Liebe Christl, vielen Dank für die Bereitschaft zu diesem Gespräch!
Ich kenne dich schon seit längerer Zeit als sehr engagierte Inzingerin im sozialen Bereich. Im Zusammenhang mit dem „Freundeskreis für Integration“ (FKFI) in Inzing haben wir ja auch einige Jahre eng zusammengearbeitet. Soziales Engagement ist sehr zeitintensiv und sehr oft auch emotional fordernd. Ich freue mich auf Einblicke in dein Empathie-bestimmtes Leben.
DZ= Luis Strasser / ChS = Christine Schatz // VG=Vinzenzgemeinschaft Inzing
DZ: Du bist nun schon seit langem die Obfrau der Vinzenzgemeinschaft (VG) St. Peter in Inzing. Wie war dein Werdegang in dieser Organisation – bis hin zur Führungskraft?
ChS: Ich bin seit 20 Jahren bei der VG. Ich war vorher schon eng mit ihr verbunden, da mein Mann Karl bei der Gründung 1983 Obmann des Vereins wurde. Ich habe daher den Aufbau der Gemeinschaft und die Mitglieder gut gekannt. Als ich dann in die Nähe der Pension gekommen bin, reifte in mir der Gedanke, im neuen Lebensabschnitt etwas Soziales zu tun. Daher lag das Engagement bei der VG St. Peter sehr nahe. Ich bin dann 2005 eingetreten. Als Maria „Midl“ Plattner im Jahr 2014 die Obfrauschaft nach 20 Jahren (!!) beendet hat, habe ich diese Funktion übernommen. Eigentlich wollte ich mich gar nicht für eine führende Position bewerben, hab‘ aber dem einstimmigen Votum der Mitglieder nachgegeben und mich den herausfordernden Aufgaben der Obfrau der VG Inzing gestellt.
DZ. Wie hast du es geschafft, neben den fordernden Aufgaben in Familie und Beruf auch noch Zeit und Energie für die VG aufzubringen?
ChS: Ich glaube, ich kann sagen, dass ich prinzipiell ein sehr energiegeladener Mensch bin. Da ich meinen Beruf als zunächst selbständige Physiotherapeutin mit der Arbeit als Mutter von vier Kindern in Übereinstimmung bringen musste, habe ich schon sehr früh gelernt, den Tagesablauf zu strukturieren und effizient einzuteilen. Dies – zusammen mit der Freude an der Arbeit, egal was ich mache, ob Haushalt, Garten, VG u.v.m. – führt dazu, dass ich in angenehmer Zufriedenheit am Abend eigentlich nie ausgepowert oder besonders erschöpft bin.
DZ: Was sind die Hauptaufgaben einer Vinzenzgemeinschaft?
ChS: Da möchte ich auf die Homepage der Gemeinde verweisen:
Vinzenzgemeinschaften arbeiten im Geiste des 1581 geborenen Hl. Vinzenz von Paul. Nach seinem Beispiel gründete Friedrich Ozanam vor 150 Jahren kleine Gemeinschaften, die heute im Sinne christlicher Nächstenliebe weltweit arbeitenden „Vinzenzgemeinschaften“.
Die Vinzenzgemeinschaft Inzing, gegründet 1983, ist bestrebt, alten, kranken und in Not geratenen Menschen unseres Dorfes unbürokratisch, ohne Frage nach religiöser oder politischer Zugehörigkeit, zu helfen. Heimhilfe, Hauskrankenpflege, Verleih von Pflegebehelfen und „Essen auf Rädern“ wurden organisiert und ausgebaut.
Die Hauskrankenpflege liegt zwar im Zuständigkeitsbereich der Gemeinde, Pflegebehelfe werden jedoch von der Vinzenzgemeinschaft angekauft und den Betroffenen gegen eine geringe Gebühr zur Verfügung gestellt.
Ebenso wird auch „Essen auf Rädern“ von der Vinzenzgemeinschaft in Zusammenarbeit mit der Gemeinde organisiert. Not verschiedenster Art ist allezeit unter uns, sie aufzuspüren und zu helfen bleibt unsere aktuelle Aufgabe.
(Quelle: https://www.inzing.gv.at/Vinzenzgemeinschaft_St_Peter_3)
Noch ein paar Ergänzungen zu den Kooperationen mit der Gemeinde:
– PFLEGEBETTEN: Da genügt ein Anruf eines/r Angehörigen einer bedürftigen Person, dass man eine solches Bett braucht. Falls eines der 18 von uns angekauften Betten (alle technisch auf neuestem Stand) frei ist, können unsere zwei ehrenamtlich agierenden Männer mit unserem extra dafür angeschafften Bus die Lieferung an die entsprechende Adresse durchführen. Für’s Aufstellen, Abbauen etc. zahlen die Leute dann einen kleinen Betrag, um dadurch eine gewisse Wertschätzung für diese Dienstleistung zu garantieren.

– ESSEN auf RÄDERN: Die Mahlzeiten werden in der Gemeindeküche hergestellt, wofür die Kunden dann bezahlen. Für die Auslieferung durch die VG und die Bereitstellung des Geschirrs behalten wir pro Mahlzeit einen Euro ein.

Und noch eine generelle Anmerkung zu den Finanzen: Abgesehen von den oben beschriebenen Aktivitäten finanzieren wir uns ausschließlich über Spenden. Immer wieder kommen kleinere und auch größere Beträge herein – manchmal auch ganz große. Z.B. wurden wir auch schon einmal mit einer größeren Erbschaft bedacht.

DZ: Hat sich im Laufe der Zeit die Arbeit in der VG gewandelt?
ChS: Ja – insofern, als dass viel mehr finanzielle Unterstützung nachgefragt wird. Dies betrifft nicht so sehr unsere Kernkompetenz der Alten- und Krankenbetreuung (wie in unserem Folder beschrieben), sondern vielmehr Eltern schulpflichtiger Kinder. Im Wissen darum verteilen wir Flugblätter in den Schulen und im Kindergarten, damit die Erziehungsberechtigten im Bedarfsfall sehr unkompliziert Hilfe lukrieren können. Die Kooperation mit den Schulen klappt gut, bes. mit dem VS-Direktor Günter Sailer, der manchmal von sich aus anruft und um Unterstützung bittet.
Die generellen Informationen an die Eltern werden an alle SchülerInnen ausgegeben, um nicht von vornherein durch Selektion einzelne Buben oder Mädchen zu „brandmarken“.
Es genügt dann ein Anruf bei mir, um beispielsweise eine Teilzahlung bei Sportwochen oder Ausflügen bereitzustellen.
Manchmal haben wir etwas negative Erfahrungen gemacht – eher mit neu zugezogenen Menschen, nicht mit sogenannten „Alteingesessenen“. Es fehlt in solchen Fällen zunehmend das Gespür für das Machbare, indem überzogene Ansprüche geltend gemacht werden. Wir helfen dann meistens mit Lebensmittelgutscheinen aus.
DZ: Wie stark werden die Dienste der VG in Inzing angenommen?
ChS: Ich wiederhole mich – von den Alteingesessenen überhaupt nicht. Die Neuzugezogenen trauen sich eher, uns um Hilfe zu bitten, da sie im Dorf noch kaum bekannt sind. Im Schnitt bekommen wir etwa alle drei/vier Monate eine derartige Anfrage. Diese Leute melden sich dann aber regelmäßig. Länger anhaltende Unterstützung (zu Schulbeginn, Weihnachtszeit …) wird von uns auch geflüchteten Menschen gewährt, nachdem diesbezügliche Anfragen von deren Vertretung im Dorf, dem Freundeskreis für Integration, gestellt worden sind.
DZ: Spürst du auch besondere Dankbarkeit der Leute in unserer Kommune?
ChS: Anlassbezogen spüren wir schon eine große Dankbarkeit der Betroffenen. Und generell genießt die VG hohes Ansehen in der Gemeinde. Aber es ist nicht so, dass Leute uns spontan auf der Straße oder sonst irgendwo ansprechen und sich bei uns bedanken.

Anlässlich der Verleihung des „sal.z.i. Lebenswert Award“ wurde die VG Inzing im September letzten Jahres in der Kategorie „Soziale Verantwortung / Verein“ als Gewinnerin besonders geehrt.
(Foto: L. Strasser)
Bericht in der DZ: https://blog.dorfzeitung-inzing.at/?p=17589
DZ: Wirken sich die gesellschaftlich-politischen Verwerfungen der letzten Zeit auch auf eure Arbeit aus?
ChS: Ja – insofern, dass es jetzt viel mehr AlleinerzieherInnen gibt, die Hilfe brauchen. Ich bin aber total davon überzeugt, dass es auch früher einige gegeben hat, die sich aber – wie gerade vorher schon erwähnt – aus Scham wegen ihrer Bekanntheit im Dorf nicht bei mir gemeldet haben.
Die allgemeine gesellschaftlich-politische Situation mit all den nationalen und internationalen Implikationen hat auf unsere konkrete Arbeit im Dorf bisher keine Auswirkungen gezeitigt.
DZ: Möchtest du besondere Wünsche an die Gemeindepolitik oder die BewohnerInnen Inzings äußern.
ChS: Die Zusammenarbeit mit den Gemeindevertretern (z.B. Essen auf Rädern oder die Bereitstellung von Pflegebehelfen…) klappt sehr gut. Sie sind sehr kooperativ.
An die BewohnerInnen von Inzing möchte ich den Appell richten, sich in schwierigen Situationen ohne Scham an uns zu wenden. Die Kontakte bleiben total anonym.
DZ: Wie stark belastend empfindest du dein Engagement in der VG?
ChS: Es kommen täglich via Telefon Anfragen (z.B. bezüglich der Essensausgabe, der Pflegebettenbereitstellung etc.). Es gibt praktisch keinen Tag, an dem keine VG-Aktivitäten auf der Tagesordnung stehen. Und ich nehme mir dann wirklich Zeit, um auf die Probleme der Menschen einzugehen. Aber es ist nicht so, dass es mich besonders belasten würde.
Zum Schluss noch ein paar Szenen von besonderen Aktivitäten der VG:

Begleitung von älteren Menschen ins Inzinger Schwimmbad

VertrerInnen der VG luden ein paar BewohnerInnen des Vivavinz mit ihren Pflegerinnen zu einem gemütlichen Pizzaessen im Schwimmbad ein.
(Sommer 2024)
Vielen herzlichen Dank, liebe Christl, für deine interessanten und beeindruckenden Informationen.
Menschen wie du und deine MitarbeiterInnen machen Hoffnung auf eine gute Zukunft, auch wenn derzeit viele (politische) Strippenzieher rundum verrückt zu spielen scheinen!!

PORTRÄT von Christine Schatz
AUSBILDUNG
– VS Inzing, HS Zirl, Musisch-Pädagogisches Realgymnasium in Innsbruck
– Ausbildung zur Physiotherapeutin in Innsbruck
BERUFLICHER WERDEGANG und Aktivitäten:
– Vier Jahre an der Klinik Innsbruck
– Freiberufliche Tätigkeit in eigener Praxis bis zur Pensionierung
– Aktuell Kursleiterin für „Heilgymnastik“ an der Volkshochschule in Telfs
FREIWILLIGENARBEIT
– Jungscharführerin
– Jugendvertreterin im Pfarrgemeinderat
– Sternsingeraktion
– Mitarbeit in der Dorfbücherei
– Mitarbeit im FKFI (Freundeskreis für Integration)
– Seit 2005 Mitglied und seit 2014 Obfrau bei der Vinzenz Gemeinschaft
PRIVATES
Verheiratet mit Karl, vier Kinder und acht Enkelkinder
Foto: Thomas Schatz
ccc
Alle Fotos (wenn nicht anders angegeben): privat / VG Inzing