
Reisen gehört zu den großen Leidenschaften des Ehepaares Irene und Johann Jenewein, Mitglieder des Kameraclubs Inzing. Dabei entstehen unzählige digitale Fotos, die Eingang in ihre Reiseschauen – gestaltet als Multivision – finden. In REISEN in BILDERN erzählen sie über die besuchten Länder.
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Text: Johann Jenewein, Fotos: Irene und Johann Jenewein
„Die Kanalinseln sind ins Meer gestürzte Stücke Frankreichs, die England aufgesammelt hat“, so hat der französische Schriftsteller Victor Hugo die Inseln vor der Küste der Normandie bezeichnet. Die größte und wärmste unter diesen Perlen des Atlantiks ist Jersey. Die kleinere, Guernsey, ist besonders liebenswert. Ganz besondere Perlen sind die kleinsten Sark und Herm. Versponnene kleine Welten, von Autos ungestört. Vom Golfstrom verwöhnt bieten die Kanalinseln eine immense botanische Vielfalt, ausgezeichnet geeignet zum Entdecken, Wandern und Spazieren.
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Saint Peter Port – die kleine Hauptstadt
Saint Peter Port, die Hauptstadt von Guernsey, liegt mit ihren 19.000 Einwohnern an der Ostküste der Insel. Sie zieht sich vom Hafen hinauf über sanfte Hänge und wird für ihre schöne Lage gepriesen.

In der Hafenbucht von Saint Peter Port liegt malerisch die Burg Castle Cornet. Mit dem Bau der Burganlage wurde 1204 begonnen, als die Kanalinseln dem englischen König die Treue schworen. Damit wurden sie zum militärischen Vorposten gegen Frankreich und mussten vor französischen Angriffen geschützt werden.
Zuletzt wurde Castle Cornet im Zweiten Weltkrieg als militärische Einrichtung von den deutschen Besatzungstruppen genutzt, die hier Luftabwehrgeschütze deponierten. In der ausgedehnten Burganlage befinden sich mehrere Museen, die inselrelevante Themen aufgreifen: die Schifffahrt, das Militär und die Geschichte des Landes. Zwischen den mächtigen Steinmauern der Burg liegen kleine, idyllische Gärtchen.

In der Stadt herrscht Markt. Beim Flanieren auf der Uferpromenade kommt man an den Verkaufsständen mit der einheimischen Bevölkerung in Kontakt. Auf Guernsey leben knapp mehr als 60.000 Menschen.

Zum Gedenken an den Besuch von Queen Victoria wurde am höchsten Punkt der Stadt der Victoria Tower errichtet. Aus der Höhe öffnet sich der Blick über die Stadt bis hin zu den Nachbarinseln Herm und Sark. In unmittelbarer Nähe liegen die Candy Gardens. Hier wandelt man auf verschlungenen Wegen, vorbei an wunderbar blühenden Sträuchern und Blumen.


Politischer Sonderstatus
Die Kanalinseln haben einen politischen Sonderstatus. Sie sind als letzter Rest des Herzogtums Normandie der englischen Krone direkt unterstellt, jedoch nicht Teil des Vereinigten Königreichs. Die Inseln unterstehen nicht der Regierung in London, sind aber auch nicht im Parlament in London vertreten. Nur die Verteidigung und Vertretung im Ausland liegen in der Hand der britischen Regierung. Die Gesetzgebung des britischen Parlaments ist nur dann von Bedeutung, wenn sie ausdrücklich auch für die Inseln festgeschrieben wurde.

Erkundung der Insel
Nach so vielen Eindrücken in der Stadt ist es an der Zeit einen Ausflug aufs Land zu unternehmen. Unsere Transportfahrzeuge sind die Linienbusse, mit denen wir neben stundenlangen Fußmärschen die Insel erkunden. Das System auf Guernsey ist einfach zu verstehen: Mit Abstechern ins Landesinnere umrundet eine Buslinie in, die andere gegen den Uhrzeigersinn die Insel.

Die Küste, die sich von Nordosten nach Südwesten zieht ist größtenteils flach. Hier findet man lange Sandstrände und kleine Sandbuchten. Die flachen Strände werden bei Niedrigwasser um ein vielfaches breiter und in den meisten zeigen sich dann auch felsige Abschnitte.

Prähistorische Dokumente
Auf unserem Weg entlang der Küste treffen wir auf prähistorische Megalithgräber, auch Dolmen genannt. Im äußersten Nordosten liegt die bedeutendste Grabanlage der Insel, „Le Déhus“. Sie stammt aus der Zeit zwischen 3.500 und 2.000 vor Christus und wurde 1837 entdeckt. Durch eine einfache Tür verschlossen ist eine selbständige Besichtigung jederzeit möglich. Dieses Grabmal besteht aus einer 10 Meter langen Hauptkammer mit mehreren Seitenkammern.

Als die Kanalinseln immer wieder in Auseinandersetzungen zwischen England und Frankreich gerieten, wurden zur Verteidigung vor Angriffen rund um die Insel auffällige, runde Türme erbaut. Diese, als Martellotürme bezeichneten Verteidigungsanlagen, dienten zur Beobachtung und Abwehr feindlicher Schiffe. Ein Teil dieser Türme wurde von den deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg für ihre Zwecke adaptiert, als diese die Kanalinseln zum so genannten „Atlantikwall“ ausbauten.


Herrenhäuser und Gärten
Die Landschaft zeigt sich auf Guernsey immer wieder von ihrer schönsten Seite. Auf einer extensiv bewirtschafteten Wiese finden wir Orchideen und beobachten Graugänse, die sich am Wegesrand zur Rast niedergelassen haben. Der Weg führt uns zu wunderschönen Landhäusern und Gärten.


Ein besonders lohnenswertes Ziel ist das Herrenhaus Sausmarez Manor aus dem 13. Jhdt. In dem als Skulpturenpark bezeichneten Garten ist hervorragende Open Air-Kunst zu sehen. Sie ist eine der größten Sammlungen in Großbritannien mit zeitgenössischen Skulpturen von ca. 90 Künstlerinnen und Künstlern.

Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg
Wieder halten wir uns an der Küste auf. Die See ist sturmgepeitscht und der Regen vergällt uns den Aufenthalt. Das sind keine Verhältnisse, die Zeit im Freien zu verbringen.

Das „German Military Underground Hospital“ bringt uns aber noch mehr zum Frösteln. Die unterirdischen Schächte mussten im Zweiten Weltkrieg von Zwangsarbeitern in den Berg gehauen werden. Eine Arbeit, bei der es viele Tote gab. Sie dienten nach der Invasion der Alliierten in der Normandie für drei Monate als Krankenhaus für deutsche Verwundete.
Das Hospital war für 800 Patienten angelegt, und sollte im Notfall die drei- bis vierfache Anzahl aufnehmen können. In den feuchten Gängen, ohne Sonnenlicht, waren die Verletzten nach drei bis vier Wochen aschfahl und mussten zur Genesung nach draußen gebracht werden.

Nach dem Verlassen dieses beklemmenden Ortes ist es eine Wohltat ganz in der Nähe eine kleine Kuriosität zu besichtigen. Die Kapelle „Little Chapel“ soll angeblich die kleinste Kirche der Welt sein. Sie ist mit Muscheln und Porzellanscherben übersät und stellt die Miniaturausgabe der Kirche in Lourdes dar.

Im Folkmuseum der Insel erhält man einen Einblick in das frühere Leben von Guernsey mit Fischfang und Landwirtschaft. Ein großer Bereich des Museums ist der Guernsey-Tomate gewidmet. Die Tomaten wurden in Gewächshäusern gezogen und waren lange Zeit der Hauptexportartikel nach England. Mit dem Beitritt Englands zur Europäischen Union verlor Guernsey diese Monopolstellung, und die Bedeutung der Guernsey-Tomate ging verloren.

Gänzlich anders als die flache Nordwestküste zeigt sich die südliche sowie die östliche Küstenlinie bis zur Hauptstadt Saint Peter Port. Schroffe Klippen ragen abrupt aus dem Meer auf. Wanderungen auf diesem Küstenabschnitt zeigen die landschaftliche Vielfalt der Insel. Mit dem Tosen der Wellen, die sich an den Klippen brechen, klingt der schrille Schrei der Austernfischer aus der felsigen Bucht.


Herm – die kleinste der bewohnten Kanalinseln
Am frühen Morgen warten wir im Hafen von Saint Peter Port auf die Fähre zur Insel Herm. Die Überfahrt zu der kleinen Insel, wo wir einen Tag verbringen werden, nimmt eine halbe Stunde in Anspruch. Herm ist mit knapp zwei Quadratkilometern die kleinste der bewohnten Kanalinseln, wenn man von den noch kleineren, die jedoch in Privatbesitz sind, absieht.
Herm erstreckt sich in Nord-Südrichtung mit einer Länge von 2,6 km und einer Breite von durchschnittlich weniger als 1 km. Die Insel ist ein Naturparadies und eine Oase der Ruhe – hier fahren keine Autos. Die kleine Insel lässt sich bequem in drei bis vier Stunden umrunden.

1947 erwarben die States of Guernsey die Insel Herm von der englischen Krone für 15.000 Pfund und verpachteten sie an ein aus Neuseeland stammendes Ehepaar. Knapp 60 Einwohner leben hier und alle berufstätigen Insulaner arbeiten für den Pächter, dem alle Betriebe auf dem Eiland gehören. Auf Herm lebt man im Wesentlichen vom Tourismus und von der Viehwirtschaft. Es gibt einen Kindergarten und eine Grundschule. Der weitere Schulbesuch ist nur auf Guernsey möglich. Der Weg führt uns zu den Häusern der Bewohner. Die ältesten Teile des Herrenhauses gehen auf das 15. Jhdt., die angrenzende Kapelle auf das 11. Jhdt. zurück.

Ein landschaftlicher Höhepunkt ist der im Nordosten gelegene Shellbeach, ein langer, weißer Sandstrand. Viele Bewohner von Guernsey kommen zum Ausspannen und auf der Suche nach Stille an den Wochenenden hierher.

Sark – Bis vor wenigen Jahren altes, normannisches Feudalrecht
Bei einem weiteren Tagesausflug laufen wir im Hafen der 10 km östlich von Guernsey gelegenen Insel Sark ein. Sie ist mit 5,5 km² die zweitkleinste bewohnte Kanalinsel und setzt sich zusammen aus „Great Sark“ und „Little Sark“. Vom Hafen werden die Ankommenden mit Traktoranhängern in das Dorf befördert, denn auch auf Sark fahren keine Autos. Wir selbst gehen zu Fuß. Die Insel ist ein 100 Meter aus dem Meer ragendes Hochplateau mit 600 Einwohnern.

Sark ist per Verfassung ein eigener kleiner Staat, in dem bis vor wenigen Jahren noch altes, normannisches Feudalrecht gültig war. Im Dezember 2008 fanden erstmals demokratische Wahlen für das Inselparlament statt.
Die Insel lässt sich mit Pferdekutsche, Fahrrad oder auf Schusters Rappen erkunden. Die Küste präsentiert sich in großen Teilen als steil abfallende Klippen. Die Verbindung zwischen den Inselteilen Great Sark und Little Sark ist ein 90 m hoher, schmaler Grat, auf dem gerade einmal eine Pferdekutsche Platz findet.

Bevor wir uns von Sark verabschieden, besuchen wir ein Stück außerhalb des Dorfes die „Seigneurie“, den Stammsitz des Inseloberhauptes. Das Herrenhaus ist bewohnt und kann nicht besichtigt werden. Märchenhaft fügt sich dieser prächtige Wohnsitz in die Landschaft ein. Die herrlichen Gärten der Seigneurie sind öffentlich zugänglich. Sie wurden in der ersten Hälfte des 19. Jhdts. angelegt. Durch ein Tor kommt man in die von einer Mauer umfasste Gartenanlage, in der eine ungeahnte Vielzahl an Blumen, Stauden und Sträuchern wächst. Wir betreten ein Musterbeispiel englischer Gartenkunst.


Im 2. (und letzten) Teil berichten wir von Jersey, der größten der Kanalinseln.