26. April 2024
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25 Jahre Rucksackreise Indien

Lesedauer ca. 4 Minuten

Rund um Neujahr sind Rückblicke üblich. Ein Rückblick auf das vergangene Jahr der Krisen indessen lässt nur Pessimismus und Verrohung der Empathiefähigkeit sprießen. Deswegen sei hier kurz auf eine Reise nach Indien zurückgeblickt, die sich im Feber zum 25. Mal jähren wird und die mir durch ein Gespräch kürzlich wieder in Erinnerung gerufen wurde.

Mit dem Wunsch nach einer längeren Reise in ein fernes Land im Kopf verschlug es Petra und mich in ein Reisebüro, wo ein weitgereister Bekannter arbeitete und Indien als Ziel ins Spiel brachte. Sein Kommentar “entweder man möchte nach 24 Stunden sofort wieder abreisen oder man kommt immer wieder” ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Ob der Trotz (das wird doch nicht so schlimm sein) oder die Bekanntschaft mit Monoj Dutta oder was sonst der ausschlaggebende Grund für unsere Entscheidung war, kann ich heute nicht mehr sagen. Eindrücklich war es auf jeden Fall und auch nach so vielen Jahren sind mir ein paar Begebenheiten gut in Erinnerung. In den gut drei Monaten Reise sind wir knapp 10.000 km quer durchs Land gereist.

Von Neu-Delhi, wo uns Arka und Seemita herzlich aufnahmen, mit dem Zug in 35 Stunden in den Süden nach Chennai, damals noch Madras genannt. Ob die Mär, dass frische Touristen an ihrem Milchgeruch sicher aus der Menge heraus gefischt werden konnten, stimmt? Wir wurden jedenfalls als solche identifiziert und direkt aus dem Zug eigentlich gegen unseren Willen in ein Taxi gelotst, das uns zum Busbahnhof bringen hätte sollen, der nur ein paar Schritte entfernt war. Die Rucksäcke im Kofferraum, wir auf den Hinterbänken, fuhr der Taxifahrer ein paar Meter vor zwischen zwei Autos, so dass sich unsere Türen nicht mehr öffnen ließen. Ich hätte das nicht gecheckt, aber Petra war aufmerksam und v.a. machte sie so großen Radau und ich weiß nicht, was sie dem Fahrer alles androhte, jedenfalls fuhr er wieder zurück, die Rucksäcke blieben unberührt und wir gingen zu Fuß die paar Meter.

Der erste Ort, der etwas Entspannung brachte, war Mahabalipuram, eine Kleinstadt in Tamil Nadu, die u.a. einen wunderschönen, über 1300 Jahre alten Strandtempel als Attraktion vorzuweisen hat. Bier in Teekannen, da der Ausschank von Alkoholika nur in speziellen Restaurants gestattet war, war eine andere Attraktion. Wenn man nach Indien reist und ich nehme an, dass das nach wie vor so sein wird, ist man automatisch Ziel von prekär lebenden Menschen, die einen völlig zu Recht um einen kleinen Beitrag fragen. In Mahabalipuram waren es zwei Kinder, denen wir ein paar Bananen von unserem Obstkauf abgaben. Offensichtlich von einer niedrigen Kaste oder einer marginalisierten Ethnie liefen die beiden zu einer Gruppe von etwa 30 (auch erwachsenen) Leuten, mit denen geschwisterlich geteilt wurde. Eine Solidarität, die mich, auch angesichts der spärlichen Beute, sprachlos machte.

Irgendwann später auf der Reise war es dann genau umgekehrt. Auf irgendeinem Bahnhof kamen drei, vier Straßenkinder, wobei wir einem von ihnen stellvertretend eine Packung Keks in die Hand drückten. Worauf dieser zu rennen begann, um nicht teilen zu müssen. Man kann sich vorstellen, wie verzweifelt das Kind gewesen sein muss, dass es alles für sich allein haben wollte.

In guter Erinnerung sind mir aber auch die vielen, uralten Tempel geblieben, die nach wie vor benutzt wurden. Etwa in Thanjavur mit dem über 1000 Jahre alten Brihadishvara-Tempel (zugegebenermaßen nachgegoogelt). Aber auch in Madurai, das auf eine 2000-jährige Geschichte zurückblickt.

Kerala, der indische Bundesstaat mit der höchsten Alphabetisierungsrate, mit den Backwaters genannten Wasserstraßen im Hinterland der Küste, war ein weiteres Highlight. Kochi, das spätestens seit dem 14. Jahrhundert eine jüdische Gemeinschaft beherbergte, war nicht nur wegen der alten Synagoge eindrucksvoll. Ganz besonders waren die chinesischen Fischernetze, direkt an der Küste stationierte Netze, die ins Meer getaucht und mit viel (Mannes-)Kraft wieder herausgeschwenkt wurden. Den Fisch (Red Snapper) konnte man dahinter an einem kleinen Stand kaufen und zum Restaurant bringen, wo er für einen gebraten wurde.

Es folgten etliche andere Ziele und ein langsames Fortbewegen Richtung Norden, um schließlich in dem Indien zu landen, das den Klischeebildern zumindest auf der Oberfläche sehr nahe kommt, Rajasthan. Erste Station war Udaipur, das als Kulisse für den James Bond-Film Octopussy diente. Die Spuren sah man 15 Jahre nach dem Dreh noch immer in Form von Souvenirs oder Filmabenden auf kleinen Fernsehern in Restaurants oder Cafés.

Jaisalmer, mitten in der Wüste Thar und relativ nahe zu Pakistan, hat eine auf einem Hügel liegende Altstadt, die aus Sandstein gebaut ist und in der Abendsonne golden glänzt. Verbunden mit dem Aufenthalt in Jaisalmer war ein drei-tägiger Trip auf Kamelen in die Wüste. Bei der Übernachtung bei einigen der in dieser Gegend wenigen reinen Sanddünen kamen ein Rudel junger Hunde, die genau wussten, wo die Touristen übernachten würden und dementsprechend Futter (und Wasser) für sie zu holen waren.

Bevor es weiter in die Ausläufer des Himalaya u.a. nach Dharamsala, dem Exilort des Dalai Lama und Sitz der tibetischen Exilregierung, ging, machten wir noch Halt in Amritsar, der spirituellen Hauptstadt der Sikhs. Der goldene Tempel, der in einem künstlichen See angelegt ist, und das höchste Heiligtum der Sikhs ist, übte eine ganz eigene Atmosphäre auf uns aus. Derart freundliche und zuvorkommende Menschen hatte ich bis dorthin noch nie kennengelernt und ich bin bis heute tief beeindruckt davon. Noch einmal mehr, wenn man bedenkt (und uns war das damals meiner Erinnerung nach nicht bewusst), dass keine 15 Jahre vor unserem Besuch die Tempelanlage Schauplatz eines blutigen Übergriffs indischer Soldaten war, bei dem mehr als 2000 Sikhs und 400 Soldaten zu Tode kamen und dessen Folge die Ermordung der Ministerpräsidentin Indira Ghandi war.

Eine letzte Erinnerung: Hoch oben im Norden, in Manali auf fast 2000 m Seehöhe gelegen, fragte uns ein Inder sichtlich stolz auf die Landschaft, wie es uns denn hier gefallen würde. Ich war wohl zu ehrlich, als ich sagte, dass es bei uns abgesehen von den ca. 1500 Höhenmetern Unterschied eigentlich genau gleich aussehen würde. Blühende Apfelbäume, Mittelgebirge und Schnee auf den Gipfeln. Die Enttäuschung war dem Mann ins Gesicht geschrieben.

Drei Jahre später war ich noch einmal allein für einige Monate in Indien und Nepal, eine gewisse Sehnsucht nach Indien ist auch nach all diesen Jahren geblieben.

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Michael Haupt

Michael nennt sich selbst gern Kulturarbeiter und macht das in verschiedenen Feldern, sowohl beruflich, als auch in seiner Freizeit. Letztlich geht es ihm dabei immer um die politische Dimension von Kultur. Um ihr Potenzial, die Gesellschaft vorwärts zu bringen, in dem sie Themen und Fragestellungen auf andere Art aufwirft. Das wird sich auch in seinen Artikeln für den Blog zeigen.

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