Die Inzinger Fensterkunst-Reihe des Kulturvereins Inzing geht in die vierte Runde und präsentiert diesmal Andrea Raggl, die unter dem Künstlernamen Blikiglai arbeitet. Seit letztem Mittwoch bis Mitte November zeigt sie ihre schwarz-weißen Portraitzeichnungen und Illustrationen zum Thema „Veränderung“ in den großen Fenstern des Gemeindeamts.
Die Vernissage findet am Donnerstag, den 16. Oktober 2025 um 18:30 Uhr statt – bei freiem Eintritt, gemütlicher Atmosphäre und unter musikalischer Begleitung ihrer Schwester Christine Raggl.
Andrea Raggl ist eine Künstlerin, die erst im vergangenen Jahr den Schritt gewagt hat, ihre lebenslange Leidenschaft für das Zeichnen aus dem privaten Raum in die Öffentlichkeit zu tragen. Für sie ist das Zeichnen mehr als künstlerisches Schaffen – es ist ein meditativer Prozess, der ihr hilft, im Moment zu sein und unbewusst Vergangenes zu verarbeiten.
Im folgenden Interview erzählt Andrea Raggl von ihrem Weg zur Kunst, ihrer besonderen Beziehung zum Zeichnen und warum Veränderung für sie die Essenz des Lebens ist.
Die Ausstellung ist bis Mitte November während und außerhalb der Öffnungszeiten des Gemeindeamts zu sehen.
Andrea, vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Gespräch nimmst. Fangen wir gleich mit dem Essenziellen an: Wie bist du zum Zeichnen gekommen?
Ich habe immer schon gezeichnet, seit ich denken kann. Lange habe ich das nur für mich gemacht als Hobby. Ich brauche das so wie andere gern Sport machen. Letztes Jahr hab ich beschlossen, dass ich jetzt auch die Grundlagen des Zeichnens lernen will. Deshalb habe ich eine Online Akademie angefangen und mich zum ersten mal für eine Ausstellung beworben. Das war im Rahmen von TKI open eine Gruppenausstellung. Und seitdem trage ich meine Kunst auch nach draußen. Ich hab eine Zeit lang meinen Instagram Account nur für mich gehabt. Anfangs hab ich niemanden davon erzählt. Meinen Freunden nicht, meiner Familie nicht. Einfach zum Schauen, ob das überhaupt jemandem gefällt, der mich nicht kennt. Und dann habe ich doch beschlossen, ich möchte das auch nach außen zeigen.
Dir fehlt also etwas, wenn du nicht zeichnest. Kannst du vielleicht kurz beschreiben, was dein künstlerisches Tun in dir auslöst?
Ja, für mich ist es wie so eine Art Flow, Ruhe, Präsenz, also man ist einfach im Jetzt. Es gibt jetzt nur das und nichts anderes und das gefällt mir. Bei meinen anderen Hobbys geht das auch, aber bei der Kunst ist es nochmal ein bisschen intensiver, das präsente Jetzt sein, sich auf das konzentrieren und in den Flow kommen. Und ich starte mit einem Bild und das nimmt dann seinen Lauf. Danach sehe ich oft, dass ich da schon auch etwas verarbeitet habe von der Vergangenheit. Ich hocke mich jetzt nicht hin und denke mir, ich werde jetzt über etwas Vergangenes ein Bild malen, sondern das ist dann erst beim Gesamtwerk ersichtlich, was ich verarbeitet hab.
Das heißt, die Kunst ist für dich ein persönlicher Rückzugsort?
Ja, würde ich schon sagen. Eine eigene Welt, ja. Ich hab dann auch immer Musik an, dass ich da voll bei der Sache bin.
Wenn man jetzt so deine Bilder anschaut, sind fast ausschließlich Portraits bzw. Details von Gesichtern dargestellt, wie dieses Auge. Wenn du sagst, du verarbeitest etwas in deinen Bildern, das du dann erst später siehst, wie kann man sich das in Bezug auf die Portraits vorstellen?
Also, ich muss sagen, vor 3 Jahren, da hab ich noch sehr viel mit Rot gezeichnet. Da hab ich fast in jedem Bild ein rotes Detail gehabt. Ich hab auch eins davon ausgewählt für die kommende Ausstellung da ist der ganze Hintergrund rot. Wie ich damals dann alle Bilder nebeneinander gelegt habe, habe ich gesehen, da war viel vergangener Schmerz, den ich verarbeitet habe. Und danach hatte ich das Gefühl, ich habe das losgelassen. Und Gesichter haben mich immer schon fasziniert, das Realistische aufs Papier bringen. Das ist sehr meditativ. Und momentan, ist alles schwarz-weiß.
Das heißt, die Bilder in der Ausstellung in Inzing?
Die werden schwarz-weiß. Bei der ersten Ausstellung waren feministische Themen im Fokus, was einem in der Gesellschaft eingeredet werden kann, zum Beispiel der Totenkopf mit Lippenstift aufgetragen, der bedeutet für mich Schönheitswahn bis zum Tod. Am Ende kannst du nichts mitnehmen. Und das Rot war die Wut dahinter. Bei meiner zweiten Ausstellung habe ich meine Werke mit Blau gezeichnet und mit Transformation verbunden, dass man das “Schlechte” in der Gesellschaft in etwas Gutes umwandeln kann. Das Thema der jetzigen Ausstellung wird Veränderung sein. Und zwar, was braucht man alles, um sich zu verändern und sich selber zu transformieren. Bewusstsein für die jetzige Situation entwickeln. Dieses Bild zum Beispiel ist Intuition [sie zeigt auf das Bild vom Ausstellungsplakat]. Die Intuition hören. Deswegen hat die Person die Augen verbunden. Die werden einem quasi von außen verbunden, die Welt lenkt uns ab, aber die Intuition ist trotzdem immer da. Deswegen das Auge auf der Stirn. In der Ausstellung werden Dinge gezeigt, die man braucht, um sich zu verändern.

Du sagst, du kommst in diesen Flow und malst dann einfach und dass du quasi erst hinterher richtig begreifst, was du da gemacht hast. Wie geht das zusammen mit diesem Generalthema Veränderung, das jetzt in der Ausstellung zu sehen sein wird?
Das ist immer das, was bei mir gerade passiert. Damals, als ich jünger war, da war einfach noch viel Widerstand und Frustration gegenüber der Welt. Irgendwas verändert sich in mir ein bisschen in die ruhigere Richtung. Und jetzt finde ich gerade einfach heraus, was sich in mir drinnen eher verändern darf, bevor sich außen um mich herum was verändern kann. Und das zeigt sich dann in meiner Kunst.
Wie reflektierst du über diese Sachen?
Also ich lese viele Bücher, beschäftige mich einfach gerade viel mit Veränderung. Was kann wirklich was verändern? Das hat mich immer schon interessiert. Im Moment ist mir wichtig, dass ich mich zuerst verändere, damit sich mein Außen verändern kann. Das ist gerade meine Lebensphase. Schauen wir mal, was als nächstes kommt. Bisher gab es drei große Stufen, durch die ich gegangen bin, und das hat sich immer in den Bildern gezeigt. Wenn ich sie dann alle nebeneinander lege, dann macht es für mich einen zusammenhängenden Sinn.
Es stehen hier in deiner Wohnung viele Musikinstrumente herum, also genauer gesagt eine Gitarre und ein Klavier. Bist du auch sonst ein kreativer Mensch?
Ja, ich mache auch gern Musik. Ich bin jetzt zwar darin nicht so talentiert, sagen wir mal, oder ausgebildet, aber ich mache es trotzdem sehr gern. Ich kann mich generell für vieles begeistern, vieles ausprobieren. Mich interessiert schon auch die ganze Grundstruktur der Kunst. Die Ausbildung, die ich gerade mache, die wäre dazu da, dass ich es zum Schluss wirklich schaffe, alles, was ich im Kopf habe, aufs Papier zu bringen. Und das wäre ein Ziel von mir. Momentan muss ich mir schon einmal ein Auge oder einen Totenkopf anschauen. Deswegen mach ich das Onlinestudium um das Zeichnen zu vertiefen.
Wie ist das aufgebaut, dieses Studium?
Du fängst an mit: Wie macht man einen Strich, wie spitzt man einen Stift? Ganz grundlegend. Das hat mir sehr viel geholfen. Ich habe mir vorher alles immer selber beigebracht. Und das ist wirklich ein Game Changer. Da lernst du die Dinge, die langweilig sind und die Lehrer helfen dir da dabei. Wie macht man einen Kreis? Wo gehören die Schatten hin? Ganz, ganz detailliert ist das. Da hätte ich mir viel erspart, wenn ich es früher gelernt hätte, aber ohne Gruppe war mir das zu langweilig.
Du sagst, das Zeichnen begleitet dich dein Leben lang, wie war das für dich als Kind? Ich denke, es ist schon ein starker Moment für ein Kind sich bewusst hinzusetzen, zu zeichnen, die Zeit zu nehmen und geduldig dran zu bleiben. Das ist wahrscheinlich etwas, was nicht viele Kinder können, würde ich einmal als These in den Raum stellen.
Es ist so wie andere einfach wahnsinnig gern Musik machen oder singen oder Sport machen, war das halt immer mein Lieblings… – ich würde gar nicht sagen Beschäftigung – ich habe das einfach gemacht, es war einfach da. Und es war mir jetzt auch nicht wichtig, wie das ausschaut oder was da rauskommt. Das ist mir zum ersten Mal aufgefallen, als ich mit 18 nach Innsbruck gezogen bin und nichts zum Zeichnen dabei gehabt habe. Da habe ich richtig gemerkt, wie ich das vermisse.
Und letztes Jahr hast du den Schritt gemacht, damit auch an die Öffentlichkeit zu gehen. Was hat sich da für dich verändert?
Viel, sehr, sehr viel. Deswegen heißt die Ausstellung „Veränderung“. Ich habe mir lange gedacht ich mache das für mich, das schaut sich eh keiner an, das ist nicht so wichtig. Und dann habe ich meine Perspektive geändert: Was ist überhaupt “wichtig”? Und ja, da war schon so ein bisschen eine Angst davor da, gesehen zu werden. Aber wenn man erst einmal seine Werke öffentlich aufhängt, das war schon eine sehr gute Erfahrung, muss ich sagen. Das hat mir sehr viel Angst genommen, irrationale Ängste. Weil im Endeffekt, wenn die Kunst jemandem nicht gefällt, dann sagt die Person meistens eh nichts dazu Wir machen uns so viele Gedanken über die Meinung anderer Leute, die sich eh großteils nur Gedanken über sich selber machen.
Kannst du vielleicht noch irgendwas zu dem Prozess sagen, warum du diesen Schritt dann auch gewagt hast?
Ja, weil ich es immer schon gerne machen wollte. Und dann habe ich von einem Tag auf den anderen beschlossen, ich mache das jetzt einfach und fertig. Und ich wollte mich nicht mehr von dem, was andere denken, lenken lassen. Das Ausstellen war eine gute Möglichkeit, das zu überwinden.

Man offenbart als Künstlerin sehr viel von sich selbst. Was bekommst du zurück, dass sich das lohnt?
Auf der einen Seite ist es natürlich Verletzlichkeit und was ich aber dadurch zurückgekriegt habe, ist, zu lernen, dass es egal ist, was ich tue. Ich habe gelernt dass es nichts bringt, sich davon lenken zu lassen, was andere denken. Und das abzulegen hat mir viel Freiheit gegeben. Das ist wie eine Zwiebel, da entfernt man immer wieder eine Schicht der Angst und lernt daraus. Es gab mir das Vertrauen in andere Menschen, dass die nicht so böse sind, wie man oft meint. Und wenn nur ein Mensch zur Ausstellung kommt der sich da was mitnehmen kann, bin ich schon glücklich.
Erzähl mir doch noch kurz was über deinen Künstlernamen.
Mein Künstlername ist Blikiglai und auf Social Media findet man mich unter blikiglai.art. Und zwar hat mich die japanischen Lebenskunst “Ikigai” inspiriert. Nennen wir es einfach so, das sind die Dinge, die man zusammenführen kann, die einem ein Warum geben um morgens aufzustehen. “Blick” bedeutet zu sehen und vor allem den Blick auch nach innen zu richten. Und „glai“ ist das Tirolerische jetzt gleich. So hab ich das zusammengestellt. Ich hab das Wort “blikiglai” gegoogelt und das gibt es nirgends. Das gibt es nur bei mir. Da hab ich mir gedacht, jetzt hab ich ein Wort erfunden, perfekt, das nehme ich jetzt.
Als Abschlussfrage: Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Was ist in zehn Jahren? Ich hoffe, dass ich von meiner Kunst leben kann oder davon was mich authentisch glücklich macht. Das wäre der Traum. Und alles andere kann man eh nicht beeinflussen.
Aber das war jetzt nicht ausschließlich in einem finanziellen Sinn gemeint, oder?
Nein, dass ich mein authentisches „Ich“ in der Welt ausdrücken kann. Und einen erfüllenden Zweck hab, da zu sein, egal in welcher Form. Das wäre mein Wunsch für die nächsten zehn Jahre.
Veränderung, ist das ein Prozess, der irgendwann abgeschlossen ist?
Das wollte ich eh noch sagen. Veränderung ist für mich Leben. Also wenn keine Veränderung mehr da ist, dann ist man tot. Aber auch wenn man tot ist, gibt es noch Veränderung. Deswegen, es gehört einfach dazu. Ohne Veränderung passiert nichts mehr. Deswegen ist das etwas sehr Wichtiges. Oft wollen wir nicht, dass sich irgendwas verändert und dass alles gleich bleibt. Aber das ist eine Illusion. Deswegen habe ich die Ausstellung Veränderung genannt, weil es auch was sehr, sehr Schönes ist. Oft denkt man eine Veränderung wäre ganz schlimm und im Nachhinein ist es aber das Beste, was uns jemals passiert ist.
Das heißt, dir werden auch nicht die Themen ausgehen?
Das glaube ich nicht, nein. Die menschliche Seele interessiert mich so sehr und die ist unendlich, glaube ich. Da kann man so weit in die Tiefe gehen. Ja, da gehen einem die Themen, glaube ich, niemals aus.
Danke für das Gespräch.
Gerne.