21. November 2024
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Interview mit Seher Çakır

Lesedauer ca. 4 Minuten

2007 lancierte der Kulturverein Inzing das Literaturprojekt „andernWorts“, bei dem drei Schriftsteller*innen mit migrantischem Hintergrund für drei Wochen nach Inzing eingeladen wurden, um hier zu schreiben und einen oder mehrere Texte mit Bezug zum Dorf zu verfassen. In der Ausschreibung hieß es damals: „Mit Fernrohren wird in Hinterhöfe gespäht, mit Sägen kreisrunde Löcher in Zaunlatten geschnitten, mit Vorschlaghämmern Mauern niedergerissen. Wir bekommen Liebesgeschichten zu sehen, kleine Tragödien, alte Feindschaften, Alltagskomödien, hören Gesprächen beim Bäcker zu, lauschen Gasthausdebatten, alte Bekannte bekommen neue Gesichter, Unbekannte eine Stimme.“ 2008 erschien dann bei Skarabaeus die gleichnamige Anthologie (Hier eine Rezension von Birgit Holzner). Eine der drei Autor*innen, Seher Çakır, war nun von der Initiative Minderheiten zu einem Leseabend in die Stadtbibliothek Innsbruck eingeladen. Zeit für ein Wiedersehen und einen kleinen Plausch.

Michael Haupt: Was ist seit 2007 passiert?

Seher Çakır: Oh, das ist schon so eine lange Zeit, zurück, Michael. Was ist nicht passiert, seit 2007? Also der zweite Kurzgeschichtenband „Ich bin das Festland“ ist gekommen und danach ist lange nichts passiert, sprich seit 10 Jahren, schreibtechnisch bzw. besser gesagt publikationstechnisch, außer man zählt die Schulbücher mit ein. Wenn man die rechnet, ich glaube, alle zwei Jahre bekomme ich eine Anfrage: Dürfen wir dieses oder jenes, Kurzgeschichte meistens, aber auch Gedichte, in irgendwelchen Deutschschulbüchern abdrucken. Was mir jedes Mal für zwei Tage ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Gerade wenn, wie jetzt gerade in der Lesung angesprochen, man mir andeutet, ich sollte nicht so viel auf Deutsch schreiben.

MH: Kannst du die Geschichte vielleicht noch einmal kurz erzählen?

SÇ: Also, es war so, dass ich nach einer Lesung, und zwar im Sprachinstitut im 9. Bezirk, das war eine Gemeinschaftslesung mit einer tschechischen Autorin, moderiert von einer bosnisch-sprachigen Redakteurin vom Standard. Und das Thema war eben Schubladisierung. Und wir haben zwei Stunden auf der Bühne, die Kollegin, die Moderatorin, alle mit Migrationshinter-, vorder-, seitengrund, über Schubladisierungen und wie Kacke die sind, gesprochen. Und dann komm ich von der Bühne ab und dann kommt diese ältere Dame und sagt: „Wissen Sie, ich bin eine pensionierte Direktorin vom Gymnasium, da und dort im 9. Bezirk.“ Sag ich: „Okay, gut?“ Sagt sie: „Wissen Sie, Sie sprechen so schön Deutsch, Sie müssten Türkischlehrerin werden!“ Ich hab das jetzt nicht auf der Bühne erzählt, ich hab mir gedacht: „Oida!“ Dann hab ich gesagt: „Wissen Sie, ich war auf der Pädak, ich wollte Lehrerin werden, aber wegen solchen Leuten wie Ihnen, hab ich das Studium abgebrochen!“ Weil ich mir gedacht habe: „Wir reden seit zwei Stunden, dass das nicht in Ordnung ist ständig in irgendwelche Schubladen gesteckt zu werden und dann sagt sie, ich spreche so gut Deutsch und muss Türkischlehrerin werden, Hallo?“ Solche Sachen passieren, deswegen freut es mich eben sehr, wenn diese Anfragen von Schulbuchverlagen kommen, die meine Geschichten und Gedichte in irgendwelchen Deutschbüchern publizieren.

Foto: Alena Klinger, Initiative Minderheiten

MH: Was ist dir von Inzing noch in Erinnerung?

SÇ: Alles!

MH: Speziell?

SÇ: Das Resultat, mein Text, das wäre nicht entstanden, wäre ich nicht in Inzing gewesen. Die Menschen, die ich dort kennengelernt habe, die Zeit und das Hotel. Also ich denke sehr gerne zurück, auf Inzing, wie ich da angekommen bin. Ich hab wirklich alles sehr lebendig parat. Und wenn du jetzt sagst, das war 2007 und es kommt mir vor wie gestern, denk ich mir „Wow, ich bin alt geworden.“ (lacht). Also es war eine sehr schöne Zeit, ich erinnere mich an meine Kochinspirationssessions. Erinnerst du dich?

MH: So ein bisschen.

SÇ: Zur Erinnerung: Die erste Zeit war ich ja schockiert, dass das so klein war in Inzing. Der Jakobsweg fällt mir ein, ist auch in Inzing. Meine Inspiration war weg, die Kaffeehäuser waren alle zu. Damals durfte man in Kaffeehäusern noch rauchen. Und Kochen ist für mich sehr inspirativ, da kann ich ein bisschen abschalten, dann hab ich mir gedacht: „Das gibt’s ja nicht, da kann ich nicht.“ Und dann haben wir angefangen, eben dann hab ich gekocht bei David, bei Brigitte, beim Thomas, glaub ich. Ja, ich hab in drei Wohnungen gekocht. Da sind wir alle zusammen gekommen, das war sehr schön. Und es hat mir auch geholfen, zum Schreiben. Na, wie heißt das, nicht Biergarten, Garten, Winter ….

MH: Wintergarten.

SÇ: Der Wintergarten ist mir in Erinnerung, ist das noch da?

MH: Ja.

SÇ: Genauso?

MH: Naja, man kann nicht mehr rauchen und er hat mittlerweile nur mehr drei Tage die Woche offen.

SÇ: Oh, naja, weil man nicht rauchen kann, wahrscheinlich… Also Inzing war eine sehr schöne Zeit für mich, im Nachhinein. Die erste Woche war ich noch ein bisschen unter Schock.

MH: Zum Abschluss noch: Was sind deine Pläne? Was passiert z.b. mit dem Text, den du heute gelesen hast?

SÇ: Dieser und ein paar andere Texte, die in der Zwischenzeit entstanden sind, sollen auch einen weiteren Kurzgeschichtenband ergeben. Das ist ein Plan. Aktuell hab ich angefangen zu Studieren, Sprachwissenschaft, was sonst? Ein Plan ist, das abzuschließen, nebenbei zu Schreiben und Brötchen verdienen. Aber Schreiben, sowieso und immer und natürlich.

MH: Vielleicht kannst du noch ganz kurz die Erzählung von heute Abend mit Frau Strauß …

SÇ: Frau Strauß und die Frau Straße. Frau Strauß ist eine alleinlebende ältere Frau, in irgendeiner kleinen Stadt in Österreich, die weltoffen sein möchte. Die aber schon phasenweise übergriffig ist, wie das passiert halt. Und umgekehrt, die Familie, mit der sie Kontakt aufnimmt, nachdem sie ins Haus einziehen, das ist eine Familie aus der Flüchtlingsbewegung von 2015. Und, ja, sie freundet sich mit dem kleinen Mädchen an und möchte ihr helfen anzukommen. Und währenddessen wird ihr auch geholfen. Ich hab jetzt diesen Part nicht gelesen, aber es geht eigentlich um Weihnachten, um einen Weihnachtsbaum, den die Farah unbedingt haben möchte, deswegen schlachtet sie vorher ihren Sparesel. Und auch um die falsche politische Korrektheit, falsche politische Korrektheit! Eben ob das jetzt ein Sparschwein oder der Sparesel ist, ist schnuppe. Aber sie ist so bemüht und sucht tagelang etwas was kein Schwein ist, aber Sparbüchsen sind meistens Sparschweine, vor allem hier. Und ja, diese Liebenswürdigkeit, die aber sowohl positiv wie auch negativ betrachtet werden kann. Überhaupt die ganze Geschichte, da möchte ich aufzeigen, die Menschen sind im Grunde genommen gut, aber weil sie manchmal versuchen zu gut zu sein, treten sie ins Fettnäpfchen. Das ganze Zusammenleben möchte ich da humorvoll rüberbringen.

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Michael Haupt

Michael nennt sich selbst gern Kulturarbeiter und macht das in verschiedenen Feldern, sowohl beruflich, als auch in seiner Freizeit. Letztlich geht es ihm dabei immer um die politische Dimension von Kultur. Um ihr Potenzial, die Gesellschaft vorwärts zu bringen, in dem sie Themen und Fragestellungen auf andere Art aufwirft. Das wird sich auch in seinen Artikeln für den Blog zeigen.

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