerne an ihrem köstlichen Honig vergreifen.

Ich glaube, man muss sich auf Augenhöhe mit diesen kleinen Geschöpfen begeben, um ihren tatsächlichen Wert begreifen und etwas mehr Respekt entgegenbringen zu können.

Sieht man sich die Welt der Insekten näher an, so taucht man in eine völlig fremdartige, aber faszinierende Welt ein. Was für das bloße Auge unentdeckt bleibt, lässt uns staunen, sobald wir diese Tiere in einem Maßstab betrachten, der unserer gewohnten Umgebung entspricht.

Brust und Beine von Käfern schillern plötzlich in den schönsten Regenbogenfarben. Der pelzige Rücken von Nachtfaltern wird zu einer Ansammlung von unglaublich schön geformten Schuppen, wie sie sich der talentierteste Designer kaum ausdenken könnte.

Die Augen der lästigen Bremse zeigen schöne Farbmuster.

Selbst die alltägliche Stubenfliege bekommt ein attraktives Gesicht und man beginnt zu begreifen, warum sie sich ständig mit ihren borstigen Beinchen die Gesichtshaare kämmt. Nicht zu sprechen von den fantastischen Facettenaugen, die trotz ihrer Winzigkeit so perfekt gestaltet sind.

113, 0,,02mm, 4,5x

Sieht man sich den Flügel einer Schnake an, die fälschlicherweise oft als vermeintliche, riesige Mücke panisch ins Jenseits befördert wird, erkennt man wunderbare Strukturen. Die scheinbar glatten, transparenten Flächen sind mit winzigen Härchen besetzt.

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Die rote Waldameise trägt ein beinahe freundliches Lächeln und zwischen ihren Facettenaugen kann man noch drei weitere, kleine Punktaugen auf ihrer Stirn entdecken.

Betrachtet man die Haare einer Biene, so zeigt sich, dass sie viel raffinierter als unser Menschenhaar gestaltet sind. Jedes einzelne Haar gleicht einer winzigen Feder mit zarten Verzweigungen.

Egal, welches Insekt oder sonstigen kleinen Krabbler man sich auch unter die Lupe nimmt, alle sind unglaublich raffiniert gestaltet und konstruiert von Mutter Natur.

Ich glaube, mit dem Bewusstsein dieser verborgenen Schönheit und der Faszination fällt es etwas leichter, sich die Mühe zu machen, einem verirrten Käfer aus der Badewanne zu helfen oder einer tollpatschigen Schnake ein ohnehin nur kurzes Leben in Freiheit zu schenken.

(Übrigens: Keines der abgebildeten Tiere musste fürs Foto sterben – nicht einmal die Bremse. Sie war vermutlich schon satt und ruhte sich gerade aus, als ich sie entdeckte. Alle anderen Insekten waren bereits tot und ich fand sie entweder durch Zufall oder nach teilweise sehr langwieriger Suche.)

Fotos: Ernst Pisch

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Ernst Pisch

Ernst fotografiert in seiner Freizeit leidenschaftlich gerne und interessiert sich für die Technik, welche dahintersteckt. Während der oft längeren beruflichen Fahrten von und zu den Kunden denkt er unter anderem auch gerne darüber nach, warum die Welt genau so ist, wie sie ist. Dabei entstehen Fragen und manchmal auch neue Interessen, Ideen und Erkenntnisse, welche er gerne mit anderen teilt.

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3 Gedanken zu “Wertloses Leben?

  1. Lieber Ernst,
    danke für diese faszinierenden Bilder und nachdenkenswerten Worte!
    Sie haben mich daran erinnert, doch etwas mehr Rücksicht walten zu lassen, was mir bei Spinnen noch am leichtesten fällt. In der Küche hoffe ich, mit einem Fliegengitter die Plagegeister draußen zu halten, damit ich gar nicht in Versuchung komme, zur Fliegenklatsche zu greifen.
    Insgesamt sieht man ja beim Autofahren im Sommer, dass alle diese Insekten viel weniger geworden sind. In den 1970er Jahren hatte man die Windschutzscheibe noch voller toter Insekten, wenn man bloß von Salzburg zum nächstgelegenen Salzkammergutsee gefahren ist. Heute kann man von Inzing bis Rovereto fahren und die Windschutzscheibe bleibt fast völlig frei.

  2. Super Fotos, Ernst. Man sieht hier wieder besonders deutlich – Makro gibt schon was her! Besonders natürlich, wenn man die Tiefenschärfe durch Kombination unzähliger Fotos vergrößert.
    Und zur Rücksichtnahme. Ich vermute recht stark, dass man (und zwar wirklich jeder, also auch ich) einfach oft nicht bedenkt, dass es auch Empfindungen und Werte gibt, die wir mit unseren Sinnen nicht sehen, nicht hören oder einfach nur nicht verstehen.
    Super, dass auch einmal auf so tolle Weise darauf hingewiesen wurde.

    Robert

  3. Vielen Dank Brigitte und Robert!
    Für die, die solche Aufnahmen begeistern, habe ich hier ein paar sehenswerte Links:
    https://www.flickr.com/photos/quenoteam/ (unter den Extrem-Makrofotografenen “Der verrückte Spanier” genannt 🙂
    Javier ist auch auf Instagram zu finden: https://www.instagram.com/quenoteam/?igshid=1pbqu97ha1h2u

    Ganz besonders empfehlen kann ich auch https://www.instagram.com/sagaoptics/ auf Instagram.
    Man fühlt sich in ein fernes, tropisches Land versetzt, wenn man die Bilder von Thorben betrachtet – aber es sind alles heimische Arten (er lebt in der Nähe von Stuttgart).

    Mit der Qualität dieser beiden kann ich zwar nicht mithalten, aber hier würdet ihr auch meine Makro-Fotos finden: https://www.flickr.com/photos/photo-pie/albums/72157645018872626

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