(Engl. Original: Orbital, deutsch von Julia Wolf)
Letztes Jahr gewann Samantha Harvey mit diesem schmalen Band überraschenderweise den Booker Preis. Überraschend deshalb, weil dieser Text kaum Handlung bietet, sondern stattdessen sechs Personen 24 Stunden lang auf einer Raumstation begleitet, die in dieser Zeit die Erde 16 mal umkreist.
Wieso ist es trotzdem ein faszinierender Text? Wegen Samantha Harveys Umgang mit Raum und Zeit.
Von der Enge der Raumstation wechselt sie zur unendlichen Weite des Alls und zurück. Die Crew besteht aus je einem/einer Astronaut:in aus Italien, Großbritannien, Japan und den USA sowie zwei russischen Kosmonauten. Die Autorin lotet subtil die Nähe bzw. Distanz der Crew-Mitglieder untereinander und zu ihren Menschen auf der Erde aus. Jede und jeder verkörpert auf individuelle Weise das unbändige menschliche Verlangen, das Unbekannte zu erforschen und ist bereit, diesem Drang alles andere unterzuordnen.
Man sollte sich jedoch kein Loblied auf den technischen Fortschritt erwarten, sondern ein in poetische Prosa gefasstes Erstaunen über unseren Planeten und die unterschiedlichen Ansichten, die er bietet, wenn man alle 90 Minuten einen Tagesanbruch beobachten kann.
Harvey wechselt von sachlichen Beschreibungen der Arbeitsschritte zu solchen der körperlichen Wahrnehmung in der Schwerelosigkeit. Der Text enthält viele Aufzählungen und Wiederholungen, die keine treibende Wirkung entfalten, sondern beim Lesen ein angenehm schwebendes Gefühl. Dies ist um so erstaunlicher, als die Zeit durch die 16 Tagesanbrüche in 24 Stunden eigentlich extrem beschleunigt wird.
Fast bis zum Schluss kommen kaum Geräusche vor, alles wirkt ziemlich still. Erst auf den letzten Seiten führt Harvey Klänge ein, um mit einem Bild von klanglicher Harmonie unseres Planeten zu enden. Harmonie, in der sich – zumindest für ein paar Momente – die Möglichkeit eines Miteinander andeutet.

von

Thanks, Brigitte!
An insightful review. We’ve translated it into English…..no doubt you’ll quote your review when we meet this Friday evening for the Reading Circle, and you introduce ‚Orbital‘ – the book we voted on for December!
The ‚Falter‘ review of ‚Umlaufbahnen‘ by Klaus Nuechtern says: „Die cinematografische Choreografie macht den Reiz von ‚Umlaufbahnen‘ aus.“
I agree! There are some marvellous lyrical descriptions and poetic metaphors. For example: Pietro on a spacewalk – „A bird released to an unimagined freedom“. Or: „Short dreams of surging flight or long and languid dreams of discovery….of breaking or being free.“
Several quotations reflect our transient lives: „We exist now in a fleeting bloom of life and knowing, one finger-snap of frantic being, and this is it….“
Or:
„The ride of your life will pass in an eye-blink, just as life does to the aging brain whose slowing makes everything appear to move faster.“
Food for thought?
Andrew
xx