Am 7. Februar 2025 feierte die neueste Ausstellung im Rahmen der [Fensterkunst]-Reihe des Kulturvereins, in der die Fenster vom und damit der Weg bei der Gemeinde vorbei mit Kunst bespielt werden, ihre Vernissage. Alina Noldin, junge Fotografin aus Hall, zeigt in der Serie “The House” durchdachte und schön komponierte Einblicke in eine Zeit, die sich schon längst verflüchtigt hat, aber nichts destotrotz an Erinnerungen der Betrachter*innen anknüpft. Michael Haupt hat mit der Künstlerin ein Interview über E-Mail geführt. Die Ausstellung wurde verlängert und ist noch bis 17. März in den Fenstern des Gemeindeamts zu sehen. [Fensterkunst 4.0] soll dann im April zu sehen sein. Infos dann rechtzeitig auf der Homepage des Kulturvereins.
Michael: Zunächst möchte ich dir zur gelungenen Ausstellung gratulieren und dir dafür danken, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Du nennst deine Serie “The House” und sie führt uns in das leerstehende Haus deiner Großmutter und dessen unmittelbare Umgebung. Kannst du uns etwas über die Hintergründe erzählen?
Alina: Vielen herzlichen Dank! Die Serie entstand im Sommer 2024 während eines Besuchs in dem Haus, in dem meine Mutter aufgewachsen ist. Das Haus ist mittlerweile unbewohnt, aber sein Zustand hat sich in den letzten 30 Jahren kaum verändert. Mein letzter Besuch davor war als Kind und ich wollte eigentlich meine Kindheitseindrücke festhalten, musste aber schnell feststellen, dass meine Kindheitserinnerungen voller Abenteuer und Entdeckungsreisen nicht mit der heutigen Realität übereinstimmen. Das Haus ist verlassen, die Gegend im Waldviertel mehr oder weniger wortwörtlich ausgestorben, die Räume nur mehr einen Bruchteil so groß wie in meiner Erinnerung.
Diese Serie ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit meiner persönlichen Erinnerung, sondern auch eine Aufarbeitung der Familiengeschichte. Drei Generationen fanden hier einst ein Zuhause, und während unseres gemeinsamen Besuchs im Sommer konnte jeder seine eigene Geschichte dazu erzählen.
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Die Fotografie ist für dich ein relativ junges Ausdrucksmittel, du beschäftigst dich erst seit etwas mehr als zwei Jahren damit. Was kann Fotografie als künstlerisches Medium für dich leisten und wie kam es, dass du dich damit auseinandersetzt?
Meine ursprüngliche Ausbildung liegt im Grafikdesign und hatte im Zuge dessen schon flüchtig Kontakt mit Fotografie – allerdings ohne wirklich hängenzubleiben. Erst Jahre später stolperte ich fast zufällig in die Fotografie hinein: Ich gestaltete das Layout für ein Albumcover einer befreundeten Band, und sie brauchten dafür auch Fotos. In diesem Moment wurde mir erst richtig bewusst, dass Fotografie für mich viel mehr sein kann.
Für mich hat Fotografie die besondere Fähigkeit, flüchtige Augenblicke so festzuhalten, wie ich sie in genau diesem Moment wahrnehme. Kein anderes Medium bietet diese Art von ”Spontanität”. Besonders Licht und Schatten spielen zum Beispiel eine große Rolle für mich und ein bestimmter Lichteinfall, der mich in diesem Moment fasziniert, kann in wenigen Minuten schon wieder verschwunden sein.
Ist es Zufall, dass du deine erste Einzelausstellung mit einer Serie bestreitest oder denkst du Fotografie grundsätzlich als Erzählform, die über das Einzelbild hinaus eine gemeinsame Geschichte präsentiert?
Ich glaube, in diesem Fall war die Serie eher dem Fakt geschuldet, dass sehr viele – für mich – bedeutungsvolle Bilder bei dem Besuch entstanden sind und dies die emotionalsten Fotografien von mir sind.
In der ausgestellten Serie befinden sich ja nicht nur Aufnahmen aus dem Haus, sondern auch aus dem geografischen oder atmosphärischem Umfeld, die die Serie gut ergänzen und die Geschichte für Außenstehende noch greifbarer macht.
Grundsätzlich bin ich aber schon der Meinung, dass auch ein einzelnes Bild eine ganze Geschichte erzählen kann und nicht zwingend eine Serie weiterer Bilder benötigt.
Auch kompositorisch zeigt die Serie sich wiederholende Elemente. So sehen wir viele Bilder mit senkrechten Linien, mit wenigen, aber umso interessanteren Details, vieles ist angeschnitten, alles wirkt stets ausschnittsmäßig. Wie bewusst komponierst du deine Bilder und zieht sich diese Bildsprache auch durch deine anderen Arbeiten?
Ich bin mir nicht sicher, wie bewusst dieser Prozess tatsächlich ist oder wo die Grenze zum Unbewussten verläuft. Durch die Arbeit im grafischen Bereich sind meine Augen darauf trainiert, stimmige Kompositionen wahrzunehmen. Auch vier Jahre Studium der Kunstgeschichte und visuellen Kommunikation haben ihre Spuren hinterlassen. Symmetrie – oder auch gezielte Asymmetrie –, bestimmte Kompositionsprinzipien und das Zusammenspiel von Farben haben sich im Laufe der Jahre so eingeprägt, dass ich beim Fotografieren nicht aktiv darüber nachdenke. Oft sehe ich eine stimmige oder interessante Komposition in der realen Welt und versuche, sie im Bild einzufangen.
Diese Bildsprache zieht sich auch durch meine anderen Arbeiten – besonders die angeschnittenen Bildelemente. Aufnahmen, die ein Motiv vollständig zeigen, wirken auf mich oft zu direkt, fast plump. Viel spannender finde ich es, wenn nur ein Ausschnitt oder Detail sichtbar ist und der Betrachter den Rest selbst ergänzen muss. Wie bei einem guten Buch, bei dem man seiner Fantasie freien Lauf lassen kann und nur ein textlicher Rahmen besteht.
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Inhaltlich zeigen deine Fotos mal eine implizite Morbidität, in einem Fall, dem Bild mit den Totenköpfen, sogar ziemlich explizit. Susan Sontag schreibt in ihrem Standardwerk zur Theorie der Fotografie: “Alle Fotografien sind memento mori. Eine Fotografie zu machen bedeutet, an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit einer anderen Person (oder Sache) teilzuhaben. Gerade indem sie diesen Moment herausschneiden und einfrieren, bezeugen alle Fotografien das unerbittliche Vergehen der Zeit.” Was hältst du von diesem Zitat und wie würdest du deine Serie “The House” in diesem Zusammenhang einordnen?
Das Zitat trifft den Nagel auf dem Kopf. In meiner Serie „The House“ trifft es vermutlich auf mehreren Ebenen zu. Ich habe versucht, den gegenwärtigen Zustand festzuhalten, während er bereits dem unaufhaltsamen Wandel der Zeit zum Opfer gefallen ist. Die Bilder zeugen von dem, was einst war und nicht mehr ist. Gleichzeitig möchte ich das Sichtbare konservieren und werde dabei mit der Erkenntnis konfrontiert, dass auch dieser Moment irgendwann Geschichte sein wird.
Generell ist Vergänglichkeit, und der Tod, ein Thema, welches meiner Meinung nach viel präsenter sein sollte in unserer Gesellschaft. Die Erinnerung daran, dass alles vergeht, lässt uns kostbare Momente umso mehr wertschätzen.
Einen weiteren Bezug zur Fototheorie haben wir bereits in einem persönlichen Gespräch im Rahmen der Vernissage angesprochen. Roland Barthes’ Konzept des “punctum” und “studium”, das er in dem ebenfalls zum Standardwerk gehörenden Büchlein “Die helle Kammer” ausgeführt hat. Beim “punctum”, das uns in diesem Fall mehr interessiert, geht es darum, dass ein Detail einer Fotografie einen unmittelbar berührt, unerwartet fesselt und emotional “verwundet”. Mit deiner Serie knüpfst du vermutlich bei vielen Betracher*innen an längst vergangene Erinnerungen an. Es ist, als ob die Zeit stillgestanden wäre und wir noch einmal die Möglichkeit hätten, in die eigene Kindheit zurückzureisen. Ein gutes Ausgangspunctum würde ich behaupten wollen. Was meinst du dazu?
Auf jeden Fall! Ich war tatsächlich selbst überrascht wie viel Resonanz die Bilder ausgelöst haben. Besonders zwei Aufnahmen aus der Serie haben bei den Besuchern starke persönliche Erinnerungen geweckt: eine alte Wäscheschleuder und eine dekorative Samtquaste. Ein kleines Detail, das bei vielen eine große emotionale Reaktion ausgelöst hat. Sowas freut mich natürlich unglaublich, wenn die Betrachter nicht nur die ästhetischen Aspekte der Bilder schätzen, sondern sich auch auf einer emotionalen Ebene mit den Fotografien verbunden fühlen.
Vielen Dank für das “Gespräch” und Gut Licht für deine weiteren Vorhaben.
Vielen herzlichen Dank für die interessanten Fragen und die Zeit!