21. November 2024
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Sozialer Friede-wie geht das?

Respektvoll zusammenwirken
Lesedauer ca. 4 Minuten

(Eine Annäherung)

Ohne große Einleitung und wortgewaltige Ouvertüre. Friede beginnt – vor und hinter der eigenen Haustüre. Friede mit sich selbst, der eigenen Geschichte, den Prägungen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Friede mit den erlittenen Verletzungen – sie gehören zu uns. Unsere bleibenden Narben sind das Profil unserer Menschwerdung. Friede mit den Menschen, von denen wir unsere Verletzungen, Enttäuschungen davon getragen und jenen, die wir verletzt und enttäuscht haben. Jemand zu lieben fällt leicht; jemand gut leiden zu können – ist die Kür des Lebens und des Zusammenlebens. Friede mit dem, was ich bekommen habe und dem, was mir vorenthalten oder genommen wurde.

Zufriedenheit und Dankbarkeit

Frieden ist eine zarte Pflanze, die täglich gepflegt werden muss.

Dieser Friede mündet im besten Sinne in die ZuFRIEDENheit. Zufriedenheit ist das Einfallstor der Solidarität. Wer zufrieden ist, nicht mehr rastlos den Gütern und Ereignissen hinterher rennt, sich nicht in den Fängen des Konsumismus verheddert, hat meist sogar für andere „etwas übrig“. Sie kennen vielleicht den Spruch: Wir geben Geld aus, das wir nicht haben, für Dinge, die wir eigentlich nicht brauchen – um Menschen zu beeindrucken, die wir nicht mögen.  Wollen wir das? Die Zufriedenen sind befreit von Zorn, Hass, Gier und Neid. Sie lassen sich nicht anstecken von den Mächten, die uns permanent einreden, wie schlecht es uns geht, in welch‘ desolaten Land wir leben, das anscheinend nur dann den Wohlstand hält, wenn wir preisgetrieben konsumieren, konsumieren und konsumieren – und am Ende vor einem Schuldenberg und zerbrochenen Beziehungen, die sich nicht auf einen gemeinsamen,  sparsamen Lebensstil einigen konnten,  entkräftet und perspektivenlos stehen müssen. Genügsamkeit, Verzicht, Sparsamkeit vor allem aber das Teilen der Güter und Talente sind Leuchttürme auf der stürmischen See unserer Gegenwart und Zukunft.

Alles Gute entspringt aus der Dankbarkeit

Alles was bleibt und geblieben ist mündet in Dankbarkeit. Und: Alles Gute entspringt aus der Dankbarkeit. Das Echo der Dankbarkeit ist zugleich das, was wir an Hilfsbereitschaft, Großzügigkeit, solidarischem Engagement, Gemeinschaftspflege kennen. Zufriedenheit und Dankbarkeit ob der geschenkten Chance, in einem Land leben zu dürfen, wo wir neben einer betörenden Schönheit der Natur und einer  reichhaltigen Kultur über ein ausgezeichnetes Gesundheits- und Sozialsystem verfügen. Soziale Sicherheit ist ein wesentlicher Garant für den sozialen Frieden. Wer elend leben muss, greift früher oder später zu elendigen Handlungen. „Gebt den Hungrigen zu essen, den Durstigen zu trinken, den Heimatlosen ein Platz, den Kranken Zuwendung“ ist keine Erfindung des Christentums. Wir finden diese Aufforderung in frühen Aufzeichnungen der Hochkulturen. Wer Aufstände, Kriege, permanente Unruhen verhindern will, sorgt für soziale Gerechtigkeit. Heut würde ich noch ergänzen: Wer den Aufstand der Natur einbremsen will, sorgt für Klimaschutz.

Friede im sozialen Nahraum

Gute Nachbarschaft

Noch einmal zurück zur eigenen Haustüre – zum Frieden mit sich selbst. Friede beginnt mit der Versöhnung mit den eigenen Unzulänglichkeiten, Fehlern, Unterlassungen. Dieser Friede braucht keine Sündenböcke, das Ablenken auf die „Anderen“. Friede mit Angehörigen, Zugehörigen, mit der Familie, Verwandtschaft, mit den Nachbarn. Hier fällt mir immer der Ausspruch eines alten Bekannten aus Osttirol ein, der am Schluss einer großen Tagung der Kirche aufgestanden ist und alles auf den Punkt gebracht hat: „Ein guter Christ, ein guter Mitbürger ist ein guter Nachbar!“ Das heißt Friede mit den MIT-Menschen in Gemeinde, Stadt  und Land. Die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind nur in einem solidarischen Miteinander zu lösen. Das Dorf und der Stadtteil sind dabei die wesentlichen Scharniere der Umsetzung. Naturschutz, Kinder- und Altenbetreuung, die Sorge um die Grundausstattung einer Kommune und Wertebildung sind Gemeinschaftsaufgaben. Wir sind aufeinander angewiesen. Wer das nicht glaubt, sich dem entziehen will – landet früher oder später in der Vereinsamung und im schlimmsten Fall in der Verwahrlosung. Wir sind angewiesen auf ein Netzwerk, das friedvoll und fair zusammenwirkt und wo Rechte und Pflichten gut ausgewogen sind. Gutes Leben für alle – Grundvoraussetzung für den Frieden. Damit sind wir bei der Politik.

Verbindliche und verbindende Politik

Damit niemand im Abseits landet

Politik hat für Verbindlichkeiten zu sorgen. Das erfordert die Fähigkeit, Verbindungen zu schaffen. Verbindungen herzustellen zwischen den Generationen, zwischen Begüterten und Mittellosen, Gesunden und Kranken, Chancenreichen und Chancenlosen. Vor Jahren haben wir in der Caritas den Slogan „ÖsterREICH hilft ÖsterARM“ geprägt. Er ist nach wie vor gültig.  Staatskunst baut auf Solidaritätsausgleich und einem Versicherungsprinzip – man denke nur an die Krankenversicherung, Pflegesicherung usw. Das bedingt auch eine klare Ansage an  jene, die nur „kassieren“, beziehungsweise ihre Privilegien absichern wollen. Die Fehlentwicklungen, wo Gemeinden, Land und Bund sich als „big spender“  aufgetreten sind, gehören der Vergangenheit an – nicht zuletzt ob der gigantischen Verschuldung. Übrig geblieben ist ja trotz allem Nichtzufriedenheit und Dauernörgelei. Manches davon ist auch unter „WohlstandsverWAHRLOSung“ einzuordnen. Was wir brauchen: Politiker:innen, die ehrlich sagen, was möglich und in Zukunft nicht mehr leistbar ist, die Sparsamkeit und Sorgfalt an den Tag legen und Modelle des Miteinanders vorleben und fördern. Politiker:innen, die geHALTvolle Arbeit leisten und eine Selbstverpflichtung eingehen, Hass, Zwietracht, Entwürdigung und das Befeuern der Unzufriedenheit aus ihrem Repertoire zu streichen. Politiker:innen, die vorbildhaft zusammenarbeiten – ob in einer breit aufgestellten Konzentrationsregierung oder in einer notwendigen parlamentarischen Kontrollfunktion. Das erfordert gewaltlose Konfliktkultur, Kompromiss- und Konsensbereitschaft. Unverzichtbar sind nachvollziehbare Kommunikation, Partizipation der Bürger:innen und den Mut, Neues zu probieren. Die alten Bilder von Siegern und Verlierern helfen uns nicht weiter und produzieren letztendlich nur Verlierer:innen.

Und wir brauchen: Bürgerinnen und Bürger, Wählerinnen und Wähler, die ihren Beitrag leisten, sich politisch bilden und sich an der „res publica“ – der Mitverantwortung und  dem Gemeinwohl beteiligen. Die Aufgaben sind vielfältig: Kinderbetreuung, Ortsbildpflege, Naturschutz, Nachbarschaftshilfe, Kultur und vieles mehr. Was wir vermutlich auch benötigen sind Friedensstifter:innen. Wertevolle Mitbürger:innen, die Brücken bauen, Versöhnung einleiten und das Zusammenleben und Zusammenwirken im Auge behalten. Das Land wäre gut beraten, für die Konflikte, die immer wieder aufflammen werden, großflächig Mediatorinnen und Mediatoren auszubilden und zu honorieren.

Friede beginnt mit der Vergebung

Zuletzt wieder zurück zur eigenen Haustüre. Martin Luther hat für mich eine kluge Weisheit hinterlassen: „Am Ende eines Lebens gibt es nur mehr zwei Fragen zu beantworten. Wem muss ich vergeben, wen um Vergebung bitten?“ Wir wissen weder Tag noch Stunde. Also ist möglichst bald damit zu beginnen. Damit Frieden herrscht.

Georg Schärmer
(streitbar, vergebungsbegabt und friedliebend)

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Georg Schärmer

Geboren am 14. März 1956. Jahrelanger Leiter sozialer Einrichtungen und Bildungsstätten; zuletzt Direktor Caritas Tirol und Vizepräsident Caritas Österreich. Vorstandsmitglied von Pflegeeinrichtungen im In- und Ausland. Autor mehrerer Bücher, Publikationen und Herausgeber von Kulturformaten. Besondere Interessen: Musik, Literatur, Architektur und Sozialraumentwicklung. „Ziel des Schreiben ist es, andere sehen zu machen“ (Joseph Conrad)

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Ein Gedanke zu “Sozialer Friede-wie geht das?

  1. Danke für diesen wundervollen Beitrag, der eigentlich alles sagt, was für ein schönes Zusammenleben wichtig wäre. Leider ist es für uns alle leichter das richtige zu erkennen, als es auch immer und überall anzuwenden.
    Unterschiedliche Meinungen und Ansichten sind keine persönlichen Feindschaften – oder sollten es wenigstens nicht sein – sondern nur Diskussionsgrundlagen.

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