25. April 2024
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Die Komfortzone verlassen

Foto: Letzte Generation
Lesedauer ca. 6 Minuten

Erst kürzlich habe ich im Rahmen des Klimaschutzlehrganges, den ich besuchen durfte, Katharina Geistlinger aus Reith bei Seefeld kennengelernt. Sie ist Mitglied der Widerstandsbewegung Letzte Generation. In einem Gespräch mit ihr konnte ich etwas Einblick bekommen, worum es bei den Aktionen der Letzten Generation in Österreich geht und was die Hintergründe sind.

Das Thema der Klimaproteste scheint sehr kontroversiell wahrgenommen zu werden. Es heißt oft, die Aktivist:innen erreichen mit ihren radikalen Aktionen genau das Gegenteil. Aber was meinen die Leute mit dem Gegenteil, wovon überhaupt? Ist es nicht zu leicht, immer über alles zu schimpfen und alle Versuche, gegen die Klimakrise etwas zu unternehmen, schlecht zu reden? Es heißt oft: Elektroautos sind so schlecht, da die Batterien zu viele seltene Rohstoffe benötigen, PV-Module sind in der Herstellung zu energieintensiv, Windräder verschandeln die Umwelt, Klimaaktivist:innen erzeugen Unmut und so weiter. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Wäre es nicht wichtig, jeden möglichen Versuch zu unternehmen, um gegen die Klimakrise vorzugehen? Klar gibt es Dinge, die schwer in der Gesamtheit zu überblicken sind. Wir als Konsument:innen sind oft überfordert, die richtigen Entscheidungen zu erkennen. Ein paar eindeutig positive Aktivitäten gibt es aber zum Glück dennoch. Etwa Dämmen von Häusern oder die Nutzung öffentlichen Verkehrs, fleischarme Ernährung oder der Konsum lokaler Produkte sparen eine ganze Menge an (oft) fossiler Energie.

Die Klimaaktivist:innen der Letzten Generation setzen nicht bei den Konsument:innen an.

Sie wollen, dass die politischen Entscheidungsträger:innen bei ihren Richtungsentscheidungen für Klimaschutz mehr Tempo machen, was meiner Meinung nach auch dringend geboten wäre. Zwei einfach zu erfüllende Maßnahmen, wie bundesweites Tempo 100 auf der Autobahn, 80 auf Schnellstraßen, 30 innerhalb des Ortsgebietes und den sofortigen Stopp von Investitionen in fossile Infrastruktur, werden von der Gruppe kommuniziert. Es sind einfache Forderungen, die weit über die Klimaeffekte hinausgehende, zusätzliche positive Auswirkungen wie beispielsweise auf Sicherheit, Lärm, Feinstaubbelastung hätten (https://www.diepresse.com/6245709/verkehrswissenschaftler-fordern-tempo-100-auf-autobahnen). Unterstützung kommt von namhafen Wissenschafter:innen. Aber da selbst so einfache, schnell umsetzbare Maßnahmen von den politischen Entscheidungsträger:innen nicht angegangen werden, stellt sich für die Klimaaktivist:innen die Frage, ob die Verantwortlichen ehrlich an der Bewältigung der Klimakrise interessiert sind. Die Bewegung ist in ihren Grundsätzen gewaltfrei und entschlossen. Sie haben eine Vision, sie wollen nachhaltige Veränderungen erwirken. Und: sie sehen keine andere Möglichkeit, als mit Aktionen, wie etwa Straßensperren auf den Klimanotstand aufmerksam zu machen.

Im Gespräch erklärte mir Katharina, dass ihr bei den Klebeaktionen in Innsbruck und in Wien anfangs sehr viel Gegenwehr und Beschimpfungen, sogar Morddrohungen entgegengebracht wurden. Zuletzt, als die Aktionen bekannter waren, erlebte sie sehr viel mehr Emphatie bei Passant:innen und vor allem gab es auch Leute, die sich schützend zwischen sie, die Aktivist:innen und die Gegner der Aktion gestellt hätten. Menschen jeden Alters bedankten sich und bestärkten die Klimaaktivist:innen auf der Straße. Eine ältere Passantin sagte: „Ihr tut das Richtige. Nur weiter so. Danke.“ An einem anderen Tag gab es Applaus von den Menschen, die am Straßenrand das Geschehen beobachteten. In den Medien gibt es interessanterweise überwiegend Artikel, die sehr positiv oder zumindest verständnisvoll über die Aktionen berichten. Das scheint mir überraschend zu sein, da man tendenziell negative Stimmung über die Aktionen wahrnimmt.

Hier ein paar Beispiele.

https://www.tt.com/artikel/30840845/letzte-generation-blockiert-haller-strasse-ignorieren-der-klimakrise-muss-aufhoeren

https://www.derstandard.at/story/2000142878731/klimaproteste-die-wissenschaft-ist-endlich-laut-geworden

https://www.derstandard.at/story/2000142532824/pro-und-kontrahaben-die-klimakleber-recht

https://www.derstandard.at/story/2000142623004/von-den-echten-und-den-falschen-klimahelden

Die Klimaaktivist:innen verlassen mit ihren Aktionen deutlich ihre eigene Komfortzone. Ich persönlich finde es jedenfalls sehr mutig, dass die Mitglieder der Letzten Generation sich für einen raschen Wandel und letztlich für uns alle aufopfernd auf die Straße kleben. Sie riskieren Geldstrafen und Gefängnisaufenthalte. Das macht kein Mensch aus Spaß. Es muss wohl Verzweiflung und ein großer Wille für Veränderung dahinterstecken. Schade finde ich, dass bei den Diskussionen über die Aktionen meist gar nicht über deren Ziel gesprochen wird, sondern die Art der Aktionen in Frage gestellt wird.

Für die Protestaktion im Frühverkehr gab es nicht nur Kritik mancher Autofahrer: Vorbeikommende Passanten zeigten auch ihre Zustimmung zu der Aktion. Beide Fotos: Letzte Generation

Ende Jänner fand im Ferdinandeum eine Podiumsdiskussion zum Thema „IST DISRUPTIVER KLIMAPROTEST LEGITIM?“ statt. Die Diskussion wurde aufgezeichnet und am 10.2. auf Freirad gesendet und wird in naher Zukunft über den folgenden Link nachhörbar sein (bei Erstellung dieses Artikels war die Sendung leider noch nicht in der Sammlung vorhanden):

https://cba.fro.at/station/freirad

https://www.freirad.at/diskussionsrunde-klimaproteste/

Außerdem empfehle ich eine Sonderausstellung im Ferdinandeum zu dem Thema Klimaaktivismus unter dem Namen #NOCLIMARTCHANGE. Diese ist bis Anfang April zu sehen.

https://www.tiroler-landesmuseen.at/ausstellung/klimaaktion-im-ferdinandeum/

Die Gruppe der Letzten Generation bekam zuletzt große Unterstützung durch viele Wissenschafter:innen der Uni Innsbruck und der UMIT. Am 6.2. gab es eine gemeinsame Straßensperraktion, begleitet mit einem Pressestatement der Wissenschafter:innen, das ihre Solidarität mit den Aktionen der Letzten Generation unterstreicht.

https://tirol.orf.at/stories/3193512/

Pressestatement:

Pressestatemen_Tirol_06.02.2023.pdf (mcusercontent.com)

Einige Statements ausgesuchter Wissenschafter:innen führe ich hier an:

Georg Kaser (IPCC Autor/ Meteorologie/ em.Prof.):
Es ist erstaunlich wie viel Energie darauf verschwendet wird, die Überbringer der dringlichen Botschaft anzugreifen anstatt die Botschaft zu hören und heilige Kühe zu schlachten!

Hans Stötter (Geographie/ Prof.):
Fakt ist, dass in Österreich die Emission von Treibhausgasen seit 2015, dem Jahr des Übereinkommens
von Paris, quasi keinerlei merkliche Reduktion erfahren haben. Dadurch entfernen wir uns immer weiter von der Erreichbarkeit des 1,5°C Ziels und steuern stattdessen mit immer größerer Wahrscheinlichkeit auf unkontrollierbare Entwicklungen zu, die alles andere als positiv zu sein scheinen und damit absolut nicht wünschenswert sind.
Dies ist v.a. das Ergebnis des Nicht-Entscheidens und Nicht-Handelns wider besseres Wissen. Die nötige Rahmensetzung durch politische Entscheidungsträger zur Erreichung der Klimaziele, zu denen sie sich verpflichtet haben, lassen sich, wie es der Club of Rome 2022 in seinem Bericht „Earth for All“ zum Ausdruck bringt, nur als zu wenig zu spät („Too Little, too Late“) zusammenfassen.
Man möchte den Entscheidungsträgern entgegenrufen: „Wacht endlich auf und kommt Eurer Verantwortung nach, anstelle diejenigen zu kriminalisieren, die auf diese Verantwortung hinweisen.“
Die Aktivist_innen der “Letzten Generation” agieren konsequent in dem Bewusstsein, das 2014 schon Präsident Obama zum Ausdruck gebracht hat: “We are the first generation to feel the effect of climate change and the last generation who can do something about it.”
Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können hierzu nicht mehr schweigen. Es liegt in unserer Verantwortung, uns mit allen denen zu solidarisieren, die sich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen, die nur durch entschlossenes Handeln zum Überwinden des Klimawandels ermöglicht wird.

Anke Bockreis (Umwelttechnik/ Abfallbehandlung und Ressourcenmanagment/ Prof.):
Die Fakten hinsichtlich Klimawandel liegen auf dem Tisch und es passiert viel zu wenig um den negativen Folgen für uns alle entgegen zu wirken. Die Wissenschaft hat die Fakten erarbeitet und schafft es nicht, die Dringlichkeit von Maßnahmen so zu kommunizieren, dass sie auch gesetzt werden.
Bisherige Protestformen haben nicht dazu geführt, die notwendige Kehrtwende in der Politik als auch in der Bevölkerung zu erreichen und entsprechendes Handeln auszulösen. Daher braucht es Protestformen, die gehört und gesehen werden, die aufregen. Mit dem Wissen um den Klimawandel und der Dringlichkeit von Gegenmaßnahmen haben wir als Wissenschaftler:innen auch die Verantwortung, alles dazu beizutragen, dass endlich gehandelt wird. Deshalb meine Solidarisierung mit „Last Generation“.
Mit welcher Rechtfertigung lehnen wir uns zurück und wollen unsere Komfortzone nicht verlassen und überlassen es anderen, aktiv zu werden, aber bitte nicht zuviel?! Es geht um die Zukunft von uns allen und die wird viel ungemütlicher als einen Termin zu verpassen, weil man/frau im Stau steht.

Zurück zu Katharina Geistlinger. Ihre Motivation, sich bei diesen Klimaprotesten einzusetzen, beschreibt sie so: „Ich persönlich mache das, weil ich davon überzeugt bin, dass wenn wir in dem Tempo der letzten Jahre weitermachen, wir den jungen Menschen, meinen Kindern und deren Kindern, verunmöglichen, dass sie in einer friedlichen, stabilen Welt aufwachsen und leben können. Es ist Angst um die Zukunft meiner Kinder, gepaart mit einer gehörigen Portion Unmut über die Untätigkeit und Ignoranz vieler politischer Entscheidungsträger:innen in Bezug auf die Klimakrise.“

In einem Telefonat erzählte ich Katharina, wie es mir in Inzing als Klimabeauftragter geht. Ich habe geschildert, dass ich grundsätzlich sehr froh bin, dass ich mitarbeiten und mitdiskutieren darf. Dass es ein gutes Gesprächsklima mit dem Bürgermeister Sepp Walch und den Ausschussobleuten gibt, auch, dass sehr engagierte Leute am Werk sind. Manchmal bin ich dann aber mit dem Tempo der Entscheidungen und der Umsetzung von Maßnahmen nicht zu 100% zufrieden, ich brauche viel Ausdauer und Geduld. Klar weiß ich, dass Entscheidungen oft gut durchdacht und abgewogen gehören, um auch ein gutes und nachhaltiges Ergebnis zu erzielen. Dennoch wünsche ich mir oft ein bisschen mehr Tempo. Ihr geht es in Reith bei Seefeld ähnlich. Sie meinte, dass es doch ein Systemfehler sei, dass ein so wichtiges Thema wie der Klimakrise vor allem von ehrenamtlichen Leuten in den Gemeinden entschieden wird. Irgendwie hat sie damit wohl auch Recht. Es geht doch um die Zukunft der Menschheit. Das wäre eher eine Monsteraufgabe für Profis. Wichtig wäre es jedenfalls, wenn die öffentlichen Stellen von der EU beginnend über die Staaten, die Länder und Gemeinden an einem Strang ziehen würden. Wir in Inzing sind ja schon einen guten Schritt vorwärts gegangen und haben einen Klimaplan für die kommenden 10 Jahre erstellt, der nun in der sukzessiven Umsetzung steckt. Es werden Maßnahmen, wie e-Carsharing, Ablöse von Öl- und Gasheizungen in Gemeindegebäuden, Radwege und viele andere Ideen schon aktiv angegangen. Es gibt auch Diskussionen über Erneuerbare Energiegemeinschaften, Green Events und ähnliches. Wichtig ist, dass diese und weitere Maßnahmen bald in die konkrete Umsetzung gelangen. Ich bin guter Hoffnung, dass dies so sein wird.

Zum Abschluss verlinke ich noch einen Podcast mit dem Thema “Was macht uns zu Klimaaktivistinnen?” von Luisa Neubauer, u.a. Mitbegründerin von Fridays for Future Deutschland.

Großmutter – was macht uns zu Aktivistinnen? – 1,5 Grad – der Klima-Podcast mit Luisa Neubauer – Podcast – Podtail

Mich würde interessieren, wie unsere Leser:innen zu den Aktionen der Letzten Generation stehen. Ich würde mich freuen, wenn ihr euch traut, vielleicht ebenfalls eure Komfortzone zu verlassen und einen Kommentar zu dem Thema zu posten.

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Peter Oberhofer

Peter ist seit Ende 2012 Redaktionsleiter der DZ. In Inzing ist er außerdem bei der Klimabündnisgruppe engagiert. Umwelt- und Klimaschutz, Energiesparen, öffentlicher Verkehr sind ihm ein wichtiges Anliegen.

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4 Gedanken zu “Die Komfortzone verlassen

  1. Danke für diesen Bericht, lieber Peter. Ich bewundere den Mut der Straßenklebe-Aktivist:innen, denn das Auto wird immer noch wie eine heilige Kuh behandelt. Anders kann ich mir nicht erklären, wieso die Politik davor zurückschreckt, 100-80-30 (oder wenigstens 100-80-40) generell einzuführen. Leider kenne ich auch genug Leute, die solche Tempolimits entschieden ablehnen. Aber inzw. gibt es unter meinen Freund:innen auch solche, die heute freiwillig zumindest 100-80 fahren und früher wesentlich schneller gefahren sind.
    Die Kunst-Anschütt-Aktionen find ich blöd, weil sie im Gegensatz zum Straßenkleben nichts direkt mit den Klimazielen zu tun haben und bloß auf Aufmerksamkeit generieren aus sind. In der Berichterstattung überwiegen dann auch die Sorge um die Kunstwerke und die Kosten der Reinigung und nicht die Klimaanliegen der Protestierenden.
    Dass auch unbeliebte Tempolimits funktionieren sieht man in Inzing: Die beobachteten Fahrzeuge in unserem Ort (Studiendauer weiß ich jetzt nicht mehr) fuhren im Mittel ca. 32 km/h, das ist immer noch zu viel, aber nur mehr knapp über dem Limit und deutlich unter den theoretisch früher möglichen 50 km/h.

  2. Ich kann dem Kommentar von Brigitte großteils nur zustimmen. Einzig das mit der Berichterstattung bei Anschüttaktionen, die nur um die Kunstwerke und die Kosten geht ist etwas einseitig. Es stimmt zwar in dem Fall, ist aber leider bei allen anderen Aktionen genau gleich. Es geht sehr selten um die Reduktion des Temperaturanstiegs und die dafür nötigen Maßnahmen sondern immer nur um das Schlechtmachen der Aktivisten.
    Es würde mich sehr freuen, wenn diese mutigen Personen (übrigens nicht nur Jugendliche!) in absehbarer Zeit etwas erreichen könnten. Die moralische Unterstützung großer Teile der Wissenschaft haben sie ja jetzt schon – nur kann niemand von ihnen die politische Durchsetzung bestimmen.
    Und genau hier beginne ich sehr zu zweifeln, wenn ich an die Äußerungen der meisten Vertreter unserer größeren Parteien, etwa ÖVP, FPÖ, SPÖ, CDU, CSU, SPD, AFD …, denke. Die beraten alle nur über höhere Strafen – ein Verkehrsstau von einer halben Stunde ist ja wirklich viel schlimmer als das Überleben von Millionen.
    Robert

  3. Die Komfortzone verlassen und im Sinne des Klimaschutzes aktiv zu werden ist ohnehin das CREDO der heutigen Zeit, um nicht in Resignation, Apathie und Depression zu verfallen sondern die bestehenden Herausforderungen zu meistern. Jede/jeder auf seine Weise. Hierzu eine Buchempfehlung: “Klimagefühle – wie wir an der Klimakrise wachsen, statt daran zu verzweifeln” von Lea Dohm (psychologists for future)!
    Dir, Peter, gebührt tiefster Dank für Dein vorbildliches Engagement

  4. Ich bewundere den Mut der Klimaakrivist:innen! Ich könnte es nicht da ich den Gegenwind nicht aushalten würde, schlicht da ich zu emotional und sensibel bin. Meine Unterstützung und Zustimmung haben sie. Wie könnte es anders sein – die Fakten sind wissenschaftlich klar belegt!. Ich versuche im Kleinen meinen Beitrag zu leisten. So gut ich kann. Gemeinschaft macht Mut und bestärkt. Danke dafür, Peter! Nicht nur für diesen Artikel!

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