Revolution statt Reform
In diesen Wochen findet in Rom die sogenannte Bischofsynode statt. Vorwiegend Bischöfe beraten über den zukünftigen Weg der römisch-katholischen Kirche. Als Errungenschaft wird angeführt, dass Laien und Frauen daran teilnehmen und einzelne sogar stimmberechtigt sind. Dies löst schon mal ein erstes Kopfschütteln aus. Vorweg: Ich verdanke der Kirche sehr viel; nicht nur meinen jahrelangen Arbeitsplatz, sondern auch die Chance, unbeschreiblich vielen Menschen begegnet zu sein, von ihnen gelernt und tragende Freundschaften ermöglicht zu haben. Durch mein internationales Engagement durfte ich so etwas wie eine globale Solidarität und Geschwisterlichkeit erfahren. Tausende Schauplätze, wo Priester, Nonnen, Pfarrgemeinden, Sozialarbeiterinnen, Christinnen und Christen sich für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Beheimatung, Dialog und Kooperationen mit anderen Religionszugehörigen und vor allem für die Nothilfe einsetzen. Natürlich kenne ich auch die Schattenseiten des Missbrauchs, klerikaler und theologischer Überheblichkeit. Dennoch überwiegen die positiven Erfahrungen. Ich werde auch nicht aus der Kirche austreten. Dazu kenne ich sehr viele Projekte und Initiativen, die von ihr getragen werden. Gerade auch in unserer Diözese. Als Mitglied sehe ich es aber auch in meiner Verantwortung, die kritische Stimme zu erheben. Das offene Wort ist nicht zuletzt zurückzuführen auf das Vorbild Jesu, der sich kein Blatt vor den Mund genommen hat; auch wenn er dadurch Opfer eines politischen Mordes geworden ist.
Was mich unter anderem stört ist die Unbeweglichkeit und Starrheit in kirchenrechtlichen und theologischen Fragen. Weiters die Ausgrenzung, die Frauen und jene erfahren, die kirchlichen Regelungen und Positionen nicht entsprechen. Als himmelschreiende Sünde betrachte ich den Ausschluss von Sakramenten und den Kommunionempfang. Wenngleich ich glücklich bin, dass der Großteil der Priester, Diakone darauf pfeifen und eine Kultur der Inklusion und Zuwendung pflegen.
Wir haben, um es mit Hannah Arendt zu sagen – „kein Recht gehorsam zu sein“ – wenn es um die Menschenwürde und Menschenliebe geht. Ich möchte hier nur ein Beispiel anführen:
Würdevoll mit Leib und Seele feiern
Es hat mich schon lange gestört, hab es auch schon öfters angesprochen und nehme es selber nicht mehr in den Mund, dieses: „Oh Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach“, das vor dem Kommunionempfang in der römisch-katholischen Liturgie vorgegeben ist. Es ist für mich eine grobe Verletzung der Menschenrechte, Menschen die Würde abzusprechen und es ihnen zusätzlich noch in Mund legen zu wollen. Jeder Mensch hat eine unteilbare Würde, diesen allen innewohnenden Wert. Auch wenn das Verhalten des Menschen dagegenspricht, bleibt die Würde erhalten. Selbst ein Schwerstverbrecher verdient einen würdevollen Strafvollzug. Die Todesstrafe widerspricht diesem radikal. Darüber hinaus ist die althergebrachte und unbedachte Formel eine Anmaßung. Gott vorzuschreiben, ob er unter das „Dach“ eines Menschen einziehen will oder nicht, grenzt an Blasphemie. Mein Glaube, ein Geschenk, sagt mir, dass Gott von Anbeginn an in jedem Menschen präsent ist und sich niemals davon verabschiedet. Schon gar nicht eifersüchtig, beleidigt und bestrafend. Das sind unreife menschliche Verhaltensweisen. Es ist eine der vornehmsten Aufgaben der Seelsorge, diesen göttlichen und wesentlichen Kern den Menschen bewusst zu machen. Das ermutigt, lässt das Große und Gute, das in jedem Menschen grundangelegt ist, wachsen. Das fördert im besten Sinn die liebevolle Goldader, die im oft kalten Fels der Prägungen, Enttäuschungen, Verletzungen verborgen ist, zutage und ist eine Einladung zur Feier gottverwandter Seelen.
Aus diesem Grund verweigere ich auch den zweiten Teil der liturgischen Formel: „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund!“ Ich glaube, dass die Seele der gesündeste Kern eines Menschen ist. Sie ist im Unterschied zu Leiblichkeit und Psyche unverletzlich. Sie trägt die Melodie der Unendlichkeit in sich. Sie überlebt alles, auch den irdischen Tod. Sie kommt aus dem Einen und ist eins mit der gesamten Schöpfung und dem Schöpfungsgeist.
Die Feier der Eucharistie (übersetzt: Danksagung) ist eine dramaturgisch wertvolle Ansammlung froher Botschaften und Zeichen und, wenn gut vorbereitet und gestaltet, ein Verschmelzen von Himmel und Erde, Raum und Zeit, Göttlichem und Menschlichen, Vollkommenem und Unvollkommenen. Räumlich im Mittelpunkt steht ein Tisch. Auf ihm die Göttin der Lebensmittel, das Brot und der lebendig machende Trunk der Leidenschaft, der Wein. Angereichert durch die Zusage Jesu, sollten zwei oder drei in seinem Namen an diesem Tisch versammelt sein, das heißt voller Liebe und Wertschätzung, er sich über alle Zeiten und Räume hinweg dazugesellt und freudig „einmischt“. Das ist Gottesdienst: Gott dient den Menschen, weil er sie unendlich liebt.
Die Vergegenwärtigung, dass wir, vor allem unsere Seelen, letztendlich „Eins“ sind, wir niemals Gottverdammte, sondern Gottverwandte sind; die Ahnung, dass an diesem Tisch alle Seelen aller Zeiten versammelt sind, könnte in ein unbeschreiblich großes und befreiendes Fest münden. Wir sind ALLE würdig und seelengesund, dieses Mahl und die Gastfreundschaft in vollen Zügen zu genießen.
Zurück nach Rom. Ich hoffe sehr, dass sie sich bewegt – die Kirche. Ansonsten werden sich noch mehr Menschen von ihr wegbewegen. Die Christinnen und Christen der ersten Jahrhunderte hatten einen Beinamen: „Die Menschen vom neuen Weg“. Die Radikalität der Nächstenliebe, die Solidarität über alles Clandenken hinaus, der unerschütterliche Mut, Neues zu beginnen – getreu dem Jesuwort: „Seht, ich mache alles neu!“ muss wieder Wegweiser werden. Insofern glaube ich nicht, dass die Kirche reformierbar ist – sondern revolutionierbar. Die Handschrift dazu findet sich unter anderem in den Evangelien. Ich wurde schon öfters gefragt, wovor die Kirche am meisten Angst habe. Meine Antwort darauf: Vor Jesus. Und dieser spricht unermüdlich: Fürchtet euch nicht!