26. April 2024
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Ursula Beilers „Grüß Göttin“ und „Aura“ im Tirol Panorama

Foto: Brigitte Scott
Lesedauer ca. 3 Minuten

Wenn man das Weibliche ausschließt, was schließt man sonst noch alles aus?

Weithin bekannt ist bzw. war der rosa Schriftzug auf einer schwarzen Tafel neben der A12 nahe der deutschen Grenze bei Kufstein. Anstatt dem in vielen Orten Tirols üblichen „Grüß Gott in [Ort XY]“ stand hier „Grüß Göttin“. Vom 4.11.2020 bis 28.3.2021 steht nun eine verkleinerte Kopie dieses Schilds auf dem Dach des Tirol Panoramas am Bergisel. Im Foyer des Museums präsentiert sich eine Dokumentation der Reaktionen auf das Schild.

Im Vorfeld des 200. Gedenkjahrs zu den Tiroler Freiheitskämpfen lud das Land Tirol in einer Ausschreibung dazu ein, „sowohl permanente Kunstprojekte als auch temporäre Interventionen im öffentlich[en]…Raum“ einzureichen. Aus über 50 Einreichungen wurden fünf zur Realisierung ausgewählt. Ursula Beilers Grüß-Göttin-Tafel war eine davon. Im Festumzug kurz nach Aufstellung der Tafel 2009 trug Beiler zusammen mit zwei Freundinnen eine kleinere Version der Tafel an den Tausenden ZuschauerInnen und Ehrengästen vorbei. Wobei sie sich immer noch wundert, dass ihr damals erlaubt wurde, in dem ansonsten von lauter Tiroler Traditionsvereinen und den Schützen beschickten Umzug mitzumachen.

Den hohen Bekanntheitsgrad weit über Tirol hinaus erreichte das Objekt bei Kufstein vor allem durch die Reaktionen, die es auslöste. Mindestens 60 Vandalenakte sind dokumentiert, mit denen der Schriftzug immer wieder beschädigt, übermalt oder abgewandelt wurde. Unzählige Leserbriefe, E-Mails und Anträge erreichten die Medien und die Behörden. Viele davon sind in der Dokumentation im Tirol Panorama nachzulesen. Erstaunlich ist daran die Bandbreite der Themen und Assoziationen, die hier zum Ausdruck kommen. Viele fühlen sich aufgerufen, Gott zu verteidigen, obwohl der abgewandelte Gruß einem männlich konnotierten Gott die Existenz an sich ja nicht abspricht. Noch mehr Stimmen treten aber zum Kampf um die Identität Tirols an, die für diese Menschen mit dem Göttin-Gruß beschädigt oder pervertiert wird. Ursula Beiler dazu: „…es muss diskutiert werden, wer in Tirol dazugehört und wer das Sagen hat. Lässt unser Verständnis von Tirol Fülle und ein geschlechtlich weites Spektrum zu oder ist es einseitig und einfältig?“

Da die Tafel in Kufstein als zeitlich befristete Intervention konzipiert war, wurde sie nach einer kurzen Verlängerung 2016 abgebaut und in mühsamer Suche nach einem neuen Standort 2019 mit Unterstützung der SPÖ-Frauen im Innsbrucker Gemeinderat im Kreisverkehr bei der Autobahnausfahrt Innsbruck Mitte wieder aufgestellt. Auch dort wird sie immer wieder beschädigt, übermalt oder abgewandelt.

Im Tirol Panorama stehen in einer Dauerausstellung Holzsäulen mit Statuen wichtiger Männer aus den Tiroler Freiheitskriegen. Eine leere Säule ist den unbekannten Frauen aus dieser Zeit gewidmet, von denen die Geschichtsschreibung wenig bis gar nichts zu berichten hat. Diese Säule ist verkleidet mit unzähligen „Heiligenbildchen“ – so sieht es zumindest auf den ersten Blick aus. Ursula Beiler nennt ihr Werk „Aura“ und hat dazu die Gesichter zahlloser Frauen vor einem Lichterkranz fotografiert, der wie ein Heiligenschein wirkt. Eine andere Assoziation wäre vielleicht die mit einem Automaten für Passbilder, denn die kleinen, quadratischen Fotos sind nicht immer gut ausgeleuchtet, auch mal unscharf oder ein bisschen verrutscht. Ihre Wirkung entsteht durch die große Menge, es sind mehrere hundert Bildchen. Sie ziehen die in vielen Zusammenhängen immer noch nicht sichtbaren Frauen in die Wahrnehmung und verweisen gleichzeitig auf die Aura, die jeden Menschen umgibt, aber ebenfalls oft nicht wahrgenommen wird.

Aura – Foto: Brigitte Scott

Zwei „Zeitschriften“ begleiten die Ausstellung von Beilers Arbeiten. Nr. 1 erschien zur Eröffnung und ergänzt die ausgestellte Dokumentation mit einem Interview mit Urbeil, wie sich die Künstlerin auch nennt und mit einem informativen und kurzweiligen Text von Martina Kaller zur Rezeptionsgeschichte von „Grüß Göttin“.

Für März 2021 ist die zweite Ausgabe der Zeitschrift geplant, davor sollen im Jänner und Februar 2021 Gespräche zu Kunst im öffentlichen Raum, patriarchalischer Geschichtsschreibung und Frauenpolitik im Museum stattfinden.

Selbst wenn man dem teuren Prachtbau an sich kritisch gegenüber steht, empfiehlt sich ein Besuch im Tirol Panorama gerade jetzt sehr. Die Gegenüberstellung der dauerhaft präsentierten Objekte mit der Grüß-Göttin-Dokumentation und der Aura-Säule lädt dazu ein, darüber nachzusinnen, was man persönlich mit Tirol verbindet.

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Brigitte Scott

Brigitte Scott lebt seit 20 Jahren in Inzing und ist hier im Chor Inigazingo, im Kulturausschuss als Vertreterin der Liste JuF und im Kulturverein aktiv. Bis zum Ende der gedruckten Dorfzeitung war sie viele Jahre deren (Mit)herausgeberin und vor allem an Kulturberichterstattung interessiert. Brigitte ist ursprünglich aus Salzburg und lebte 16 Jahre in England. Ihrem Beruf als Übersetzerin und Lektorin geht sie in reduziertem Umfang auch jetzt in der Pension noch nach. 2009 engagierte sie sich im Projekt Radio Enterbach und davor im Literaturprojekt Andern(w)orts, beide vom Kulturverein. Sie liebt Musik, als Chorsängerin und als rege Besucherin von Konzerten. Sie ist Mitglied des English Reading Circle, der sich jedes Monat trifft, um ein bestimmtes Buch zu besprechen, natürlich auf Englisch. Sie gartelt mit Freude, aber hauptsächlich nach der Methode "Versuch und Irrtum". Trotzdem findet sie immer wieder genug zu ernten, um ihrer Kochleidenschaft zu frönen. Saisonale und indische Küche, die sie in England erlernt hat, liebt sie besonders - und ihre Gäste ebenfalls.

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