Eine anekdotische Erzählung von Hannes Heinrich aus Bergisch Gladbach
Wie in unserem Beitrag “Das muss wahre Liebe sein” (DZ-Blog, 22.3.2021) erwähnt, hat uns Hannes Heinrich dankenswerterweise das Angebot gemacht, für die “neue” DZ Inzing hin und wieder einen Artikel zu schreiben. In fortgeschrittenem Alter von fast 88 Jahren ist dies für ihn einerseits zwar ob seiner etwas angeschlagenen Gesundheit physisch ziemlich fordernd, auf der anderen Seite aber – so habe ich den Eindruck gewonnen – eine wunderbare Gelegenheit, über sein Leben – und dabei insbesondere über seine enge Beziehung zu Inzing – zu reflektieren.
Aus dieser Konstellation ergab sich der hier folgende Beitrag, dem noch weitere zu anderen Themen folgen werden.
Hannes verfasst seine Artikel ausschließlich handschriftlich, weshalb wir hier der Authentizität wegen zu Beginn eine Kopie der ersten Seite seines übermittelten Manuskripts präsentieren.
Ein herzliches Dankeschön an Hannes für seine interessanten Schilderungen des Lebens in Inzing in früheren Zeiten!
Vielen Dank auch an Peter Schatz vom Team der Dorfchronik Inzing für die Bereitstellung passender Fotos!
Luis Strasser / Redaktion DZ Inzing
…Hauses ein ausgesprochener Glücksfall war! Er vollzog sich binnen zwei Tagen. Nach telegrafischer Überweisung von zwanzigtausend Goldmark wurde der notarielle Akt besiegelt.
Mein Vater vervollständigte die Einrichtung des Hauses nach unseren Bedürfnissen, einer sechsköpfigen Familie. Die Wohnfläche, ohne Kellerräume, betrug 180 qm, darunter ein voll ausgestattetes Badezimmer, was damals selten war. Neben dem Haus befand sich eine große Garage. Im Haus geblieben sind auch mehrere Kunstwerke des Tiroler Bildhauers, Professor Obleitner. Außer dem zwei Meter hohen Christophorusbrunnen im Garten des Hauses besitze ich diese zu meiner großen Freude noch heute.
In den Sommermonaten Juli und August 1939 bis 1944 besuchten wir Inzing alljährlich, um uns von dem Bombenhagel im Krieg ausschlafen zu können. Wir brauchten nachts keinen Luftschutzbunker aufzusuchen. Die Sommermonate waren in diesen Jahren sehr schön und erholsam.
Im Oktober 1944 zeichnete sich spürbar ab, dass der Krieg sich dem Ende näherte und verloren ging. Eine traurige Hinterlassenschaft mit Millionen von Toten und zerbombten Städten. Die Front lag nur vierzig Kilometer von uns entfernt. Die Grenzstadt Aachen hatten amerikanische Truppen unter General Eisenhower bereits eingenommen. Den Donnerhall der Kanonen hörten wir schon deutlich.
Ende Oktober 1944 erhielten meine Eltern die Nachricht, dass sich mein Bruder Arno freiwillig zur Waffen-SS gemeldet habe und in den nächsten Tagen einberufen würde. Arno wurde sehr wahrscheinlich unter Druck gesetzt. Er war erst fünfzehn Jahre alt und unmündig. Mein Vater ging sofort zum Bürgermeister und widerrief die von Arno eigenmächtig gegebene Einwilligung. Dadurch wurde er als Fahnenflüchtiger gesucht. Meine Eltern versteckten Arno für den Fall einer Hausdurchsuchung in einem abgelegenen Zimmer unseres großen Hauses. Nur enge Vertraute durften durch ein besonderes vereinbartes Klingelzeichen unsere Familie aufsuchen.
Einige Tage später suchte der Bürgermeister meine Eltern auf und teilte ihnen mit, er könne für die Sicherheit der Familie keine Gewährleistung mehr übernehmen. Außer meinem Vater, der das ortsansässige große Textilunternehmen seit achtzehn Jahren leitete, mussten meine Mutter, Arno und ich unseren Wohnort Köttenich kurzfristig verlassen. Unsere ältere Schwester Erika durfte zur Versorgung meines Vaters bei ihm bleiben. So wurde als Abreisetag mit dem Ziel Inzing der 6. November 1944 festgelegt. Zu diesem Zweck hatte mein Vater aus Firmenbeständen ein großes, komfortables Auto reisefertig machen lassen. Es bot mehreren Personen und reichlich Gepäck ausreichend Platz. Mit zu den Fahrgästen zählte auch Frau Christl Schumacher-Schoeller, eine reizende, schon betagte Dame. Ihre beiden Söhne, Leopold und Louis Schoeller, hatten meine Eltern gebeten, ihrer Mutter während der Kriegswirren in unserem Inzinger Haus sicheren Unterschlupf zu gewähren. Dem kamen sie gerne nach.
Am Morgen des 6. November 1944 begann die Fahrt nach Inzing in eine ungewisse Zukunft, aber Inzing blieb unsere einzige Hoffnung. Wie sich rückblickend erweist, ein wahres Juwel!
Als wir in das Auto einstiegen, da schluchzte meine Mutter: Ist das schwer! Ich steckte mir zum Andenken einen Kieselstein in meine Hosentasche. Das Auto war bestückt mit fünf Personen und siebzehn Koffern, dazu noch etliche Benzinkanister. Die Fahrt bis Inzing dauerte vier Tage. Zweimal mussten wir in Württemberg übernachten, zuletzt im Bahnhofshotel in Ulm. Dort versammelten sich zum Abendessen viele Generäle mit ihren roten Streifen an den Hosenbeinen.
Am dritten Tag unserer Reise erreichte uns in Kempten ein starker Wintereinbruch. Es schneite heftig, und die Straßen begannen glatt zu werden. Mein Vater hatte große Bedenken, das voll beladene Auto sicher über die Bergstrecke nach Inzing fahren zu können. So wurde der Wagen in einer Garage untergestellt, und Arno und ich losgeschickt, ein geeignetes Gefährt für den Transport des Gepäcks zu suchen. Wir hatten großes Glück. Gleich im ersten Fachgeschäft konnten wir einen großen, stabilen Leiterwagen erwerben. In diesen passten dann auch die vielen Koffer. Von Kempten aus ging es mit dem Zug nach Lindau und von dort aus mit dem Nachtzug, es war ein Personenzug, durchgehend nach Inzing. Um sechs Uhr am Morgen des 9. November 1944 kamen wir dort übernächtigt an. Sodann stapften wir durch einen halben Meter Neuschnee den einen Kilometer langen Weg zu unserem Haus in der Kohlstatt 185, welches heute die Nummer 48 trägt.
An dieser Stelle mache ich eine Zäsur in meinen Aufzeichnungen, denn ab diesem Tag sollte Inzing zehn lange Jahre den Mittelpunkt unseres Lebens bilden.
INZING als Mittelpunkt des Lebens der Fam. Heinrich
Lesen Sie den an Anekdoten reichen Teil 2 ab 12.5.2021…