28. Juni 2025
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Platz für alle – 80 Jahre Frieden

Lesedauer ca. 5 Minuten

Dieser Tage jährte sich die Befreiung Österreichs zum 80. Mal. Ein Jubiläum, das zu Recht zelebriert wird. 80 Jahre Ende der Terrorherrschaft des NS-Regimes, 80 Jahre Kriegsende, 80 Jahre Frieden in Österreich.

Dass dieser Friede in Europa nicht mehr selbstverständlich ist, zeigt der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine deutlich und in aller Tragik. Aber auch die politischen Entwicklungen in vielen Ländern der Welt, das nicht nur Infragestellen demokratischer Werte, sondern das Torpedieren derselben mit Desinformation, das Zerstören des (politischen) Diskurses, all das offenbart die Brüche und Verwerfungen der Gegenwart und verweist auf große Fragen für die Zukunft.

Soviel zum Grundgedanken einer mit etwa 150 Besucher*innen außerordentlich gut besuchten Veranstaltung am 30. April am alten Dorfplatz vor dem Gasthaus Krone, der während der NS-Zeit, wie so viele Plätze bis in den letzten Winkel des sogenannten Dritten Reichs zum Adolf-Hitler-Platz wurde.

In der Inzinger Dorfchronik existiert dazu eine Fotografie, die einen jungen Mann auf einer Obstleiter zeigt, der gerade dabei ist, das Schild Adolf-Hitler-Platz zu entfernen. Mehr war bis vor wenigen Monaten in Inzing über die näheren Umstände nicht bekannt. Bis sich die Innsbrucker Künstlerin Katharina Cibulka im März etwa zeitgleich an Bürgermeister Sepp Walch und den Kulturverein wandte und mit der Geschichte, die sie zu erzählen hatte, bei beiden auf großes Interesse stieß. War es doch ihr Vater, Albert Fiegl, der als 17-Jähriger einige Tage vor Kriegsende das Schild abmontierte und mit großer Freude den Klang des Aufprallens auf dem Pflaster vernahm.

Fiegl, dessen Familie infolge der Bombenangriffe auf Innsbruck, wohnungslos geworden und bei ihren Freunden, der Familie Hirschberger im Gasthof Krone untergekommen war, war in den letzten Kriegswochen, vermutlich als Flakhelfer, nach Scharnitz beordert worden. Dort sollte er beim völlig sinnlosen letzten Aufbegehren helfen, die sogenannte Alpenfestung gegen die bereits in Mittenwald stehenden Amerikaner zu verteidigen. Er war sicher nicht zuletzt durch seinen Klassenvorstand geprägt, dem Widerstandskämpfer Franz Mair, der nur wenige Tage nach den hier beschriebenen Ereignissen bei der Befreiung Innsbrucks vermutlich von einem SS-Mann angeschossen wurde und kurz darauf verstarb. Fiegl fasste jedenfalls in Scharnitz den Entschluss nicht für ein von ihm abgelehntes Regime sein Leben zu lassen und floh im Schneetreiben über Seefeld und Reith zurück nach Inzing.

Die sogenannte „Kampfgruppe Scharnitz“, ein zusammengewürfelter Haufen sollte am 1. Mai 1945 als eine der letzten Gefechte auf österreichischem Boden noch elf Stunden lang Widerstand gegen die Amerikaner leisten. Etwa 16 Männer auf deutscher Seite und 6 Amerikaner bezahlten den sinnlosen Einsatz mit ihrem Leben.

Für Albert Fiegl, der zu diesem Zeitpunkt schon sicher in Inzing war, war die bevorstehende Befreiung laut den Datumsangaben in seinen Erinnerungen offensichtlich schon vorher klar. Nach seinen Erzählungen montierte er das Schild Ende April ab, um den vorrückenden Amerikanern ein Willkommensein zu signalisieren.

Wie unterschiedlich die Indoktrinierung der Nazis funktionierte, macht eine andere Anekdote deutlich, die mir mein Schwiegervater unlängst erzählte. Ein noch nicht ganz 14-jähriger Sohn einer dorfbekannten NS-Anhängerin sollte anscheinend im Haus vorhandene Schusswaffen beim Gemeindeamt abgeben, als er einem ins Dorf einrückenden Panzer begegnete, aus dem ein schwarzer US-Soldat ausstieg. Der Jugendliche war fest davon überzeugt, dass es nun um ihn geschehen sei und völlig baff, als dieser ihn nach Beschlagnahmung der Waffen weiterziehen ließ.

80 Jahre später, standen wie erwähnt etwa 150 Menschen am ehemaligen Adolf-Hitler-Platz und wohnten der symbolischen Neubenennung in „Platz für alle“ bei. Wie Katharina Cibulka in ihrer Rede zur Eröffnung betonte, verlangte auch ihr das Credo niemanden auszuschließen einiges ab. Den musikalischen Rahmen bot das jugendliche Schlagzeugensemble „Jets“, bestehend aus Jacob Dobler, Tamo Popper, Toni Graf und Simon Wild unter der Leitung von Schlagzeuglehrer Andreas Schneider, das 2024 den Bundeswettbewerb von Prima la Musica gewann. Sie boten mit Stücken, die das breite Spektrum des Schlagwerks (von einfachen Kübeln über afrikanische Trommeln zur Marimba) verdeutlichten, einen musikalischen Rahmen, der nicht nur wegen der Musik an sich, sondern auch ihrer Jugend wegen eine schöne Ergänzung zu einem Thema war, von dem manche sagen, dass man es endlich begraben solle.

Bürgermeister Sepp Walch ging in seiner Begrüßungsrede auf die Erzählungen über die für Inzing betrüblichen letzten Kriegstage ein, die durch Bombardements von Reith noch zwei Menschenleben forderten. Berührend war die Einspielung einer Aufnahme vom mittlerweile verstorbenen Albert Fiegl, den seine Tochter Katharina Cibulka zu den Ereignissen befragt hatte. Die Aufnahme kann man hier nachhören: https://www.katharina-cibulka.com/audio/audio_test.mp3

Georg Schärmer schloss seine emotionale Rede mit einem Appell zur Courage und Wachsamkeit gegenüber totalitären Tendenzen und dem Aufruf gegebenenfalls Widerstand zu leisten.

Die Schauspielerin Carmen Sanders-Gratl und die Sängerin Maria Jöchl setzten mit einer ineinandergreifenden Darbietung von Gedichten und Gesang ein weiteres künstlerisches Highlight, bevor Katharina Cibulka eine Tafel mit der Aufschrift „Platz für alle“ anstelle des ehemaligen Adolf-Hitler-Platz-Schildes montierte.

Die Veranstaltung zeigte nicht nur, dass der Aufruf den Frieden und die Demokratie zu feiern glücklicherweise noch immer auf Interesse stößt, sondern auch wieviel in so kurzer Zeit (vom ersten Kennenlernen bis zum Veranstaltungstermin waren es etwa eineinhalb Monate) durch das Zusammenarbeiten und das Engagement von einigen zustande kommen kann.

In Vertretung des Kulturvereins Inzing darf ich mich an dieser Stelle für die Kooperation in erster Linie bei Katharina Cibulka für Idee und Umsetzung bedanken, aber auch bei Bürgermeister Sepp Walch für sein Engagement und die tatkräftige Unterstützung, dem Chronikteam mit Peter und Adele Schatz, sowie Ernst Pisch, der die Veranstaltung fotografisch begleitete und von dem die Bilder dieses Beitrags stammen.

Zwei Hinweise dazu noch: Es ist angedacht, die Hintergründe der Aktion im Rahmen der Reihe #Fensterkunst des Kulturvereins Inzing in den Fenstern des Gemeindeamts auszustellen. Und für alle, die die Jets bei dieser Veranstaltung verpasst haben: die Jungs werden beim Food&Art-Festival des Kulturvereins am 4. und 5. Juli im Innenhof der Mittelschule Inzing am Samstag ein Konzert geben. Mehr zum Food&Art-Festival gibt es hier oder am Instagram-Kanal des Kulturvereins unter @kulturverein-inzing. Immer wieder mal reinschauen und nichts verpassen.

Zum Thema siehe auch den Artikel von Brigitte Scott zur Veranstaltungsankündigung, sowie den Artikel in der Tiroler Tageszeitung von Renate Perktold.

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Michael Haupt

Michael nennt sich selbst gern Kulturarbeiter und macht das in verschiedenen Feldern, sowohl beruflich, als auch in seiner Freizeit. Letztlich geht es ihm dabei immer um die politische Dimension von Kultur. Um ihr Potenzial, die Gesellschaft vorwärts zu bringen, in dem sie Themen und Fragestellungen auf andere Art aufwirft. Das wird sich auch in seinen Artikeln für den Blog zeigen.

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