19. April 2024
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„Irgendwas bleibt“ – Liebesbrief an den großen Rosenritter

Foto: Roland Pargger
Lesedauer ca. 6 Minuten

„Wenn ich groß bin, werde ich Ritter!“…So selig glücklich hast Du unter dem Helm verschmitzt in die Welt gelächelt. Dein Kosmos drehte sich um Dich. Wie oft bist Du versunken in Deiner Kinderwelt, die Dir Schutz, Sicherheit und Freiraum bot, um die Welt „da Draußen“ kennenzulernen und zu erspüren.

Du warst verliebt in Deine erste Kinderkrippentante, an deren liebevoller Hand Du mehr Zeit verbrachtest, als an meiner. Ich war nie eifersüchtig – ich hab nur gemerkt, Du entgleitest mir. Dann war Dein Bruder unterwegs in diese Welt und ich zog die Reißleine. Ich wollte Dich endlich richtig kennenlernen, nur wir zwei allein, bevor das neue Leben unsere Welt auf den Kopf stellen würde. Ich begriff es als unglaubliches Glück, als geschenkte Zeit zu erleben, wie Deine Hand begann, sich in meine zu schmiegen, ganz so, als hätten wir noch nie etwas anders gemacht. Nicht mehr Zams und meine Arbeitsstelle, sondern unser Zuhause in Inzing wurde nun zu unserem Lebensmittelpunkt, wir hatten plötzlich so viel Zeit…und doch, bist Du mir bis heute ein Geheimnis geblieben, denn jedes Deiner Lebensjahre war und ist neuer und aufregender, als mit Deinem Bruder.

Mit Dir erlebe ich alles zum ersten Mal, denn ich hatte vor Dir doch noch nie ein Kind im Alter von 0-10, bald 11…Das ist jedes neue Lebensjahr hindurch ein erstes Mal…Was Du darauf sagst? „Ja, für mich ist das auch das erste Mal!“, recht hast Du. Mitunter stellt sich wohl darum auch fast täglich die Frage, wer das Experiment ist und wer der lustige Mensch, der einen übers Stöckchen springen lässt…Die Trigger der pubertären Vorahnung…wir können nur raten, was uns gegenseitig noch blüht…Hauptsache Flügel, Nest und Vertrauen gehen nicht verloren. Bei sich bleiben und wachsen: miteinander, füreinander, als Kind auch durchaus auch auf Kosten anderer…Flügel und Festhalten – die Balance eines der großartigsten, wichtigsten Stürme des Lebens.

Uns geht die Zeit aus, mein Kind: Du wächst hinaus über dieses Leben, das ich Dir bieten kann. Und nächtelang frage ich mich bang: Hab ich genug gegeben? War ich zu hart, zu weich? Kann er umgehen mit dem Leben und dessen Herausforderungen? Welche Dinge muss ich schon jetzt vorhersehen können? Wird er traurig sein? Wird er glücklich sein? Wieviel Gutes, wieviel Schlechtes hat er von mir? Bin ich eine gute Mutter? Was alles liegt noch vor ihm und seinem Bruder in einer Welt, die immer unbeständiger wird? Reicht es aus zu sagen: „ich bin für Dich da“?…Wo ist die Zeit geblieben?

Du wächst aus unserem gemeinsamen Leben heraus, wie aus einem zu klein gewordenen Kleidungsstück.

Was bleibt, ist die Erinnerung, der gepflanzte gute Samen, das Stück Heimat in der Fremde, in anderem Gewand. Du wirst neue Kleidung tragen; eine, die nicht ich Dir aussuchen werde; eine, mit der ich vielleicht nicht einverstanden bin, aber das wird Dein Ding werden. Loslassen…nich so schlimm, tut nur ein bisschen weh, ein bisserl mehr als ein bisschen, naja, noch ein bisschen mehr…an dieser Stelle komm ich nicht drumrum, Dir zu sagen: „Ich lieb Dich!“, aus der Nummer kommen wir beide nicht mehr raus…Und doch: Freiheit, die Du jetzt brauchst und ich halte dennoch die Arme und mein Herz weit offen…ich bin da! Meine Liebe ist an keine Bedingung geknüpft! So werd ich Dich einfach wachsen lassen. Wenn ich meine, Du stehst am falschen Ort, hab ich Dich im Blick und versuch, dass Du’s nicht merkst. Ich bin da, um Dich aufzufangen oder um Dich zu bremsen. Denn einer Sache sei gewiss: Du kannst nicht fallen – nicht tiefer, als in mein Herz…das Beständigste, das ich Dir anbieten kann.

Völlig unabhängig davon, wie unbeständig auch die Welt außerhalb meines Herzens  sein mag…Es gibt einen Platz nur für Dich…Du mein großer, kleiner zuweilen sehr stachelig aufblühender Kamerad, der unbeirrbar vor sich hinwächst, wie mein erstaunlicher Rosestrauch, der vorn im Garten an der Ecke steht, dieses zweifarbig blühende Stämmchen…dieses wundersame, wunderbare Wunder, dem ich jeden Tag bass erstaunt gegenüberstehe. Diese Rose, mit der ich rede, mit der ich – wie der kleine Prinz – auf unserem Planeten wohne…ich streichle sie, die zauberhaft Schöne und sehe ihr bei der eigentlichen Unmöglichkeit ihrer sprühenden Entfaltung zu.

Ich war es, die sie in einen unbekannten Kosmos gestellt hat. Ich pflanzte sie in eine Welt, die ihr völlig fremd und für Rosenverhältnisse unbeständiger war, als eigentlich erlaubt: der Boden, für ihre Gattung völlig unangebracht, der Standort absolut verkehrt, den Elementen wahrhaft auf Biegen und Brechen ausgesetzt, ungeschützt jedem Sturm, Hagel und Regen trotzend. Sie, die wunderschönste, einzigartigste, bewundernswerteste Bewohnerin unseres Gartens.

Sie passt eigentlich nicht hin, dort wo sie steht und ist eine Fremde. Sie ist eine Fremde im Heimathafen, mit einer unbändigen Kraft und einem unerschöpflichen Willen, dort zu wurzeln, wo ihr die Widrigkeiten wie Überlebensstürme um Blätter- und Blütenwerk brausen.

Du, mein großes Kind bist im Garten des Lebens wie dieser kostbare Rosenstrauch

Du – vor all den Herausforderungen des Lebens, die noch auf Dich warten, gestärkt durch all das und mit dem, was hinter Dir liegt.

Langsam streifst Du’s ab, Dein Kindsein, um über alle Stürme, all die Sonnen- und Regenseiten unseres Lebens hinauszuwachsen, um knospend Dich zu entfalten. Du wirst blühen, wirst wieder in Dich gehen müssen, um neue Kraft zu sammeln.

Lass los den Gedanken, dass es an Dir liegen könnte, wenn der Sturm gar zu kräftig, der Regen allzu verheerend, die Sonne allzu bissig, das Wasser zu knapp, die Helligkeit dunkler ist, als erwartet. Dein Herz, am richtigen Fleck, ist verwurzelt durch all das, was Du geschafft und geschaffen hast, durch alles, was ich Dir geben konnte und noch geben werde – denn eine kleine Weile noch, werd ich Dich gießen, Dir eine Richtung weisen, Dir nah sein, Dich schützen, Dich noch ein kleines Stück des Weges begleiten. Aber Flüstern werd ich dabei wie mit meiner Rose. Ich versuche zu versprechen: es wird nicht allzu sicht- und lautbar und drum nicht gar so peinlich sein, wenn ich noch für eine Weile tu, was Mamas eben tun.

Denn diese Herausforderung müssen wir noch größtenteils gemeinsam bewältigen: die Phase des sich selbst suchenden Menschenkindes, das Halt sucht „In einer Welt, in der nichts sicher scheint“ und sich tief Drinnen danach sehnt: „Gib mir einfach nur n’bisschen Halt und wieg mich einfach nur in Sicherheit, hol mich aus dieser schnellen Zeit – gib mir was – irgendwas, das bleibt!“

Die wunderbare Ballade von Silbermond, singt voller Sehnsucht jenes tief in meine Seele, das mir sehr früh abhandenkam. Und ich bitte und kämpfe inständig für Dich und Deinen kleinen Bruder darum: Ihr mögt Halt finden in Euren Herzen und in meiner Liebe, dem Grundstein, der Euch versichert, „(..) dass dieser Ort hier sicher ist und alles Gute steht hier still“, egal, wo ich und mein Herz auch immer sind.

So lass ich Dich in Liebe langsam los, auch wenn mein Herz das unfair findet…Bedacht voneinander entfernen, heißt das wohl…Wie froh werde ich sein, um jeden zukünftigen gemeinsam bestandenen Kampf den wir noch mit- oder gegeneinander ausfechten. Denn ich stehe in der Gewissheit, Du wirst spüren: Immer noch bin ich da! Ich hau nicht einfach ab und Du gehst so Deiner Wege.

Ich lass Dich nicht im Stich

Und wenn ich dann in gefühlt 100 Jahren wie jeden Frühling meine Nase in den Blütenkelch der wunderbar widerständigen Rose stecke, wird ihr Duft mir zuflüstern, mich erinnern an den tapfersten, eigenartigsten, geradlinigsten, ehrlichsten, leider viel zu vernünftigen Buben. Ich werd mein Versprechen nicht vergessen, trotz Dornen Dein beständiger Boden zu sein. Ich werde Dir nicht im Wege stehen, ich werde Dir die Flügel nicht stutzen. Ich werde nie aufhören, Dich zu lieben.

Vertraue Dir, mein kleiner, großer Kamerad. So wie Du bist, ist es gut und das Leben gehört zum Leben dazu, was wären wir ohne – aber das, weißt Du ja schon längst, trägst Du es doch in Dir, ein Stück meines Herzens, das begreift und erahnt, dass sich ein „immer auf dem Regenbogen des Glücks entlangschlittern“, niemals ausgehen wird.

Gerade trotzdem sollten wir gerne, mit Vertrauen und innerer Beständigkeit leben, ohne das wichtigste Lebenselement – die Liebe – und die festhaltende Rückkopplung des Herzens aus den Augen zu verlieren…komm mit…jetzt…trauen wir uns das zu. Denn das Leben – ist kein Wartesaal und Deines fängt gerade erst an: „Auch wenn die Welt den Verstand verliert, das hier bleibt unberührt!“ Versprochen!

Alle Fotos, außer das Titelbild: Angela Pargger

Sämtliche Zitate aus: „Irgendwas bleibt“ von Silbermond

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Angela Pargger

Angela erachtet Worte als das wichtigste Instrument menschlicher Kommunikation. Worte verbinden oder können hart trennen. Gefühle und Beobachtetes in Worte zu fassen, die zueinander passen und miteinander harmonieren, begeistert Angela seit Jahren. Schreiben ist eine wunderbare Möglichkeit, Erlebtes mit anderen Menschen zu teilen, Erfahrungen zu verarbeiten, sich zu positionieren, zu wehren und Dinge auf den Punkt zu bringen.

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Ein Gedanke zu “„Irgendwas bleibt“ – Liebesbrief an den großen Rosenritter

  1. Liebe Angela,
    was für ein berührender Text, aus dem eine große Wahrhaftigkeit spricht.
    Jetzt freue ich mich auf einen zweiten Text über deinen jüngeren Sohn, denn ein erstaunliches Geheimnis des Elternseins ist es doch, wie verschieden die Kinder sind und welche Besonderheiten die Geschwisterfolge für alle Beteiligten bereithält. So habe ich es jedenfalls erlebt und tu das bis heute.

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