29. April 2024
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Krippenschau’n

Auf dem Weg zur Krippe (Foto: Georg Schärmer)
Lesedauer ca. 2 Minuten

Krippenschau’n ist keine rührselige Geschichte – und schon gar nicht der Eitelkeit
einzelner Krippenbesitzer geschuldet – sondern stete Provokation, den Menschen in
den Elendsgebieten dieser Welt Solidarität und Mitgefühl zu zeigen.
Ich hab‘ – ohne Verdienst – von meinen Vorfahren wunderschöne und
beeindruckende Krippen geliehen bekommen. Ja, geliehen. Ich betrachte mich nicht
als Besitzer, sondern als Hüter dieser Kostbarkeiten und als einer, der diese
Lebensleihgabe den nächsten Generationen weiterreicht.
Die Krippen sind vor über einem Jahrhundert entstanden; in Zeiten großer Not, Armut
und steter Entbehrung, ja oftmals sogar begleitet mit Hunger und schmerzhaften
Kriegsverletzungen. Es zeugt von einer tiefen Spiritualität, dass sich die Menschen
trotz prekärer Lebensumstände jedes Jahr ein Stück „Schönheit“ vom Mund
abgespart, bzw. durch zusätzliche Gelegenheitsarbeiten erarbeitet haben. Mitten in
bescheidensten, oftmals notdürftig beheizten Wohnräumen schufen sie Oasen des
Friedens und der menschlichen Zuwendung. Krippen waren nicht selten die „biblia
paperum“ – die Bibel der armen Leute. Nur wenige reiche Mitbürger waren dabei die
Ausnahme. Ihre Krippen waren leistbare Schmuckstücke, nicht selten gefertigt von
ärmeren, kunstsinnigen und begabten Nebenerwerbskunsthandwerkern.
Für mich ist das sogenannte Krippenaufstellen eine liebgewonnene Meditation
während des Advents.
Meine Krippenberge verändern sich Jahr für Jahr. Ich lege sie als lebende Gärten an.
Zu allererst lege ich neben fixen, überlieferten Elementen harte, kalte Steine hinein.
Selbstkritisch überlege ich, wo ich kalt und abweisend war, zu harte Kante gezeigt
habe, andere verletzt und sinnloser Stein des Anstoßes war. Oder: Wo ich Steine
nicht aus dem Weg geräumt habe. Nach diesen Überlegungen, die sich über Tage
ziehen können, breite ich frisches Moos über dieser Steine. Auch als Anregung, Gras
über eine Sache wachsen zu lassen. Das heißt: Vergebung zu üben. Oder wie es der
Oberländer Volksmund gerne sagt: „Lassen wir es wieder gut sein!“ Martin Luther
formulierte es einmal so: Am Ende eines Lebens gibt es nur mehr zwei Fragen zu
beantworten……Wem muss vergeben?….wen muss ich um Vergebung bitten? Nicht
nur am Ende eines Lebens sage ich. Am Ende eines Jahres beziehungsweise am
Ende jeden Tages. Krippenbrauch braucht spirituelle Wurzeln und geerdete Praxis.
Sonst bleibt es ablenkende Behübschung. Apropos Wurzeln. Sie dürfen in meiner
Krippe nicht fehlen. „Aus einer Wurzel zart…“ heißt es in einem bekannten
Weihnachtslied. Welche Wurzel ist damit gemeint? Welche Wurzel eint uns alle? Ich
glaube – kein Verdienst und keine angeeignete Lehre – an eine/n Gott. Liebevoll und
zärtlich….sich klein machend…auf Allmächtigkeit verzichtend…Mensch werdend. In
einem kleinen Kind, nur überlebensfähig, weil es Annahme, Zuwendung, Solidarität
erfahren darf. Sich stetig wiederholend in jedem Menschenkind – überall auf der Welt
– unabhängig von Kultur, Religion, ethnischer Zugehörigkeit. Weihnachten erinnert
daran, dass wir alle Kinder Gottes sind, berufen und eingeladen, die Welt wärmer,
gerechter, friedlicher, ja besser zu machen. Insofern sind wir alle gesandte Gottverwandte, niemals Gottverdammte. Begleitet von diesen Gedanken, öffnet sich
mein überschaubarer Krippenraum welteröffnend und eine Woge der Dankbarkeit
durchflutet mich.

Mutter mit Kind (© Hans Salcher)

In diesem Sinn – friedliche Weihnacht – und dies nicht nur in späten Dezembertagen.

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Georg Schärmer

Geboren am 14. März 1956. Jahrelanger Leiter sozialer Einrichtungen und Bildungsstätten; zuletzt Direktor Caritas Tirol und Vizepräsident Caritas Österreich. Vorstandsmitglied von Pflegeeinrichtungen im In- und Ausland. Autor mehrerer Bücher, Publikationen und Herausgeber von Kulturformaten. Besondere Interessen: Musik, Literatur, Architektur und Sozialraumentwicklung. „Ziel des Schreiben ist es, andere sehen zu machen“ (Joseph Conrad)

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