29. Juni 2025
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Die Jugend von heute

Foto: Ernst Pisch
Lesedauer ca. 4 Minuten

… war wohl schon seit es Menschen auf diesem Planeten gibt, immer der Kritik älterer Generationen ausgesetzt.

Beruflich bin ich bei unzähligen Firmen quer durch alle Branchen unterwegs und werde, seitdem Corona wieder langsam in Vergessenheit gerät, auffällig oft auf „Arbeitskräftemangel“ und die „Einstellung der heutigen Jugend“ angesprochen. Erst kürzlich klagte mir ein Firmenchef, wie schwer es doch sei, Personal zu bekommen. Glücklicherweise würden zwei seiner älteren Mitarbeiter ihre Tätigkeit auch nach Erreichen des Pensionsalters fortsetzen, aber das ginge auch nur für wenige Jahre. Und „die Jungen können halt noch nichts, zeigen kein Interesse, keine Verantwortung, wollen keine Überstunden leisten …“ usw. Wie das denn in meiner Firma sei und welche Erfahrungen ich damit gemacht hätte.

Ich entgegnete ihm, dass das bis vor wenigen Jahren in meinem direkten Umfeld noch kein großes Thema war. Abgesehen von meinen ersten knapp zehn Berufsjahren ab 1985 wurde in meinem Bereich als IT-Techniker immer nur Personal abgebaut. Man weiß seit Jahrzehnten, dass die sogenannte Babyboom-Generation irgendwann das Pensionsalter erreichen wird und hinterher eine vergleichsweise viel geringere Zahl an jungen Arbeitskräften nachrücken wird. Anstatt sich darauf einzustellen, lag der Schwerpunkt der Interessen nur auf Gewinnmaximierung. Der Großteil meiner ehemaligen Arbeitskollegen wurde gekündigt, manche verließen das Unternehmen selbst und einige erlitten ein Burnout, was eine Fortsetzung ihrer Arbeit in derselben Branche unmöglich machte. Das, was die Jugend von heute an Verhalten zeigt, ist nichts anderes, als eine logische Reaktion auf die Arbeitswelt der vergangenen Jahre. Er blickte mich erstaunt an und fragte, wie ich das denn meine.

Ich sagte ihm folgendes: „Erinnere dich doch zurück an die Zeit, als wir in die Berufswelt eintraten – ich nehme an, es war bei dir ähnlich. Ich wurde in ein Team aufgenommen, fuhr für mehrere Wochen ins Ausland, um Schulungen zu besuchen. Dann durfte ich viele Wochen mit einem erfahrenen Kollegen zu den Kunden mitfahren und dabei sowohl technisches Können, als auch den Umgang mit den Kunden lernen. Nach einem knappen halben Jahr traf mich auch die Verantwortung als Bereitschaftstechniker. Ich war selbstverständlich oft total überfordert mit dem, was mir begegnete, aber ich wusste, dass mir im Notfall ein Kollege zur Seite stand, der mir sowohl technisch als auch mental eine große Stütze war. Und ich erinnere mich noch gut daran, als mir einmal bewusst wurde, dass ich nun endlich in der Lage war, wirklich selbstständig zu arbeiten. Ich wusste, wie der Konzern funktionierte, wer für welche Themen zuständig war, wo Hilfe zu bekommen war usw. Da war ich aber bereits sieben! Jahre im Unternehmen tätig.

Vergleiche das nun mit dem Arbeitsbeginn eines jugendlichen Einsteigers von heute: Das große Team von damals ist auf wenige Mitarbeiter geschrumpft, wovon jeder Einzelne eigenständig alle Probleme lösen muss. Es gibt fast keine Kollegen mehr, welche einem zur Seite stehen bzw. mit denen man Erfahrungen austauschen kann. Der Anfänger von heute hat keine Gelegenheit mehr, sich langsam einzuarbeiten und sich in einem Team zu fühlen, welches ihn auffängt, wenn er für ihn unlösbaren Problemen begegnet.

Du hast gemeint, es fehle der heutigen Jugend an Loyalität zur Firma. Woher soll denn Loyalität kommen? Das ist kein Schalter, den man einfach so ein- und ausschalten kann. Loyalität ist etwas, was wachsen muss. Wir wussten, wenn ich’s selbst nicht schaffe, dann kniet sich der Kollege auch rein, um das Problem gemeinsam zu meistern. All das fehlt heute meistens. Zudem kann es passieren, dass man sich eines morgens genau in der Firma wiederfindet, welche gestern noch als „der böse Konkurrent“ galt. Du hast deinem Arbeitgeber Treue geschworen, findest dich aufgrund einer Firmenübernahme plötzlich in völlig neuer Umgebung und sollst aber weiterhin loyal sein!? Das ist, als würdest du eines morgens neben einem fremden Menschen im Bett aufwachen – verspürst du da immer noch ewige Treue?

Du sagst, man fände keine geeignete Person fürs mittlere Management, weil zwar die entsprechende Bezahlung erwartet wird, man aber keine Verantwortung übernehmen will. Auch dazu kann ich nur Folgendes sagen: Früher übernahm man Managementaufgaben erst, nachdem man im selben Unternehmen bereits für einige Jahre tätig war und Zusammenhänge und Arbeitsweise kennengelernt hatte. Würdest du denn Verantwortung für ein dir fremdes Unternehmen mit fremden Personen übernehmen wollen?

Zum Vorwurf, die Jugendlichen von heute wären nicht mehr bereit Überstunden zu leisten oder wollen, wenn möglich, gar nur Teilzeit arbeiten: Wir hatten eine geradezu familiäre Bindung zu Arbeitgeber und Arbeitskollegen aufgebaut, welche uns moralisch so geprägt hat, dass es uns beinahe unmöglich ist, NEIN zu sagen, wenn ein akutes Problem ansteht. Die Zeiten haben sich jedoch geändert. Der Druck auf jeden Einzelnen lastet heute viel stärker und „unser“ Verhalten wurde bereits Vielen zum Verhängnis. Man kann Unglaubliches leisten, wenn das nicht täglich gefordert wird und man dafür Anerkennung erntet. Wer diesem Druck jedoch permanent ausgesetzt ist, niemals NEIN sagt und all diese zusätzlichen Leistungen nur als eine Selbstverständlichkeit quittiert werden, bricht eines Tages zusammen, sobald auch nur eine kleine zusätzliche Belastung eintrifft. Ich habe leider schon mehrere derartige Fälle miterleben müssen.

Die jüngere Generation wurde sogar von der Wirtschaft selbst zu diesem Verhalten gedrängt, wenn auch das Kalkül dahinter ein anderes war. Werbesprüche wie „Geiz ist geil“, „Ich habe ja nichts zu verschenken“, „Sei du selbst“ usw. haben Einfluss auf die jüngere Generation ausgeübt. Sie folgen diesen „Lebensweisheiten“ auf eine Art und Weise, die mich positiv stimmt. Positiv deshalb, weil für die junge Generation nicht mehr das finanzielle Kapital an erster Stelle steht, sondern ihr Wohlbefinden, Gesundheit, Lebensqualität und der Schutz der Umwelt, in der wir alle leben.

Und nicht zuletzt müssen wir akzeptieren, dass es genau unsere Generation ist, welche diese jungen Menschen zum aktuellen Verhalten erzogen hat. Ehrlich gesagt, bin ich sogar ein wenig stolz darauf.“

Mein Gegenüber war inzwischen sehr still geworden, was mir allerdings erst gegen Ende meiner „Moralpredigt“ auffiel. Beim Verabschieden wirkte der Kunde sehr nachdenklich, widersprach mir aber in keinem einzigen Punkt. Als er mich wenige Tage später anrief und um einen Tipp für ein technisches Problem bat, war ich etwas erleichtert. Die Diskussion hatte offenbar keine negative Auswirkung auf unser Verhältnis.

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Ernst Pisch

Ernst fotografiert in seiner Freizeit leidenschaftlich gerne und interessiert sich für die Technik, welche dahintersteckt. Während der oft längeren beruflichen Fahrten von und zu den Kunden denkt er unter anderem auch gerne darüber nach, warum die Welt genau so ist, wie sie ist. Dabei entstehen Fragen und manchmal auch neue Interessen, Ideen und Erkenntnisse, welche er gerne mit anderen teilt.

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4 Gedanken zu “Die Jugend von heute

  1. Ich kann dir nur zu hundert Prozent recht geben. Das meiste was der Jugend, zu jeder Zeit, vorgeworfen wird, hat sie von den älteren Generationen gelernt oder kopiert. Und es fällt auch häufig auf, dass gerade diejenigen, die selbst schlecht oder nicht ausbilden, oft am meisten voraussetzen und verlangen.
    Geld alleine ist nicht alles, das Sicherheitsgefühl und das Wohlfühlen in der Umgebung ist auch in der Arbeitsstelle sehr viel wert und steigert eindeutig Leistung und Qualität.

  2. Danke, lieber Ernst, für diesen Beitrag. Endlich spricht jemand über die Veränderungen in der Arbeitsweise und den Unternehmenskulturen, anstatt nur den Blick auf Wochenarbeitsstunden zu richten!
    Viele der derzeit angedachten Arbeitszeitverkürzungen klingen für mich nach gefährlicher Drohung, im Sinne von „die bisherigen Aufgaben in weniger Zeit“ zu erledigen und das womöglich noch bei nicht vollständigem Lohnausgleich.
    Es ist zwar immer gut, wenn man seine Arbeit gern macht, aber sie sinnhaftig zu überhöhen kann auch daneben gehen. Wichtig ist, dass anerkannt wird, dass es gut und wichtig ist, dass jemand diese Arbeit macht, dazu gehören auch ganz viele „Wartungsaufgaben“ im weitesten Sinn sowie viele Dienstleistungen.

  3. Vielen Dank für eure Kommentare!
    Dieses Gespräch hatte tatsächlich bei einem Kunden stattgefunden – selbstverständlich nicht exakt gleich.
    Die von dir, Brigitte, angesprochene Arbeitszeitverkürzung erweckt bei mir ähnliche Bedenken.

    Längst müsste der Fokus wieder auf die Realwirtschaft gelenkt werden. Es wird so unglaublich viel gearbeitet und geleistet, dessen Wertschöpfung aber entweder gleich oder spätestens bei der Rettung der „Zocker“ in den Finanzmarkt abfließt. Mit anderen Worten: Man vernichtet Ressourcen (sowohl Rohstoffe der Natur, als auch menschliche Ressourcen wie Kreativität, soziales Engagement usw.), um ein virtuelles Konstrukt, von dem nur vergleichsweise wenige profitieren, zu nähren.

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