26. April 2024
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Ein Blick aus dem (Corona)”Fenster” – Teil 3

© dpa
Lesedauer ca. 11 Minuten

Pandemie und Umwelt
Was kommt nach Corona? Über die Hüter des Gestern
Wie kann die drohende, vor kurzem noch undenkbare Erosion des kapitalistischen Systems eingedämmt werden? Wie wollen wir nach der Pandemie leben? Annäherungen an die Zukunft

ESSAY von Jürgen Berlakovich, Der Standard – online, 31. Jänner 2021

Mit Vehemenz beginnt der Autor diesen Artikel, wenn er den Kulturtheoretiker Mark Fisher zitiert:
“Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.”
Daran anschließend folgt ein enthusiastisches Plädoyer für aus der Sicht des Schriftstellers dringend notwendige – und durch die Pandemie beschleunigte – Verhaltensänderungen des Menschen, um eine nachhaltig agierende solidarische Weltgemeinschaft zu etablieren. Ein sicherlich hehres Anliegen!
In Teilaspekten nimmt Berlakovich Stellung zu Themen wie der “Erosion des Kapitalismus”, der “Second-Hand-Version des Prä-Covid-Lebens”, zu “Auswegen aus der Misere”, “Kollektiver Ökonomie”, “Braver Untertanenmentalität” und zum “Missbrauch der freien Rede”.
Folgendes Zitat kann stellvertretend für Berlakovichs Grundideen einer durch Corona veränderten Gesellschaft stehen:
“Die Pandemie deckt [so] auf eine faszinierend klare Weise – wie schon des Öfteren erwähnt – die kollektiven und individuellen Defizite unseres Systems auf und gewährt dabei einen erschreckenden Blick auf die unzähligen ideologischen Viren, die sich da in unser aller Köpfen festgesetzt haben.”


Dieser Beitrag wird mit ausdrücklicher Erlaubnis des Autors und von STANDARD / Verlagsgesellschaft hier wiedergegeben!

Eine heilige Kuh auf einer Müllhalde in Indien: “Die Pandemie wäre ein günstiger Zeitpunkt, ein Bewusstsein dafür zu bekommen, dass wir alle Teil einer Weltgemeinschaft sind.” Foto: Imago / ZUMA Wire / David Talukdar

“Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.” An diesen von dem im Jahre 2017 verstorbenen Kulturtheoretiker Mark Fisher zitierten und Fredric Jameson und Slavoj Žižek zugeschriebenen Slogan musste ich im Laufe des Jahres 2020 während der Sars-CoV-2-Krise immer wieder denken.
Immer dann, wenn Menschenleben gegen ökonomische Notwendigkeiten aufgerechnet wurden. Immer dann, wenn ich miterleben musste, wie zu Beginn der Pandemie Lebensmittel und Hygieneartikel gehamstert wurden, als gäbe es kein Einkaufsmorgen mehr.
Immer dann, wenn plötzlich die ganze Welt unterzugehen schien, weil selbst die basalsten, staatlich verordneten pandemischen Maßnahmen eine unmöglich weiter hinzunehmende menschliche Tragödie, eine empörende Beschneidung der individuellen Freiheitsrechte und vollkommen inakzeptable Zumutung darstellten, da es ja keine Aussicht mehr auf Sommerurlaub, Flüge, Schiffsreisen, Skifahren, Restaurantbesuche, Kulturveranstaltungen, Shopping oder das Tanzen im Club gab.

Skeptisches Schulterzucken

Gleichzeitig dazu wurden reale Zahlen von tausenden an Corona verstorbenen Menschen mit einem skeptischen Schulterzucken abgetan und die dahinterstehenden Schicksale und das damit verbundene Leid, unterstützt durch dummdreiste Dilettantenexpertisen, einfach ignoriert.
An diesen Satz musste ich auch denken, als ich die zwanghafte und oft ins Leere laufende Produktivität rund um mich wahrnahm oder an mir selbst beobachten musste, die sich gefühlt wenige Sekunden nach dem ersten Lockdown überall breitmachte und im Grunde seither nicht mehr aufgehört hat.
Eine durch Job- und Einkommensverlustangst befeuerte, fiebrige, digitale Geschäftigkeit war zu spüren, branchen- und milieuübergreifend wurden Meetings und Chats anberaumt, Videos versendet, neue digitale Kanäle angelegt, und stetig anschwellende Livestreams durchziehen seitdem das Internet. Content, wenn schon sonst nichts, dann musste zumindest ganz im Sinne der guten alten Produktions- und Profitmaximierungsideologie Content generiert werden.

Scheitern an den Ängsten

Wir alle scheitern nach wie vor angesichts dieser Pandemie vor allem an unseren Ängsten, die wir aber, ganz der allumfassenden Verwertungslogik folgend und weil wir es nie anders gelernt haben, als unsere vermeintlichen Ansprüche identifizieren. Corona hat uns zu Beginn des Ausbruchs während des ersten Lockdowns Anfang des Jahres für einige Momente – wenn es hoch herkommt Wochen – auf eine surreale und natürlich nur oberflächlich durch eine “Erste-Welt-Problembrille” betrachtete Weise zu Gleichen unter Gleichen gemacht.
Für eine kurze Zeit schien die Menschheit über alle Kontinente hinweg zumindest graduell und in Variationen von derselben existenziellen Angst befallen zu sein. Plötzlich hatten alle keine Aussicht. Die Zukunft schien für alle gleich unvorhersehbar, und sich prinzipiell ausschließende kollektive und singuläre Zustände näherten sich aneinander an.
Der Shutdown der Welt und der Lockdown des Einzelnen verschmolzen. Die Grenzen unserer Wohnungen und die Grenzen unserer Welt fielen in eins, und unser aller kollektive Hölle waren für einige Wochen aus direktem Mangel am Anderen nun definitiv plötzlich nur mehr wir selbst.
Das wäre also eine günstige Gelegenheit gewesen, so etwas wie ein Bewusstsein zu erlangen für die faktisch erdrückende Erkenntnis, dass wir alle Teil einer zusammenhängenden, voneinander abhängigen und daher hoffentlich auch solidarischen Weltgemeinschaft sind.

Erosion des Kapitalismus

Diese existenzielle Angst wich aber bald der nur noch rein ökonomischen Angst und Desorientierung, und nun fragen wir uns: Wie soll die drohende, vor kurzem gänzlich undenkbare Erosion des kapitalistischen Systems und der ökonomischen Kräfte eingedämmt werden? Wie werden wir unser Leben nach der Pandemie führen? Wie sollen wir uns darauf vorbereiten?
Und die wichtigste Frage von allen dabei: Wie kann die Wirtschaft wieder angekurbelt werden, wie kann unserer Leben, dessen Sinn anscheinend ausnahmslos aus Produktion und Konsumation besteht, endlich wieder Fahrt aufnehmen?
Genauso wichtig in diesem Zusammenhang scheint mir allerdings auch die seltener gestellte Frage zu sein, wie wir unser Leben eigentlich vor der Pandemie geführt haben. Wie konnte es dazu kommen, dass diese Pandemie, vor der die Wissenschaft schon seit langem gewarnt hatte, innerhalb kürzester Zeit die komplette Weltwirtschaft derart ins Wanken brachte?

Secondhand-Version des Prä-Covid-Lebens

Auf welch brüchigem, substanzlosem Fundament war denn dieses unhinterfragte System aufgebaut, dass es so einfach und nahezu aus dem Nichts so gewaltig ins Taumeln geriet? Ohne Arroganz und durchaus im Bewusstsein des immer schon bestehenden großen weltweiten, ökonomischen Ungleichgewichts frage ich mich daher: Wie könnte eine vollkommen andere, weniger konsumistische, weniger produkt- und profitorientierte, dafür aber existenziell umso nachhaltigere und damit viel angstfreiere Welt aussehen?
Es wäre also an der Zeit, ein paar grundlegende Änderungen vorzunehmen, wenn wir nicht eine Secondhandversion unseres früheren Prä-Covid-Lebens führen wollen. Es wäre an der Zeit, unser Denken, unsere Weltsicht und unsere zementierten Gewissheiten und Überzeugungen infrage zu stellen und eine grundlegende Bewusstseinsverschiebung vorzunehmen.
Was wäre, wenn wir uns doch noch das Ende des Kapitalismus, zumindest so wie wir ihn kennen, vorstellen könnten, ohne dabei ein nachhaltiges und gutes Leben gegen eine zweifelsohne notwendige und funktionierende Wirtschaft ausspielen zu wollen?

Auswege aus der Misere

Wie wäre es, wenn wir die Idee einer globalisierten Welt retteten, indem wir die Prämissen eines vollkommen sinnentleerten Turbokapitalismus endlich aufgeben würden und die uns alle vereinnahmende und sinnlose Konsumgier endlich hinter uns ließen? Wäre das so schlimm? Ist das tatsächlich ein unmöglicher Gedanke?
Was wären denn die impliziten Folgen? Böte diese Vorstellung nicht Anstöße zu möglichen Auswegen, gerade aus der momentan vollkommen verfahrenen Misere? Für viele klingt das hoffnungslos naiv, ich weiß, aber für mich steckt da ein durchaus tröstlicher Gedanke darin.
Was würde es bedeuten, diesem Kapitalismus, diesem schwammigen System, unter dem alle etwas leicht anderes verstehen, das so allumfassend und gottgleich unsere Lebensrealität bestimmt und das uns zweifelsohne indirekt überhaupt in diese Krise geführt hat, eine radikal eingeschränkte und bei weitem nicht mehr so wichtige und alles vereinnahmende Rolle in unserem Leben zuzuschreiben?
Bewusst und mit der notwendigen Bereitschaft, ein anderes, reduzierteres, vom tonnenschweren Ballast vollkommen unnötiger Produkte, Verhaltensweisen und Arbeitsmethoden befreites Leben in Erwägung zu ziehen.
Selbst wenn wir nur mehr das konsumieren würden, was wir vor der Pandemie verschwendet haben, behaupte ich hier einfach einmal, hätten wir wahrscheinlich genug.

Kollektive Ökonomie und Gemeinwohl

Sinnlosigkeit und Ratlosigkeit, wohin man blickt. Vielleicht sollten wir endlich einmal beginnen, darüber nachzudenken, was wir in unserem privaten Leben und unseren kollektiven Ökonomien im Sinne eines Gemeinwohls verbessern könnten.
Wie wir radikal all unsere Energien und Kräfte für eine gerechtere Welt einsetzen könnten, anstatt sie an Wettbewerbsdenken und Profitmaximierung zu verschwenden, um schnellstmöglich den Reset des alten Neoliberalismus in die Wege zu leiten.
Wie wir unsere Produkte und Lebensmittel, die Produktions-, Vertriebs- und Reisebedingungen unter vernünftigen klimapolitischen Überlegungen neu gestalten könnten.
Wie wir bewusster mit unseren dekadenten Konsumgewohnheiten, den kulturellen Gütern und der Kunst, unseren Ressourcen, unserer Arbeitskraft, unserer Energie und der sinnvollen Nutzung digitaler Technologien umgehen könnten.
Wie wir in allen Lebensbereichen ein nachhaltigeres System aufbauen könnten und ernsthafte Modelle einer verbesserten Bildung für alle und einer existenziellen Grundsicherung umsetzen könnten, um damit Menschen eine Form von Sicherheit zu geben, die sie davon abhält, Verschwörungstheorien und bizarren politischen Faktenverdrehungen zu folgen, auch dann noch, wenn die Produktionsmaschinerie mal für eine Weile nicht ganz so glatt läuft.

Der Zug scheint wieder abgefahren

Aber mir scheint, dieser Zug ist bereits wieder abgefahren, schneller, als man überhaupt schauen konnte. So wie bereits zwischen der ersten und von allen Expertinnen immer schon vorausgesagten zweiten Welle einfach weitergemacht wurde, als wäre nichts gewesen, nichts passiert, bleibt auch jetzt einzig die Frage zu stellen, was mit uns allen nicht stimmt, dass wir nach all den Entwicklungen des letzten Jahres nach wie vor diesen absolut irren, besinnungslosen Zustand des Konsumwahns permanent und so schnell wie möglich reetablieren wollen.
Die althergebrachte Bullshitrekonstitution ist längst wieder voll im Gange. Die unzähligen Hüter des Gestern mit ihren alteingesessenen Weltanschauungstrademarks stehen in den ersten Reihen bereit und scharren in den Startlöchern, um mit ihren verstaubten politischen, philosophischen, künstlerischen und ökonomischen Taschenspielertricks die Gesellschaftssysteme von neuem zu vereinnahmen.
Information zum Zwecke der Desinformation. Keine Bereitschaft zur Selbstreflexion. Die Kommerzialisierung unserer Privatmeinungen auf den Social-Media-Plattformen. Anstatt im politischen Diskurs das Miteinander zu suchen, sehen wir überall nur ein politisches Hickhack und eine kleingeistige, wenn auch globale Vorwurfsunkultur, wohin man blickt. Denn Schuldige müssen unbedingt gesucht und ausfindig gemacht werden. Darauf soll nun alle Diskursenergie verschwendet werden.

Brave Untertanenmentalität

Die Länder, die Verursacher, die Übertreiber, die Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die mutwillig und übertrieben einen totalen Lockdown herbeigeführt haben, und all die Politiker und Politikerinnen, die nicht genug oder doch zu viel getan haben, zu viele Erlässe und Regeln, zu wenig Geldflüsse, Impfstoffe und Lockerungen freigesetzt oder verhindert haben. Von den bizarren Verschwörungstheorien ganz zu schweigen.
Für mich spiegelt sich in vielen dieser Haltungen eine leider oft sehr infantile, rotzfreche, wenn schon auch brave Untertanenmentalität wider, eine Unselbstständigkeit im Denken der Einzelnen, die ich in diesem Ausmaß bei vielen Menschen ehrlich gesagt so nicht vermutet hätte. Wirkliche politische und persönliche Freiheit für die Mitglieder freier Gesellschaften ist komplex, anspruchsvoll, anstrengend und fordernd und leider nicht im Sonderangebot zum Dauertiefpreis zu haben.
Die Pandemie zeigt überdeutlich die globalen Zusammenhänge und die Notwendigkeit zur Kooperation und Solidarität auf, um daraus eine ausgewogene und vorurteilsfreie Balance aus regionalem und globalem Vorgehen zu entwickeln. Doch die momentanen allgemeinen Reaktionen auf diese Tatsache verweisen eher auf einen reflexhaften Rückschritt in nationalistisch gefärbte Positionen des 19. Jahrhunderts als auf die Bereitschaft, ein Bewusstsein für das Gegenteil und damit eine Aussicht für die Zukunft des 21. Jahrhunderts zu entwickeln.
Die Pandemie deckt so auf eine faszinierend klare Weise – wie schon des Öfteren erwähnt – die kollektiven und individuellen Defizite unseres Systems auf und gewährt dabei einen erschreckenden Blick auf die unzähligen ideologischen Viren, die sich da in unser aller Köpfen festgesetzt haben.

Missbrauch der freien Rede

Die Marktkonzentration riesiger Konzerne schreitet währenddessen nach wie vor unverdrossen voran. Die Granularisierung von Meinungen, das politische Lügen und Faktenverdrehen und der Missbrauch der freien Rede auf den Social-Media-Plattformen, die sich allesamt jüngst in den USA in einer gewalttätigen Totaleskalation in Form eines massiven Angriffs auf die Grundfesten der Demokratie in der analogen Welt manifestiert haben, scheinen massiver denn je.
Groteske Fiktionen und Wirklichkeitsverzerrungen kapern mittlerweile täglich im Großen wie im Kleinen unsere Realität, und wir lassen es zu, indem wir sie durch unsere eitlen Kommentare womöglich noch verstärken. All das wird auch in Zukunft, so fürchte ich, weiterhin in variierter Form in immer neuen Wellen auf uns zukommen.

Quelle: Der Standard – online, 31. Jänner 2021

Jürgen Berlakovich studierte deutsche Philologie und Philosophie, er arbeitet als Schriftsteller, Musiker und Klangkünstler, schreibt, komponiert und produziert Romane, Filmmusik, Hörspiele, Audiokarikaturen und Palindromsongs. Er betreibt das JSB Trio und ist Ensemblemitglied von The Vegetable Orchestra. Publikationen und Auftritte auch unter Juergen Berlakovich, J.S. Berlakovich, JSB und Takamovsky.

https://www.derstandard.at/story/2000123710487/was-kommt-nach-corona-ueber-die-hueter-des-gestern

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Vom Umgang mit globalen Krisen
FATALER JETZTISMUS
Als Reaktion auf die Coronapandemie schalten viele in einen Gegenwartsmodus. Doch im Kampf gegen den Klimawandel müssen wir die Zukunft verteidigen.

Gastkommentar von Luisa Neubauer, taz online, 30.1.2021

Luisa Neubauer – Foto: Wanda von Bremen

Luisa Neubauer stellt gleich zu Beginn fest, dass man glaubte, durch die Erfahrungen mit COVID-19 in den ersten Monaten der Ausbreitung der Krankheit generell etwas für die Bewältigung von Krisen insgesamt gelernt zu haben, und dass man dadurch gestärkt die ökologischen Katastrophen in Angriff hätte nehmen können. Leider erweise sich dies als Irrtum. Man hätte sich in der Gegenwart verfangen, ohne zeitlich nach vorne zu blicken.
Sie stellt weiters fest, dass die Pandemie nicht überraschend gekommen sei und es einen klaren Zusammenhang zwischen der weltweiten Verbreitung des Erregers und vom Menschen verursachten ökologischen Problemen im Lebensraum bestimmter Tiere gebe. Diese würden als Wirte für die Viren fungieren und für deren Weitergabe an den Menschen im Rahmen der Zoonose (beispielsweise HIV, Ebola, MERS und wohl auch SARS-Cov-2) verantwortlich sein.
Luisas hartes, aber treffendes Urteil:
“Und so hat die Kombination aus coronabedingter Krisenmüdigkeit und erwachsendem Bewusstsein für die nahenden planetaren Kipppunkte ganz nebenbei das Gegenwärtige als beste verfügbare Option zementiert. Wenn die Zukunft schlicht eine extremere Version des Heute sein soll, dann wollen viele nach der nächsten Welle noch lieber nochmal eine Runde Gegenwart verkonsumieren, statt sich mit Zukunftsfragen zu belasten. Feiern bis zur Apokalypse.” Diese Einstellung nennt die Autorin “neuartige Zukunftsverdrossenheit”. Sie prophezeit, dass der Jetztismus der Regierungen nicht mehr aufgehen kann, da die Umbrüche dieses Jahr größer seien als je zuvor.
Zum Schluss gibt L. Neubauer einen Ausblick auf unmittelbar bevorstehende, politische Ereignisse (Wahlen, internationale Gipfeltreffen und Abkommen), die für die globale ökologische Zukunft von großer Bedeutung sind.

Luisa-Marie Neubauer ist Klimaschutzaktivistin und eine der HauptorganisatorInnen von Fridays for Future in Deutschland.
Trotz ihrer Jugend tritt sie äußerst überzeugend und eloquent für die Anliegen des Klimaschutzes in der Öffentlichkeit in Erscheinung (bei Demonstrationen, Talkshows…).
Sie ist auch Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.

https://taz.de/Vom-Umgang-mit-globalen-Krisen/!5743893/

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Gegen den Strich denken
“Goldenes Brett vorm Kopf” – Wenn Wissenschaft zu Sektierertum mutiert
Die selbsternannten Verteidiger der Wissenschaft schaden ihr oft mehr, als dass sie ihr nützen. Und der Gesellschaft auch

Ortwin Rosner, Der Standard online / Blog, 18. Jänner 2021

Illustration: Das goldene Brett / Der Standard

Der Anlassfall: Der Arzt Sucharit Bhakdi wurde im Dezember 2020 für seine “unwissenschaftlichen Verharmlosungen” der COVID-19-Pandemie mit dem “Goldenen Brett vorm Kopf” von den Wiener Skeptikern, dem lokalen Ableger der Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) in Österreich “ausgezeichnet”.
Diese Gelegenheit nahm O. Rosner wahr, um im Standard-Blog über das Wesen von Wissenschaft nachzudenken. Sein Artikel wurde in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sehr kontrovers diskutiert:

Ist die Kritik des Autors an den Vorhaltungen der Wiener Skeptiker gegenüber Corona-Leugnern und -Zweiflern wie Sucharit Bhakdi, einem hoch dekorierten deutschen Mikrobiologen und Infektionsepidemiologen, berechtigt
ODER
handelt es sich bei Rosners Abhandlung um ein semantisches Geplänkel (“wissenschaftliche Fakten” versus “wissenschaftlich belegte Fakten”, “Fakten” versus “Messungen faktischer Gegebenheiten” – u. Ä.), das in der derzeitigen Situation niemandem nützt?

Die Grundsatzfrage, was Wissenschaft ist und wie mit dem Begriff “Fakten” umzugehen ist, zieht sich durch den ganzen Artikel.
Grundtenor: Wissenschaft liefert im Selbstverständnis keine Fakten, sondern lässt immer Raum für kritisches, auf mögliche neue Erkenntnisse ausgerichtetes Weiterdenken.
Rosner formuliert: “Abschließende Wahrheiten – das, was [hier] andauernd schlampig ‘Fakten’ genannt wird – kennt die Wissenschaft im strengen Sinne des Wortes übrigens gar nicht. Denn das Wesen echter Wissenschaft ist eher Zurücknahme im Urteilen, Aufschub des Urteils, als Urteilen.”
Er verweist dann auf den österreichischen Wissenschaftstheoretiker Karl Popper, der dieses Element der Definition von Wissenschaft im Falsifikationsprinzip veranschaulicht hat.
Der Autor wirft den Wiener Skeptikern vor, sich als Hüter der echten Wissenschaften zu gerieren und dabei denselben Fehler zu begehen wie Außenseiter und Abweichler des Wissenschaftsbetriebes.
Ich wäre den LeserInnen sehr dankbar, wenn sie ihre Meinung zum Inhalt des Artikels von Rosner im Kommentar-Tool zum Ausdruck brächten.

Ortwin Rosner, Jahrgang 1967, studierte Germanistik und Philosophie in Wien, lebt dort als Schriftsteller.

https://www.derstandard.at/story/2000123166768/goldenes-brett-vorm-kopf-wenn-wissenschaft-zu-sektierertum-mutiert

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Corona als persönliche Kränkung
Für den Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann zeigt sich im Umgang mit Corona eine gekränkte Gesellschaft: Jeder und jede leidet anders, viele suchen nach Schuldigen und empören sich über eine gefühlte Freiheitsberaubung. Das Leid, das die Krankheit verursache, gehe in diesem Diskurs unter.

Konrad Paul Liessmann im Gespräch mit Christiane Florin
Deutschlandfunk , 25.1.2021

© Zsolnay Verlag

K. P. Liessmann, der bekannte österreichische Philosoph, spricht im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie von einer großen Gekränktheit der Gesellschaft und versucht, dieser auf den Grund zu gehen.
Seine fundamentale These lautet:
Die Corona Pandemie betrifft ALLE, sei es körperlich, seelisch, wirtschaftlich oder sozial. In diesem individuellen Gekränkt-Sein verliert der Einzelne den kollektiven Kampf gegen die ansteckende Krankheit aus dem Blick. Darüber hinaus sucht man nach Schuldigen bzw. Verantwortlichen, um die Kränkung abzuwehren. Die Tatsache, dass man keinen eindeutig Schuldigen ausmachen kann, verstärkt das Gefühl der Kränkung noch einmal.
Liessmann führt weiter aus, dass wir Menschen dazu neigen, immer alles zu individualisieren und nicht merken, dass die Gesellschaft als Gesellschaft herausgefordert ist.
Der Autor zeigt Verständnis dafür, dass die Menschen nach so langer Dauer der Pandemie und den daraus folgenden Konsequenzen langsam verzweifeln und nicht mehr die hohe Bereitschaft zeigen, sich zurückzunehmen, wie in der ersten Phase 2020.
Im Zusammenhang mit der Position vieler, dass die aktuellen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung die persönlichen, verfassungsmäßig verbrieften Freiheitsrechte einschränken würden, vertritt Liessmann die Meinung, dass dies aus der individuellen Perspektive zwar nachvollziehbar sei, dass es aber andererseits um den Schutz der Gesellschaft vor einer sich dramatisch ausbreitenden, ansteckenden Krankheit ginge.
Man solle das Bewusstsein dafür schärfen, was es bedeute, “dass eine Gesellschaft solch eine Anstrengung unternimmt, um auf der einen Seite diese einschränkenden Maßnahmen möglichst effizient durchzuführen und auf der anderen Seite die negativen Konsequenzen dieser Maßnahmen so weit als möglich immer auch abzufedern.”
Schließlich weist der Autor noch darauf hin, dass Menschen, die schwere Krankheitsverläufe durchmachen mussten und solche, die daran gestorben sind, aus dem öffentlichen Bewusstsein nahezu verschwunden seien. Sie tauchten nur in der Statistik auf. Dabei würde überhaupt nicht interessieren, welche Konsequenzen die Krankheit für Menschen tatsächlich hätte.
Es müsse viel stärker in den Blick genommen werden, was es bedeute, an diesem Virus zu erkranken, und was es bedeute, als individuelles Schicksal davon betroffen zu sein.

Konrad Paul Liessmann ist ein österreichischer Philosoph und Universitätsprofessor für „Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik“ an der Universität Wien.
Eine lange Liste veröffentlichter Bücher (u.a. “Theorie der Unbildung”) zeugt von seiner beeindruckenden Schaffenskraft. 

https://www.deutschlandfunk.de/corona-als-persoenliche-kraenkung-philosoph-tun-uns-schwer.886.de.html?dram:article_id=491345

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Luis Strasser

Als begeisterter Leser der Printausgabe der DZ hat sich Luis – zusammen mit einem kleinen Team – nach der drohenden Einstellung der Druckversion 2019 dafür eingesetzt, die DZ in irgendeiner Form zu erhalten. Das Resultat ist der nun vorliegende Blog, an dem als Redaktionsmitglied und Autor mitzuarbeiten ihm viel Freude bereitet. Seine Schwerpunktthemen: Politik, Bildung, gesellschaftlicher Wandel, Zeitgeschichte…

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