28. Januar 2025
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Interview mit dem jungen Krebsforscher Stefan Salcher

© L. Strasser
Lesedauer ca. 5 Minuten

DZ = Dorfzeitung
StS = Stefan Salcher

DZ: Vielen Dank, lieber Stefan, für die Bereitschaft zu diesem Interview!
Durch mehrere Medienberichte in der letzten Zeit bin ich auf dich aufmerksam geworden, nachdem mir dein Name zunächst nur dadurch bekannt war, dass du mit einem meiner Söhne in die gleiche Klasse am Gymnasium Telfs gegangen bist.
Du hast als noch relativ junger Forscher schon einiges Aufsehen mit deiner Arbeit erregt. Als promovierter Biologe bist du im Bereich der Krebsforschung tätig. Wie kam es dazu?

StS: Ich habe am MCI in Innsbruck das Biotechnologiestudium absolviert, dann die Masterarbeit am Tiroler Krebsforschungsinstitut (TKFI: https://www.tkfi.at/ueber-uns) im Bereich “Pädiatrische Onkologie” (Kinderkrebsforschung) geschrieben. Die Vertiefung in diese Thematik beim Masterstudium hat meine berufliche Laufbahn sehr stark beeinflusst. Ich habe mitbekommen, dass in Innsbruck an der Uni diesbezüglich sehr viel passiert. Schließlich habe ich an der Medizinischen Universität Innsbruck promoviert (molekulare Medizin/PhD). Seit drei Jahren bin ich nun an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Innere Medizin V, Hämatologie und Onkologie (Direktor: Univ.-Prof. Dominik Wolf).

DZ: Kannst du in für Laien verständlicher Form erklären, worum es in eurer Forschungsarbeit geht?

StS: Unser Ziel ist es, Tumore möglichst detailliert zu beschreiben, d.h. in möglichst hoher Auflösung uns anzuschauen, was in so einem Tumor passiert. Ein Tumor besteht aus sehr verschiedenen Zellen (Tumorzellen, Immunzellen…), die wir ganz genau unter die Lupe nehmen wollen, um zu verstehen, was dabei quasi falsch läuft. Dabei wollen wir Angriffspunkte identifizieren, um neue Therapieansätze zu finden. Eine besonders interessante Fragestellung ist, warum manche Therapien bei manchen PatientInnen erfolgreich sind, bei anderen aber nicht. Es geht also darum, Tumore möglichst detailliert und individuell mit neuen technischen Möglichkeiten zu beschreiben. U. a. ist dies die Einzelzell-RNA-Sequenzierung [RNA=RiboNucleic Acid/Ribonukleinsäure], die es uns erstmalig ermöglicht, Tumore auf Einzelzellebene, also in ganz hoher Auflösung anzuschauen. Das eröffnet uns ganz neue Einblicke, was in diesem Tumor vor sich geht. 

Stefan Salcher vor dem Gerät, mit dem die von ihm etablierte Methode der Einzelzell-RNA-Sequenzierung durchgeführt wurde. 
(© MUI/Bullock
)

DZ: Was versteht man unter personalisierter Medizin?

StS: Das ist ein Ansatz, bei dem man medizinische Entscheidungen und Behandlungen auf individuelle Merkmale bei den PatientInnen – wie z. Bsp. eine genetische Information oder die genaue Bestimmung der zellulären Zusammensetzung eines Tumors – abstimmt. Die personalisierte Medizin will also gezielt wirksame Behandlungen für die Patientenindividuen entwickeln und anbieten. Beispielsweise ist es wichtig zu wissen, ob eine Patientin/ein Patient auf die Immuntherapie anspricht, die in den letzten Jahren als Behandlungsmethode stark zugenommen hat. Dieses Wissen kann betroffene Menschen vor möglichen Nebenwirkungen bewahren.

DZ: Wie schätzt du aufgrund eurer ziemlich revolutionären Forschungsergebnisse die besseren Heilungschancen für Betroffene ein?

StS: Wir machen translationale Forschung, das bedeutet, dass wir wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in die klinische Praxis übertragen, in eine konkrete Anwendung umsetzen wollen. Als Beispiel wieder die Immuntherapie: Unterschiedliche Patienten reagieren unterschiedlich auf diese Therapie. Dabei gibt es verschiedene Marker, die man sich vorher schon anschauen kann, was zur Entscheidung darüber führt, ob die betreffende Behandlungsmethode Sinn macht. Unsere Methode der Individualisierung und die Anwendung der vorher beschriebenen Technik bedeuten sehr wohl einen revolutionären Sprung – zum einen, was die Auswahl der geeigneten Behandlungsmethode für den individuellen Patienten betrifft, und zum anderen, was generell die Weiterentwicklung der Therapien anlangt. Die Einzelzelltechnik wurde erst 2019 in der Forschung etabliert und hat den Anstoß zu weiterer intensiver wissenschaftlicher Beschäftigung mit der Thematik gegeben.

DZ: Als Ergebnis eurer rezenten Forschung liegt nun der sogenannte Einzelzell-Atlas vor. Mit Gregor Sturm und Lena Horvath bildest du dabei das Erstautorenteam. Bitte erklär den LeserInnen der DZ dieses Werk.

Der Einzelzell-Atlas zeigt erstmals die detaillierte zelluläre Zusammensetzung von Lungenkrebs-Tumoren. (© S.Salcher)

StS: Kein Tumor ist wie der andere, deswegen ist – wie schon mehrfach betont – die Auswahl der geeigneten Therapie sehr schwer. Wir wollen individuelle Tumore möglichst detailreich beschreiben. Zur Erstellung dieser Tumorprofile haben wir an unserem Labor die Einzelzell-RNA-Sequenzierung etabliert, womit wir die Darstellung der Zusammensetzung von Tumoren in hoher Auflösung ermöglichen. Die Ergebnisse haben wir verwendet, um eine erstmalige bildliche Darstellung der zellulären Strukturen von Lungenkarzinomen in der Form des vorliegenden Einzelzell-Atlas zu produzieren, der eine Risikoberechnung und auch die Vorhersagbarkeit einer Therapie ermöglicht. In diesem Atlas sind die verschiedenen Zelltypen und deren Interaktionen abgebildet. Das Spannende ist, dass die Tumorzellen mit den sie umgebenden Immunzellen interagieren. Die Tumorzellen verändern die umgebenden Immunzellen zu ihrem Vorteil. Normalerweise erkennen und eliminieren Immunzellen entartete Zellen (Tumorzellen). Die Tumorzellen können die Immunzellen jedoch so verändern, dass diese die Tumorzellen nicht mehr eliminieren, sondern sie sogar beim Überleben und bei der Verbreitung im Körper unterstützen. Die Tumorzellen manipulieren also gezielt die Immunzellen, um sich weiter ausbreiten zu können. Das konnten wir auch ihm Rahmen des Lungenkrebs-Atlasprojekts zeigen.
Das Ziel der ganzen Sache ist es, diese mit großem technischen und finanziellen Aufwand produzierten bildlichen Darstellungen anderen Forschern und Anwendern zum Thema “Lungenkrebs” (die derzeit tödlichste Krebsart) zur Verfügung zu stellen. Den Atlas gibt es in Papierform oder auch als Online-Tool, wobei man sich große Mengen an Daten herunterladen kann.
[https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/766341.html / https://www.cell.com/cancer-cell/fulltext/S1535-6108(22)00499-8]

DZ: Gab es für das Team und dich persönlich inzwischen besondere Anerkennung innerhalb der Science Community respektive vonseiten der Öffentlichkeit?

StS: Wir haben über unseren Atlas in der sehr angesehenen Fachzeitschrift Cancer Cell [Cancer Press/USA] berichtet. Vor Erscheinen des Atlas gab es dort schon einen Preview-Artikel als Highlight des Monats. Auch das Coverdesign dieser Ausgabe von Cancer Cell haben wir selber gestaltet. Es gibt inzwischen viele Anfragen von der Science-Community aus praktisch allen Teilen der Welt. Unsere Methoden sind auch schon vielerorts übernommen und angewendet worden. Das Echo auf unsere Forschungsergebnisse ist gewaltig.

Cover der Publikation im Fachjournal Cancer Cell /Volume 40, Issue 12/2022 (© S. Salcher et al./Cell Press)

DZ: Hast du auch in deinem Heimatdorf Inzing besondere Anerkennung für deine Arbeit erfahren? Wirst du von Leuten manchmal darauf angesprochen?

StS: Ich werde immer wieder z. Bsp. von ehemaligen Mitschülern oder auch von Menschen auf der Straße in Inzing darauf angesprochen, die Artikel etwa in der TT gelesen haben. In den sozialen Medien gibt es ebenfalls viele Reaktionen bzw. Beiträge dazu.

DZ: Mädchen einer Klasse der ECO HAK Telfs haben im Herbst 2018 eine Charity (Tanz)-Veranstaltung organisiert. Wie wurden die SchülerInnen auf dieses doch sehr spezifische Thema aufmerksam und wie geht es dir als Forschungsträger bei/mit solchen Veranstaltungen?

StS: Das war eine super Veranstaltung. Als Abschlussprojekt haben Mädchen einer Klasse der HAK Telfs beim Tiroler Krebsforschungsinstitut, bei dem ich damals beschäftigt war, angefragt, ob sie uns finanziell unterstützen könnten, nachdem sie auf der Homepage von den Aktivitäten im Bereich der Kinderkrebsforschung gelesen hatten. Nach einer professionellen Tanzvorführung der Schülerinnen hatte ich die Gelegenheit, einen kurzen Vortrag über unsere Forschungsarbeit zu halten. Die gesammelten Spenden wurden dann direkt an uns übergeben. Insgesamt war das sehr cool und für mich auch ein Motivationsschub, auf diesem Gebiet weiter tätig zu sein. 

DZ: Vielen Dank, Stefan, für das Interview und viel Erfolg mit eurer wertvollen Forschungsarbeit zum Wohle betroffener Menschen!

Kurzporträt von Stefan Salcher
Stefan ist ein 36-jähriger Krebsforscher aus Inzing. Nach dem Studium der Biotechnologie am Management Center Innsbruck promovierte er in molekularer Medizin. Derzeit beschäftigt sich Stefan an der Universitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck im Rahmen seiner Habilitation mit der Entstehung von unterschiedlichen Krebserkrankungen und deren Behandlungsmöglichkeiten. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Entwicklung von innovativen Verfahren, um kranke Organe außerhalb des Körpers zu therapieren. 
Seine Freizeit verbringt Stefan am liebsten mit seiner Familie. Neben dem Reisen zählen sportliche Aktivität in den Bergen, wie Mountainbiken oder Skitouren, zu seinen Hobbys. 

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Luis Strasser

Als begeisterter Leser der Printausgabe der DZ hat sich Luis – zusammen mit einem kleinen Team – nach der drohenden Einstellung der Druckversion 2019 dafür eingesetzt, die DZ in irgendeiner Form zu erhalten. Das Resultat ist der nun vorliegende Blog, an dem als Redaktionsmitglied und Autor mitzuarbeiten ihm viel Freude bereitet. Seine Schwerpunktthemen: Politik, Bildung, gesellschaftlicher Wandel, Zeitgeschichte…

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