Einige Überlegungen dazu, was uns motiviert umzusteuern.
Text: Wilhelm Guggenberger
Die Frage, wie wir uns selbst und andere zu einem Handeln motivieren können, das vom Gewohnten abweicht und schon allein deshalb einer gewissen Mühe bedarf, ist vermutlich die schwierigste Frage im Zusammenhang von Transformationen, die angesichts der drohenden Klimakatastrophe unumgänglich sind. Das Wissen darum, wo die Ursachen für ein Ausreizen planetarer Grenzen liegen, haben wir, auch das Wissen darüber, an welchen Schrauben gedreht werden müsste, um dies zu vermeiden. Wir verstehen auch einiges von menschlichen Verhaltensmustern. Nur sind Menschen und menschliche Gemeinschaften eben keine trivialen Maschinen, die anhand eines bestimmten Inputs mit Sicherheit einen bestimmten Output bringen.
Offenkundig spielt unsere Spezies eine besondere, in gewisser Weise zentrale Rolle auf diesem Planeten. Der australische Ethiker Clive Hamilton hält daher zum Thema Anthropozentrik fest: „Never has the ‚is‘ been more apparent; never has the ‘ought’ been less defensible” (Defiant Earth). Wir sollten nicht die allein bestimmende Spezies auf diesem Planeten sein, neben der andere nur Raum finden, wenn es uns nützt, wir sind es aber faktisch geworden und stehen nun vor der Herausforderung Macht über unsere eigene Macht zu gewinnen, wie Hans Jonas es ausgedrückt hat. Mehr von demselben, mehr von Naturbeherrschung und Weltbemächtigung kann nicht die Lösung sein.
Aber wie kommen wir davon los? Was macht uns fähig anders zu denken, anders zu handeln. Wie werden wir – um hier einen religiösen Begriff zu verwenden – fähig zur Umkehr?
Vor etlichen Jahren hat der Altorientalist und Bibelwissenschaftler Jürgen Ebach einen Essay veröffentlicht, in dem er die Hauptpersonen zweier literarischen Narrationen vergleichend nebeneinanderstellte. Kassandra, die Königstochter mit Seherinnengabe aus der Aeneis und den alttestamentlichen Propheten, der meist mit dem Fisch assoziiert wird, der ihn verschluckt und heil wieder ausspuckt haben soll. Interessant an diesem Vergleich ist nicht nur das unterschiedliche Schicksal der beiden prophetischen Gestalten, sondern auch deren unterschiedliche Erwartungshaltung, die Reaktion auf ihre Ansagen betreffend. Ich zitiere Ebach: „Ist Kassandra die Seherin, die unweigerlich sieht und sagt, was geschehen wird, und der – ebenso unweigerlich – niemand glaubt, so ist Jona ein Prophet, der gehört wird und der gerade dadurch zum falschen Propheten wird.“ [1]
Wie ergeht es denen, die vor einer Katastrophe warnen? Kassandra ist zum Inbegriff dafür geworden, dass Warnungen reaktionslos verhallen und könnte damit gewissermaßen zur Patronin von KlimaforscherInnen und Umweltinitiativen bis hin zur Letzten Generation werden. In letzter Zeit taucht mitunter der Begriff der Apokalypsemüdigkeit auf. Angesichts multipler Krisen wollen die Menschen nichts mehr vom Untergang hören. Die düsteren Szenarien nützen sich ab. Diejenigen, die unermüdlich an diese Szenarien erinnern, werden generalisierend als doomers verunglimpft, als notorische Schwarzseher also.
Jona auf der anderen Seite ist der einzige alttestamentliche Prophet, der mit seiner Botschaft wirklich Erfolg hat. All seinen anderen „Kollegen“ ergeht es nicht besser als Kassandra. Sie sind allesamt keine Wahrsager, die etwas ankündigen, das unausweichlich kommt. Ihre oft sehr harten Worte sollten vielmehr dazu dienen, dass die von ihnen angesprochenen ihr Verhalten ändern, um das angekündigte doch noch zu verhindern. Bei Jona klappt das überraschenderweise tatsächlich. Was etwas enttäuschend sein mag: Jona ist eindeutig eine fiktiv literarische Figur, die es so nie gegeben hat und der Text selbst lässt uns darüber in keiner Weise im Unklaren. Die bereitwillige Reaktion der Adressierten ist also auch Fiktion und kein Beleg für die tatsächliche Wirksamkeit von Warnungen. Darum geht es dem biblischen Text aber gar nicht. Der interessiert sich vorrangig dafür, dass der Prophet selbst todunglücklich über seinen Erfolg ist, weil es ihm eigentlich wichtiger gewesen wäre recht zu behalten. Selbst um den Preis des Untergangs. Allerdings – er selbst sitzt vor der Stadt, deren Untergang er ankündigt, er zieht sich auf die Position des Beobachters zurück, fühlt sich von der bevorstehenden Katastrophe nicht betroffen. Beides scheint mir auch für die Gegenwart relevant: die Enttäuschung darüber, möglicherweise nicht recht zu behalten, noch mehr aber die Selbstdistanzierung.
Es kann verführerisch sein, in eine Haltung zu geraten, in der man gar nicht mehr damit rechnen will, dass sich etwas zum Besseren verändert, weil wir doch um die Borniertheit der anderen wissen. Wäre es nicht ärgerlich, wenn die am Ende sagen könnten: Na so schlimm ist es ja schließlich doch nicht gekommen. Ebenfalls verführerisch ist es, quasi von außen auf die Dinge zu schauen. Wir haben es ja gelernt, dass Distanz und Objektivität essentiell für einen kritischen Geist sind. Wenn wir über die planetare Zukunft sprechen, gibt es aber kein Außen. Zumindest langfristig gibt es da nicht die privilegierte Position dessen, der auf die vom Untergang bedrohte Stadt schauen kann, wie der Prophet Jona, um sich in seinen Ankündigungen bestätigt zu fühlen.
Haben wir es also bei den beiden Geschichten, auf die ich Bezug nehme mit einer Warnung vor Warnungen zu tun, weil sie letztendlich in Fatalismus oder Zynismus münden.
Wir sollten nicht in den Chor jener einstimmen, die meinen, hört auf mit den Horrormeldungen darüber, wie schlimm es bald kommen wird mit unserem Klima, mit dem Artensterben etc. Nein, wir brauchen die warnenden Stimmen. Und doch meine ich, dass eine Reaktion auf die Stimmen der zeitgenössischen Kassandras nur dann und nur dort erfolgt, wo auch positive Bilder vor Augen stehen, positive Bilder einer möglichen Zukunft. Noch mehr aber positive Erfahrungen mit der Wirklichkeit, die es zu retten gilt.
In der Geschichte von Jona gibt es Umkehr und Transformation. Es findet ein Systemwandel statt, obwohl der Prophet nichts dafür in Aussicht stellt, sein Wort enthält nur Untergang. Ich würde das nicht als Vorbild nehmen, interessiert sich der Text, wie gesagt, doch viel mehr für den Propheten selbst, der nach heutigem Verständnis wirklich ein doomer ist. Um eine Lektion für ihn geht es am Ende der Geschichte. Ob sie erfolgreich ist, bleibt offen. Der Text endet recht abrupt und macht damit klar, dass eigentlich die LeserInnen zu einer Antwort und Reaktion aufgefordert sind.
Dieser Jona sitzt vor der auf die Katastrophe zutreibenden Stadt. Ninive wird sie in der Erzählung genannt. Er sitzt also in mesopotamischer Sommerhitze, die auch ohne Klimaerwärmung hirnerweichend sein kann. Zu seinem Glück findet er eine große Rizinusstaude in deren Schatten er sich retten kann. Dort ärgert er sich nun mehr und mehr, dass das Fehlverhalten der Stadt nicht endlich die erwarteten Konsequenzen nach sich zieht.
Da nagt ein Wurm, wie es heißt, an der Rizinusstaude und diese geht rasant ein. Ein neuerlicher Grund zu Ärger und Wut, denn die Hitze wird jetzt wirklich unerträglich. Nun lässt die Erzählung Gott sprechen, der sagt zum Unheilspropheten: „Du hast Mitleid mit einem Rizinusstrauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Über Nacht war er da, über Nacht ist er eingegangen. Soll ich da nicht Mitleid haben mit Ninive, der großen Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, … und außerdem so viel Vieh?“
Warum mute ich Ihnen diesen biblischen Text zu? Die – in diesem Fall göttliche – Pädagogik involviert den, der weiß, was bevorsteht, falls sich nichts am bisherigen Verhalten ändert. Sie involviert ihn insbesondere emotional. Ja, er macht ein Wenig die Erfahrung angekündigter Katastrophen, so wie wir hie und da eine Überschwemmung, einen Dürresommer oder einen kollabierenden Berggipfel, den der Permafrost nicht mehr halten konnte, erfahren. Letztlich aber bleiben die wirklichen Katastrophen immer noch zu weit weg sowohl die ökologischen, als auch die mit ihnen verbundenen sozialen. Was wir aber hier und jetzt schon erfahren und erleben können, das ist, wie grandios all das ist, was wir zu verlieren drohen. In unserer hochtechnisierten Welt sind wir auch davon mitunter so weit entfremdet, dass wir der Illusion verfallen können, es gäbe einen safe space, wir könnten eine Position außerhalb dieser bedrohten Welt einnehmen. Das Erleben der Einheit mit der nichtmenschlichen Natur wird uns immer fremder. Die Kultivierung der Liebe zu der uns umgebenden Welt könnte somit ein springender Punkt sein, um unser Denken umzukehren und uns zum Tun zu motivieren. Lassen Sie es mich mit einem Zitat von Martha Nussbaum sagen, das in anderem Kontext gemacht wurde, aber doch passgenau auf die Herausforderungen ökologischer Nachhaltigkeit anwendbar ist: „Damit die Menschen etwas lieben, müssen sie es als »ihr eigenes« betrachten und am besten auch als »das einzige, das sie haben«.[2] Dabei geht es nicht um eine Form von Haben, die Verfügungsmacht bedeutet, sondern um Haben im Sinn einer Beziehung, einer Zugehörigkeit.
Ich will keineswegs etwas von den düsteren Prognosen, um die wir wissen, relativieren oder verharmlosen, ich glaube aber, dass die Motivation zu Umdenken und Umsteuern, die positive Erfahrung dessen nötig hat, was wir zu verlieren haben. Wer ganzheitlich denken soll, muss zumindest ansatzweise Ganzheit erlebt haben. Vielleicht wird ein Prophet, der Gefühle entwickelt hat für einen Strauch, mehr für eine ganze Stadt tun, als sich über ihre Fehler zu ärgern. Vielleicht.
Ich denke jedenfalls, dass Nachhaltigkeitsbildung ebenso notwendig wie das Wissen um die Gefahr, auch das Gefühl braucht, ein Gefühl – so hätten es die klassischen Philosophen formuliert – für das Schöne und Erhabene.
Das ist sicherlich keine umfassende Antwort auf die Frage, wie wir vom Wissen zum Tun kommen. Es ist nur ein Plädoyer für Erfahrung und Erleben, ja für die Ermöglichung und Förderung von positivem Erfahren und Erleben, das ein mitunter bedrückendes Wissen vervollständigen und vielleicht auch in Mut transformieren kann. Wollen wir Zukunft haben, braucht es wohl beides.
Zur Person:
Wilhelm Guggenberger ist Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.
Im Rahmen der ersten Nachhaltigkeitswoche der Uni Innsbruck im November 2023 war er gemeinsam mit Helga Kromp-Kolb (führende Klimaforscherin der BOKU Wien) und Michael Kirchler (Professor für Finanzwirtschaft) zu einem sehr spannenden Diskussionsabend zum Thema „Vom Wissen ins Handeln kommen“ geladen. Dieser Text stellt in Kurzform seinen Vortrag bei dieser Veranstaltung dar.
[1] Ebach, Jürgen: Kassandra und Jona. Gegen die Macht des Schicksals. Frankfurt, Athenäum 1987.
[2] Nussbaum, Martha C.: Politische Emotionen. Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist (Kindle-Version, 4332-4333). Suhrkamp Verlag.