3. Mai 2024
Newsletter   

Was wir uns leisten müssen und was man sich nicht leisten kann

Lesedauer ca. 4 Minuten

Der Titel ist vielleicht etwas polemisch, bringt aber auf den Punkt, was ich in kurzen Worten zu meinem letztens erschienenen Interview mit einer KI zum Thema Kunst und Kultur im ländlichen Raum noch anführen möchte.

Kunst und Kultur werden oft als Luxus angesehen, etwas auf das man verzichten kann oder zumindest mit weniger Mitteln ausstatten, wenn die Kassen einmal knapp sind. Und sind sie denn nicht immer knapp? Gibt es nicht immer etwas Wichtigeres? Kunst und Kultur werden in den Prioritätenlisten oft nach unten gestellt. Dabei wird etwas Grundlegendes übersehen, eine grundlegende Funktion von Kultur in der Gesellschaft. Zunächst müsste man hier wohl überhaupt definieren, was unter Kultur verstanden wird. Für diesen Artikel führt das zu weit, nur so viel sei gesagt: ich verstehe Kultur als einen breiten Begriff, der v.a. auch Aspekte der Teilhabe berücksichtigt.

Besonders deutlich wird die vorher angesprochene grundlegende Funktion im Konzept der „Dritten Orte“. Die TKI – Tiroler Kulturinitiativen, Interessensgemeinschaft und Netzwerk der freien Kulturinitiativen in Tirol, hat letztes Jahr ein ganzes Symposium diesem Thema gewidmet und hier gut zusammengefasst. In seinem einführenden Statement hatte Bertram Meusburger (Büro für Zukunftsfragen des Landes Vorarlberg), folgendes ausgeführt:

„Alles beginnt zuhause. Wenn wir zur Arbeit gehen und viel Zeit und Herzblut in berufliche Projekte oder in unsere Ausbildung stecken, wird das zum zweiten wichtigen Bereich neben der Familie bzw. dem eigenen Freundeskreis. Das Heim und die Arbeit als die zwei wichtigsten Orte im Leben sind noch einigermaßen klar. Aber dann, wo treffen sich Menschen, welchen Neigungen gehen sie nach und wie gestalten sie ihren Lebensraum mit? Im Gasthaus, in der Einkaufsstraße, im Verein oder in der Gemeindevertretung? Oder ist es noch was Anderes, was uns jenseits von Heim und Arbeit besonders anzieht?“

Meusburger stellt die umwerfend einfache, wie überzeugende Frage „Was wäre wenn Dritte Orte in der LandStadt Vorarlberg das sind, was für MacGyver das Schweizer Taschenmesser ist?“

Ich empfehle ausdrücklich die Lektüre der beiden angeführten Quellen für eine tiefere Auseinandersetzung. Hier soll vorerst die Feststellung genügen, dass Dritte Orte v.a. Begegnungsmöglichkeiten schaffen, niederschwellig und barrierearm sein müssen, sowie zu Auseinandersetzung und Austausch anregen. Dies alles in einer freundlichen, wertschätzenden, ausgelassenen und von vielen getragenen Atmosphäre. An dritten Orten wird Kultur erfahrbar und lebendig, es werden Dialoge gefördert und v.a. das Gemeinschaftsgefühl gestärkt.

Wenn wir verstehen, was Dritte Orte für ein Dorf wie Inzing bedeuten können, was sie zur Entwicklung unserer Dorfgemeinschaft beitragen können, werden wir erkennen, dass eine Investition in Kunst und Kultur weit weg von einem Luxus ist, auf den man in Zeiten von knappen Kassen verzichten kann. Die Frage ist vielmehr: Können wir es uns leisten, nicht in die Schaffung und Erhaltung von vitalen Dritten Orten zu investieren?

Was steht wirklich auf dem Spiel? Die Vernachlässigung des kulturellen Sektors, insbesondere der so bedeutsamen Dritten Orte, zieht eine Kette unerwünschter Konsequenzen nach sich. Zuallererst steht die soziale Kohäsion auf dem Spiel; das unsichtbare Netz, das unsere Gemeinschaften zusammenhält, droht zu zerreißen.

Auch wenn es nicht mein Fokus ist, aber auch die traditionelle Kultur verblasst. Es ist hoch an der Zeit, dass sie sich weiterentwickelt. Beispiele dafür gibt es auch in Tirol, wenn etwa eine Musikkappelle im Stubaital ein zeitgenössisches Stück aufführt, das sich an den vorbeifahrenden Autos auf der Autobahn orientiert oder sozusagen live selbst komponiert. Aber auch in Inzing, wenn der Männerchor Friedrichslinde im Rahmen des Projekts „Wege machen“ ein zeitgenössisches, eigens komponiertes Stück aufführt. Ich denke, dass eine Zusammenarbeit mit den sogenannten Traditionsvereinen für alle Beteiligten interessant, herausfordernd und befruchtend sein kann.

Ein Aspekt, der nicht unterschätzt werden darf, ist die Abwanderung. Junge Menschen brauchen Räume, wo sie experimentieren und sich ausprobieren können. Finden sie solche Angebote in ihrer Heimat nicht, geht die Bindung verloren und sie suchen sich andere neue Heimaten.

Doch das ist noch nicht alles. Die wirtschaftliche Dimension dieser Vernachlässigung ist ebenso gravierend. Kulturelle Dritte Orte sind nicht nur Seelenbalsam; sie sind auch Katalysatoren für lokale Wirtschaftskreisläufe. Sie beleben den Dorfkern, fördern unter Umständen den Tourismus oder werden zumindest attraktiv für Menschen aus der Umgebung und schaffen Arbeitsplätze. Ihre Abwesenheit bedeutet somit nicht nur einen Verlust an Lebensqualität, sondern auch an wirtschaftlichem Potenzial.

Bertram Meusburger spricht mit seiner Metapher vom Schweizer Taschenmesser die universelle Einsetzbarkeit und Notwendigkeit der Dritten Orte an. Sie sind Werkzeuge zur Gestaltung lebenswerter Gemeinschaften – multifunktional und unverzichtbar. Und wenn die Älteren unter uns sich noch an die Serie MacGyver erinnern, das Schweizer Taschenmesser war das Werkzeug, um sämtlichen Problemen und Herausforderungen Lösungen entgegenzustellen.

Indem wir die Investition in Dritte Orte und Kultur vernachlässigen, riskieren wir, das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Gefüge unserer ländlichen Räume nachhaltig zu beschädigen. Es geht um mehr als nur um Freizeitgestaltung; es geht um die Vitalität und Zukunftsfähigkeit unserer Gemeinschaften. Die Frage ist nicht, ob wir uns Kultur leisten können, sondern ob wir es uns leisten können, auf sie zu verzichten.

Ich möchte an dieser Stelle einen eindringlichen Appell an die im Gemeinderat vertretenen Fraktionen richten: Erkennt die unschätzbare Bedeutung von Kunst und Kultur, sowie der Dritten Orte für die Lebendigkeit des Dorfs. Es ist Zeit in die Zukunft der Dorfgemeinschaft zu investieren. Dass ein Effekt davon die Stärkung der Demokratie als solches ist, habe ich schon in einem anderen Beitrag hier am Blog der DZ ausgeführt und sei nur am Rande erwähnt. Kultur ist kein Posten, der in schwierigen Zeiten gestrichen werden kann, sondern im Gegenteil ein essentieller Bestandteil, der unser Dorf zu einem Ort macht, in dem wir nicht nur leben, sondern in dem wir leben wollen.

Ich fordere eine nachhaltige Kulturpolitik, die langfristig und gesellschaftspolitisch denkt und handelt. Eine Politik, die versteht, dass Investitionen in die Kultur (und in Dritte Orte) nicht nur das soziale und kulturelle Leben bereichern, sondern auch als Antrieb für wirtschaftliche Entwicklung und Innovation dienen. Wir brauchen mutige Entscheidungen, die den Aufbau und die Unterstützung von Begegnungsräumen ermöglichen, in denen Kreativität und Gemeinschaft gedeihen können. Und wir brauchen eine Politik, die aktiv gestaltet, unterstützt und fördert, damit das kulturelle und gemeinschaftliche Pflänzchen gut wachsen kann. Damit ich nicht falsch verstanden werde, das heißt nicht, dass die Gemeinde selbst in irgendeiner Weise inhaltlich tätig werden soll. Es geht um die Rahmenbedingungen.

Die Zukunft des Dorfes, um auch noch zum Schluss polemisch zu bleiben, hängt davon ab, was wir uns heute leisten wollen.

Diesen Artikel teilen:

Michael Haupt

Michael nennt sich selbst gern Kulturarbeiter und macht das in verschiedenen Feldern, sowohl beruflich, als auch in seiner Freizeit. Letztlich geht es ihm dabei immer um die politische Dimension von Kultur. Um ihr Potenzial, die Gesellschaft vorwärts zu bringen, in dem sie Themen und Fragestellungen auf andere Art aufwirft. Das wird sich auch in seinen Artikeln für den Blog zeigen.

Alle Beiträge ansehen von Michael Haupt →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert