Jetzt ist es also wieder soweit. Seit kurzer Zeit erwacht das Land wieder aus seinem verordneten Dornröschenschlaf. Am Vorabend der Veröffentlichung dieses Beitrags für die DZ Inzing werde ich zum ersten Mal seit Oktober letzten Jahres eine Kulturveranstaltung besucht haben. Beides sozusagen beruflich bedingt. In den letzten Tagen vor dem Herbstlockdown veranstalteten wir (die Initiative Minderheiten) noch gemeinsam mit dem Mozarteum, Fachbereich Musikalische Ethnologie, und dem Haus der Begegnung den alljährlichen Konzertabend „Echos der Vielfalt“. Mit Masken, weit auseinander gestellten Stühlen und nur zu fünfzig durfte das Publikum vier Bands bzw. Formationen aus unterschiedlichsten Musiktraditionen lauschen. Herzliche Atmosphäre, schöne Musik, aber der nahende Lockdown trübte die Stimmung sehr. Danach kein geselliges Zusammensitzen und Austauschen.
Gestern werde ich dann die Filmpremiere von „Zeitdreher*innen“, den neuen Film meines Freundes Eric Bayala, im Leokino in Innsbruck erlebt haben. Mit einem der berühmten 3 Gs, einer Reservierung, einem etwas bürokratischen Procedere und einer Belegung von maximal 50 Prozent wird man einen Film gesehen haben, der sich bei Tiroler Künstler*innen erkundigt, was ihre Antworten und künstlerische Beschäftigung mit Themen wie Migration, Flucht, aber auch Gastfreundschaft ist. Dazu hat der Filmemacher, der ursprünglich aus Burkina Faso kommt, neun Künstler*innen befragt, die sich in Kunstsparten und Zugängen deutlich voneinander unterscheiden. Von der Performancekünstlerin Nicole Weniger über den Kabarettisten Markus Koschuh zur Mundartdichterin Annemarie Regensburger, Bildhauerei (Haki Kirchmair, Alois Schild), Keramikkunst (Margarethe Oberdorfer), Fotografie (Ludwig Thalheimer) und Schauspiel/Theater (Christoph Heinz). Ein grundsätzlich philanthropischer Ansatz ist ihnen gemein.

Der Film verhandelt letztlich die Frage, was Kunst und Kultur im Stande ist zu leisten. Kunst und Kultur hat die Möglichkeit Fragen zu stellen, auch unangenehme Fragen zu stellen. Sie kann irritieren, überraschen und schmunzeln machen. Sie kann uns anregen, uns mit diesen Fragen auseinanderzusetzen oder Risse in die Schalen unserer festgefahrenen Meinungen schlagen.
Umso wichtiger ist es, jetzt der Kultur wieder beim Atmen zu helfen. Das betrifft einerseits die Politik, die mit aller Kraft (und koste es was es wolle) die vielen Kulturinitiativen und –veranstalter*innen unterstützen muss. Und andererseits uns alle als Kulturkonsument*innen.
Von Seiten der Politik sind immerhin einige Kulturfördertöpfe ins Leben gerufen worden, die neue Formate und Ansätze fördern. Das gehört ausgebaut, ein bisschen niederschwelliger angesetzt und v.a. auf die nächsten Jahre weitergeführt. Aber ich fürchte mich vor dem Moment, wo es heißt, dass die Gemeinde-, Landes- und Bundesbudgets wieder konsolidiert gehören. Wir wissen, bis jetzt waren Kultur und Soziales als erste Bereiche dran, wenn es ums Sparen ging. Es wäre schön, wenn bis zu diesem Zeitpunkt die öffentliche Meinung, dass (freie) Kulturarbeit ein wesentlicher (und nicht einsparbarer) Faktor des gesellschaftlichen Lebens ist, gefestigt genug ist, um politische Entscheidungen in dieser Hinsicht zu unpopulär erscheinen zu lassen. Träumen darf man ja ….
Von Seiten der Kulturkonsument*innen müssen wir uns alle an der Nase nehmen und die Sofas verlassen, wo unsere Hintern in den letzten eineinhalb Jahren deutliche Spuren hinterlassen haben. Da mögen die derzeitigen Bestimmungen noch etwas mühsam sein, aber (auch im Sinne der gesundheitlichen Solidarität) im Grunde leicht zu erfüllen. Für alle, die sich nicht impfen lassen können oder wollen oder auch noch nicht an der Reihe waren, ein Test ist mittlerweile sehr einfach zu erlangen. Und in den nächsten Wochen wird es auch von den Regelungen bei den Veranstaltungen selbst, ebenfalls immer weniger restriktiv werden. Dass die Veranstalter*innen ausgeklügelte Sicherheitskonzepte erarbeitet haben und umsetzen, und das Risiko einer Ansteckung minimal ist, steht meines Erachtens außer Zweifel und ist letzten Sommer bei viel geringerem Testaufkommen oftmals bewiesen worden.
Auch gestern wird es so gewesen sein, dass ein sicherer Rahmen für die Filmvorstellung geboten wurde. Es wird danach zwar auch kein Zusammensitzen und nur wenig Austausch geschehen sein, aber kein nahender Lockdown wird das erhebende Gefühl wieder im Kino gesessen zu sein trüben, im Gegenteil: es wird mich die Vorfreude beschlichen haben, mich bald wieder noch mehr überraschen, irritieren und anregen zu lassen. Denn Kultur (und dieser Film im Speziellen) kann das.