Wenn bei uns von „großen Beutegreifern“ gesprochen wird, so sind damit Bär, Wolf und Luchs gemeint, die alle im 19. Jahrhundert in Mitteleuropa vom Menschen ausgerottet wurden. In weiten Teilen Europas jedoch konnten sich, mehr oder weniger von ihnen behaupten und durchgehend, gemeinsam mit der dort ansässigen Bevölkerung, leben.
So kamen etwa ständig alle drei Arten in Spanien und Portugal, in Skandinavien (ohne Dänemark und Island) in vielen der ehemals Russischen Gebiete (Weißrussland, Ukraine, …) am Balkan und Wolf und Bär auch in Italien am Apennin vor. Auch außerhalb Europas gibt es genügend Erfahrungswerte für ein mögliches Zusammenleben.
Wie auch wir hier in Inzing im Sommer 2019 erleben mussten, kann es selbstverständlich zu Schäden an Nutztieren kommen. Es handelt sich schließlich um Raubtiere, wenn auch im allgemeinen um äußerst scheue, die die Nähe des Menschen meiden. Solche Verluste sind selbstverständlich, vollwertig zu entschädigen.
Leider werden so gut wie alle Diskussionen über dieses Thema, von Gegnern wie auch von vielen Befürwortern, ausschließlich emotional geführt und es wird nicht einmal versucht auf sachlicher Ebene zu Lösungen zu kommen.
Die Gefahr für den Menschen ist, nach meinen Recherchen, vernachlässigbar. In freier Wildbahn gibt es nur sehr wenige Begegnungen mit einer dieser drei Arten und, in Europa, in den letzten Jahrzehnten keinen tätlichen Angriff mit Verletzten oder gar Toten (in umgekehrter Richtung natürlich schon – immer wieder werden einzelne Exemplare gewildert). Es ist anerkannt, dass die Gefahr von einem Wildschwein attackiert zu werden um ein vielfaches größer ist. Ganz allgemein gibt es weltweit kein Lebewesen, das gefährlicher für uns Menschen wäre als andere Menschen (siehe Unfallstatistiken, Kriege, etc.).
Auch hat man oft eine falsche Vorstellung, wenn von einem Wolfsrudel die Rede ist. Dabei handelt es sich nämlich um einen Familienverband der aus 5 bis 15 Tieren besteht (meist rund 7). Bär und Luchs sind Einzelgänger und nur Mütter mit Jungtieren bleiben für eine Weile beisammen.
Es heißt auch immer, hier bei uns (in Tirol) gibt es keinen Platz für diese Raubtiere. Laut offiziellen Zahlen sind in Tirol nur 10,63 % der Gesamtfläche Dauersiedlungsraum (der Dauersiedlungsraum ist definiert als die Summe der Kategorien Baufläche, landwirtschaftliche Nutzung, Gärten, Weingärten sowie folgenden Widmungen aus der Kategorie “Sonstige Flächen”: Straßenverkehrsanlagen inkl. Parkplätze, Abbauflächen, Halden, Deponien, Schienenverkehrsanlagen und Betriebsflächen. Quelle: Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen https://www.tirol.gv.at/statistik-budget/statistik/flaechennutzung/).
Mich würde beispielsweise interessieren wie hoch die durchschnittlichen jährlichen Ausfälle bei Schafen im Almgebiet ohne diese Raubtiere sind, etwa durch Krankheit, Absturz, Blitzschlag, Steinschlag oder auch durch wildernde Haushunde und wie hoch der Prozentsatz der Tiere ist, die von einem der genannten Räuber getötet wurden (in dem Fall natürlich dort wo er auch regelmäßig vorkommt). Diese Zahlen können natürlich nur großräumig erfasst werden und dürfen nicht auf Einzelfällen beruhen.
Auch bei dem, wie oft erwähnt wird, so teuren Herdenschutz sollte man weitere Aspekte einbeziehen. Man findet nämlich auch Hinweise, dass dabei zwar weniger oft Risse stattfinden, aber wenn ein Fall eintritt, sind umso mehr Tiere betroffen und am Ende ist es möglicherweise ein teures Nullsummenspiel. Einmal ganz abgesehen davon, dass die dafür eingesetzten Schutzhunde zwangsweise sehr aggressiv sind und keine Angst vor Menschen haben, folglich eine echte Gefahr für Wanderer darstellen.
Wie groß wäre etwa auch der Nutzen durch geringeren Wildverbiss in Schutz- wie auch Nutzwäldern, wenn Reh- und Rotwild wie auch Wildschweine wieder einen natürlichen Feind haben – abgesehen vom gefährlichsten aller Raubtiere, uns Menschen.
Das sind nur einige der Punkte, die angesprochen werden sollten und auf Basis von statistischen Daten zu klären sind. Schönreden ist ebenso sinnlos wie ein Feindbild aufzubauen. Es gibt genügend Daten und es gibt genügend Erfahrungsberichte und Studien um auch sachlich mit dem Thema umgehen zu können und nicht mit Bambi-Mentalität, Vermenschlichung oder Schockfotos Stimmung machen zu müssen – außer man hat Angst vor einem realen Blickwinkel, weil der vielleicht nicht das aufzeigt, was man gerne hätte.
Einige Links zum Thema:
https://www.quarks.de/umwelt/tierwelt/das-kann-der-wolf-fuer-den-wald-tun/
https://www.beutegreifer.at/categories/aktuelles
https://www.pronatura.ch/de/grosse-beutegreifer
https://bauernzeitung.at/dna-test-bestaetigt-baer-und-wolf-in-tirol/
https://www.tirol.gv.at/statistik-budget/statistik/flaechennutzung/
Dieser Beitrag von Robert verlangt nach einer Reaktion. Vorab muss ich feststellen, dass im Artikel keine neuen Aspekte angesprochen werden, die die Öffentlichkeit nicht sowieso schon aus zig Medienberichten kennt. Es ist auch keine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema. Genau so könnte auch eine Pressemeldung des WWF oder anderer NGO’s ausschauen. Mit Ausnahme der Überlegung, ob ein Schutz der Nutztiere überhaupt sinnvoll ist, da es am Ende möglicherweise nur ein teures Nullsummenspiel ist. So eine öffentliche Aussage durch NGO’s würden diese vermutlich nicht aushalten. Ob sie nicht ohnehin so denken, bin ich mir nicht sicher! Die Probleme für die Betroffenen (aktuell hauptsächlich die Bauern mit ihren Weidetieren) werden komplett ausgeblendet. Die sachliche Ebene vermisse ich also auch in diesem Beitrag gänzlich. Es ist ein Schönreden des Themas aus nur einem Blickwinkel – dem des Wolfes.
Nun noch einige konkrete Erwiderungen zum Beitrag.
• Der Autor geht vom Dauersiedlungsraum aus: Dieser Ansatz ist völlig falsch und in dieser Form nicht akzeptabel, denn die Almwirtschaft als Hauptbetroffene durch die Anwesenheit von Großraubtieren findet nicht im Dauersiedlungsraum statt. Wir reden dann von rd. 40% der Tiroler Landesfläche!
• Vollwertige Entschädigung der gerissenen Tiere: Nutztiere sind keine Sache und daher nicht nur ein Materialverlust, den man einfach vollwertig entschädigen kann. Bei Anwesenheit von Wölfen und damit vorprogrammierten gehäuften Rissen in Herden derselben Eigentümer – so geschieht es in den Wolfsgebieten Deutschlands und Frankreichs und auch den Staaten, wo sie nie ausgerottet waren (Italien) – ist der emotionale Schaden nach kurzer Zeit wesentlich größer als der „materielle“. Stell dir vor, du kommst in der Früh zu deiner Herde von 30 Schafen – so groß ist eine durchschnittliche Schafherde in Tirol – und du findest 10 oder 20 tot oder schwerstverletzt in der Weidekoppel und die anderen sind irgendwo versprengt? Wie soll das mit Geld entschädigt werden? Eine Schlagzeile aus der östlichen Oberlausitz in Deutschland aus dem Jahr 2018: „Herde der Naturschutzstation dezimiert – 40 tote Schafe bei Niesky. Bei Niesky hat es einen Wolfsübergriff auf eine Herde mit rund 140 tragenden Mutterschafen gegeben. Etwa 40 Moorschnucken und fünf Ziegen sind tot, viele Tiere werden noch vermisst.“ In Spanien wurden in einer angeblich wolfssicheren Weidekoppel während eines einzigen Wolfsangriffes rd. 100 Schafe gerissen. Ich habe ein Foto davon gesehen – da gibt es nichts mehr zu relativieren und schönzureden. Diese Fotos werden der Öffentlichkeit in den Medien gar nicht zugemutet.
• Zu den Schafausfällen auf der Alm: Die durchschnittlichen Ausfälle von Schafen in einem normalen Almsommer liegen bei rd. 2 bis 3%. Bei Anwesenheit von Raubtieren gehen diese bis zu 100%. Nur wird das nicht passieren, denn vorher werden die Schafe von der Alm abgetrieben und nach Hause in den Stall gebracht. So geschehen in den Karnischen Alpen an der Grenze Kärnten/Slowenien und in den letzten beiden Jahren in Südtirol. Ich kenne die Situation eines Schäferpaares im französischen Wolfsgebiet: Diese setzen für ihre rd. 1000 Schafe 35 (!) Herdenschutzhunde ein. Trotzdem hatten sie im Jahr 2018 einen Verlust von 180 Schafen. Und dies, obwohl die Tiere während der Nacht in Pferchen gehalten werden. In Frankreich passieren rd. 50% der Nutztierrisse während des Tages und nicht in der Nacht. Betroffen von den Rissen sind nicht nur Schafe, sondern alle Nutztierarten (auch Kälber, Kleinpferde, Fohlen, Esel) und auch Herdenschutzhunde.
• Zum Rückgang des Wildverbisses: Zuerst einmal müssten die Wölfe wissen, wo Schutzwälder sind, damit sie dort die Wilddichte reduzieren könnten. Ich besuchte in der Schweiz das Weißtannen- und Tamintal. Es handelt sich um zwei Nachbartäler die durch einen Bergrücken getrennt sind und im Einzugsgebiet des sog. Calanda-Wolfsrudels liegen. Die Ortsvorsteher beider Gemeinden schilderten mir, dass das Rotwild aus dem Taminatal, wo das Wolfsrudel sein Hauptstreifgebiet hat, abwandert und im benachbarten Weißtannental in unerträglich hoher Zahl auftaucht. Die Hirsche flüchten ganz einfach vor der Gefahr – es ist damit keine Lösung, sondern eine Verlagerung des Problems „Wildverbiss“. Damit diese Verlagerung nicht passiert, müsste also auch im Nachbartal, wo das Wolfsrudel auch auftaucht, aber wesentlich sporadischer, ein eigenes Wolfsrudel leben. Und auch wieder im nächsten Tal, …
Nach diesem praktischen und wohl sehr gut nachvollziehbaren Beispiel nun die von Robert gewünschten wissenschaftlichen Fakten: Prof. Klaus Hackländer, Wildtierbiologe an der Universität für Bodenkultur in Wien, schreibt zu diesem Thema in seinem brandneuen Buch „Er ist da – Der Wolf kehrt zurück“ (erschienen im Mai 2020): „Rein rechnerisch müssten 3850 Wölfe in Österreich unterwegs sein, um die Jägerinnen und Jäger arbeitslos zu machen und ein ‚natürliches Gleichgewicht‘ wiederherzustellen. Wie Berechnungen der „Lebensraum-Tragfähigkeit“ zeigen, kann es zu einer derart dichten Besiedelung Österreichs durch Wölfe nicht kommen. Dazu sind die unerwünschten Nebenwirkungen einer derartigen Wolfsdichte – von Übergriffen auf Nutztiere bis zu direkten Konfrontationen zwischen Wölfen und Menschen – gar nicht vorstellbar.“
Es gäbe noch sehr, sehr viel zu schreiben. Nur, wer liest dann noch weiter? Professor Hackländer schrieb darüber das erwähnte Buch mit „Für und Wider“ zum Thema Wolf. Ich selbst bin kein Wildbiologe, beschäftige mich aber als langjähriger Redakteur einer österreichischen Fachzeitschrift für Alm- und Weidewirtschaft seit dem Jahr 2012 intensiv mit dem Geschehen rund um die Rückkehr des Wolfes nach Mitteleuropa.
Lieber Johann!
Als erstes, danke für deinen raschen Kommentar. Dass wir zwei bei diesem Thema unterschiedliche Meinungen vertreten ist bekannt und auch völlig in Ordnung.
Eigentlich war es nicht meine Absicht Neuigkeiten aufzutischen – die es vermutlich nicht einmal gibt – sondern die Art der Diskussionen und Meinungsmache, die beinahe nie auf konkreten Fakten beruht, zu kritisieren. Anscheinend ist mir nicht gelungen, das klar zu machen.
Die Almflächen kennst du selbstverständlich genau und so muss man also, während der drei Sommermonate von etwa 40 % „Siedlungsfläche inklusive Almen“ ausgehen wobei natürlich 30 % sehr dünn besiedelt sind. Die restlichen 9 Monate bleibt es bei den von mir genannten knapp 11 %.
Wenn man als Nutztierbesitzer morgens feststellen muss, dass die halbe Zukunftsplanung ein Scherbenhaufen ist, so ist klarerweise auch eine emotionale Beteiligung zu erwarten. Diese ist aber insoweit zu relativieren, dass ein Großteil der betroffenen Nutztiere schon ein „Ablaufdatum“ durch Schlachtung hatte. Ich bin übrigens ganz bei dir, dass Tiere keine Sachen sein sollten, was sie aber zu einem großen Teil juristisch sind. Und ich stimme dir auch zu, dass die Natur sehr oft grausam und unschön anzusehen ist. Das gilt jedoch in allen Bereichen und nicht nur bei drei Arten.
Wie du selbst schreibst, „dann findest du 10 oder 20 tot in der Weidekuppel“, ist klar, dass sie an einer natürlichen Flucht gehindert wurden und klarerweise der Schaden größer ist als bei frei laufenden Tieren – wie es bisher besonders auf den Almen eigentlich üblich war.
Bei 2 bis 3 % normalem, jährlichen Ausfall bedeutet das, in Österreich (mit ca. 400.000 Schafen im Jahr 2018) ungefähr 8.000 bis 12.000 Schafe. Wann und in welchem Bezirk oder Land es einen Ausfall von 100 % durch Wölfe gab konnte ich nicht feststellen, da bitte ich um genauere Angaben.
Was den Wildverbiss angeht gibt es anscheinend auch im Gebiet des erwähnten Calanda-Wolfsrudels unterschiedliche Meinungen. Wenn man der Seite:
https://www.watson.ch/wissen/schweiz/874479475-das-wolfsrudel-am-calanda-ist-gut-fuer-den-wald
trauen darf sind die Förster, im Gegensatz zu einigen anderen, eher glücklich über dieses Rudel.
Danke auch noch für den Hinweis auf das neue Buch und die darin enthaltene Zahl von 3850 Wölfen, also 430 Rudel mit je 9 Wölfen, um die Jägerschaft im Abschusskontingent arbeitslos zu machen. Das zu wünschen ist natürlich völliger Unsinn aber ein wenig Unterstützung scheinen sie doch zu brauchen, da sie in einigen Bundesländern das Kontingent nicht erreichen. In den letzten Jahren gab es bei uns immerhin zwischen einem und drei Rudeln, alle in der Region rund um das Waldviertel in Nieder- und Oberösterreich. Meist grenzüberschreitend zu Tschechien. Weiters ziehen immer wieder einzelne Wölfe aus den Nachbarländern auch kurzfristig durch Österreich.
Einstweilen habe ich noch einen sehr interessanten Artikel aus den Salzburger Nachrichten vom Samstag, den 30. Mai 2020, bekommen. Es dürfte anerkannt sein, dass diese Zeitung zu jenen wenigen in Österreich gehört, die üblicherweise gut recherchierte Artikel abdrucken und eher keine Falschnachrichten verbreiten.
In dem genannten Artikel geht es um sieben tote Schafe in Serfaus die vermutlich einem Wolfsriss zuzuschreiben sind (die DNA-Tests sind noch nicht abgeschlossen).
Laut dem Autoren, Andreas Tröscher, wollen die dortigen Bauern nicht den Abschuss des Wolfes sondern Unterstützung von Kammer und/oder Land für die Errichtung eines Elektrozaunes (Kosten von ca. 2.000 Euro pro km). In Salzburg würden sie dafür eine Förderung von 80 % erhalten und in Bayern sogar die Gesamtsumme. Die Tiroler Landwirtschaftskammer sagt jedoch NEIN! Sie bieten so etwas wie ein Notfallkit mit 300 m Elektrozaun und Batterie, wovon ganze 8 Stück zum Verleih zur Verfügung stehen von denen 4 in Verwendung sind. Diese Kits sind jedoch nur in Tallage sinnvoll verwendbar.
Allem Anschein nach soll auf diese Art, am Rücken der betroffenen Bauern, das Ziel der Kammer einer wolfsfreien Zone in Tirol durchgedrückt werden.
Nur, dass das nie gelingen kann. Wenn rundum in allen angrenzenden Gebieten der Wolf heimisch ist werden immer auch Einzelexemplare bei uns durchziehen.
Zudem wird im Artikel auch erwähnt, dass die normale Ausfallquote bei den etwa 68.000 Schafen in Tirol genau doppelt so hoch ist wie der von Johann angegebene österreichische Schnitt, also bei 4 bis 6 % beziehungsweise 2.700 bis 4.000 Schafen liegt, wogegen der Anteil der Wolfsrisse sich im Promillebereich abspielt.
Sogar ein Serfauser Bauer meint: „Das wird alles nur künstlich aufgebauscht!“
Sollte jemand den ganzen Artikel lesen wollen so ist er, im PDF-Format, als Link zum download beigestellt.
https://blog.dorfzeitung-inzing.at/wp-content/uploads/2020/06/2020-05-30_SalzburgerNachrichten.pdf
Möge sich jeder seine eigenen Gedanken dazu machen.
Robert
Leider ist der Link
https://blog.dorfzeitung-inzing.at/wp-content/uploads/2020/06/2020-05-30_SalzburgerNachrichten.pdf
nicht mehr aufrufbar, könnte das bitte korrigiert werden?
Danke!
Hallo Stefan,
danke für den Hinweis. Der Link funktioniert wieder.
Beste Grüße
peter oberhofer