27. April 2024
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Die RADIKALISIERUNG unserer GESELLSCHAFT im Sog extremistischer Subkulturen im Internet / Teil 1

Fotos: li. L. Strasser / re © Suhrkamp Verlag
Lesedauer ca. 12 Minuten

Gedanken anhand des Buches “Massenradikalisierung” von Julia Ebner

Deutsche Ausgabe (in der Übersetzung von Kirsten Riesselmann): MASSENRADIKALISIERUNG – WIE DIE MITTE EXTREMISTEN ZUM OPFER FÄLLT. Verlag Surkamp Nova – Berlin 2023, 261 Seiten
Englische Ausgabe: Going Mainstream: How extremists are taking over. ITHAKA / Bonnier Books – UK 2023, 264 pages (paperback)

(Zitate im Text: JE, S. xy)

GRUNDSATZFRAGEN
– Was ist passiert, dass massive Radikalisierungstendenzen offensichtlich im Mainstream angekommen sind (was in diesem Umfang vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war)?

– Waren/sind Corona, rechtspopulistische Politiker wie Trump, Bolsonaro, Orban u.a. und der Ukrainekrieg beschleunigend wirksam bei der Etablierung von extremistischen Anschauungen/Aktionen inmitten einer bisher für vernünftig gehaltenen Bevölkerungsmehrheit?

– Ist durch diese Entwicklung die liberale Demokratie als anerkannte Staatsform bedroht?

Diese Fragen ziehen sich wie ein roter Faden durch Ebners brillantes Recherchewerk, wobei sie undercover in viele Subkulturen online und realiter eintauchte. Dabei versuchte sie, die Verhaltensweisen und Motive von sogenannten Incels (Involuntary Celebates) bzw. Frauenhassern generell (misogynen Männern), KlimawandelleugnerInnen, von Mitgliedern rassistischer Bewegungen wie White Lives Matter, Transphoben, ImpfgegnerInnen und PutinsympathisantInnen, die den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verniedlichen, zu ergründen. Am Schluss stellt sie die entscheidende Frage: “Was können wir dagegen tun?”

Als generelle QUINTESSENZ der gründlichen sowie aufwändigen Nachforschungen hat Frau Ebner zwei Phänomene identifiziert:

1) Diese gesellschaftlichen Umwälzungen sind erst durch intensive Vernetzungen (sog. Kommunikationsblasen) der jeweiligen Subkulturen im World Wide Web in dieser Dimension möglich geworden.

2) Vielfach überschneiden sich die Meinungen der einen mit den Ansichten der anderen: Zum Beispiel sind KlimawandelleugnerInnen sehr oft auch VerehrerInnen von “starken” Männern wie Putin und dergleichen. Frauenhass und Transphobie treten oft gleichzeitig in Erscheinung. Desinformationen zu Wirksamkeit bzw. Komplikationen im Zusammenhang mit Impfungen werden vornehmlich im rechtsextremen Spektrum bzw. von rechtspopulistischen Parteien wie AfD oder FPÖ und Verschwörungstheoretikern wie QAnon verbreitet. All dies führt nicht selten zu demokratiefeindlichen Verhaltensmustern.

Als ein extremes Beispiel dafür kann das kürzlich erschienene Buch (Taschenbuchausgabe im Selbstverlag vom 10.8.2023) von Roberto Vannacci, einem italienischen General, dienen. Er warnt in seinem Essay „Il mondo al contrario“ (Verkehrte Welt) vor einer Diktatur der Minderheiten und wettert gegen Homosexuelle, Feministinnen, Umweltschützer und Einwanderer (“Echte Italiener oder Italienerinnen sind seit Jahrtausenden weiß.” / “Schwule sind nicht normal – seht das endlich ein!” / “Auf Einbrecher, die ins Haus kommen, darf man schießen.” etc.).
In Reaktion darauf hat sich aus der italienischen Regierungsriege als Einziger der Verteidigungsminister kritisch dazu geäußert. Sowohl in Buchhandlungen wie auch im E-Handel erklomm das Werk des Generals Spitzenplätze. Vermutlich kandidiert der Autor im kommenden Jahr in den Reihen der rechtspopulistischen Lega für einen Sitz im EU-Parlament.

Ausgewählte INHALTE und ergänzende KOMMENTARE zu Ebners Recherchewerk

I) INCELS / Misogynie (Frauenhass)

© Pixabay

Nach einer UN-Studie (über 900 Befragte in 125 Ländern) haben im Jahr 2021 drei Viertel der kontaktierten Frauen Hetzte im Internet erlebt (Morddrohungen inklusive), was zeigt, dass im vergangenen Jahrzehnt der antifeministische Hass in breiten Bevölkerungsschichten angekommen ist (JE, S. 37).
Der Frauenhass der Incel-Community liegt in der Tatsache begründet, dass diese Männer es nicht geschafft haben, eine Partnerin zu finden, und dafür den Frauen die Schuld geben. Sie leben daher (unfreiwillig) zölibatär und fühlen sich feministisch unterjocht. Dabei spielt ein Phänomen, Lookism genannt, eine wichtige Rolle, nämlich “die Annahme, dass es Vorurteile und Diskriminierungen aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds gibt.” (JE, S. 41)

Die Incel-Hassausbrüche im Netz haben laut J. Ebner inzwischen eine menschenverachtende Schärfe erreicht, die man sich so gar nicht vorstellen mag. Und leider hat dieses Gedankengut in den letzten Jahren zu einigen aufsehenerregenden Terroranschlägen geführt: 2014 Elliot Rodger u.a. in Kalifornien, 2018 Alek Minassian in Toronto/Kanada, 2021 Jake Davison in Plymouth/UK. Auch die Wahnsinnstat von Anders Breivick in Norwegen 2011 sowie die Anschläge in Halle (2019) und Hanau (2020) waren vom dem durch die Incel-Ideologie getragenen männlichen Überlegenheitsempfinden zumindest mitbestimmt. Ein Phänomen, das im Englischen “White Supremacy” (Überlegenheit des weißen Mannes) genannt wird. Frauenfeindlichkeit und damit einhergehende (weiße) Männlichkeitsüberheblichkeit finden sich auch in großem Ausmaß in extrem rechten Kreisen, was ganz allgemein für alle im Buch Ebners erwähnten Subkulturen zu gelten scheint (JB, S. 50).
Alle genannten Entwicklungen haben nachweislich durch die Corona-Pandemie an Quantität (und wohl auch Substanz) stark zugenommen.

An dieser Stelle auch ein Hinweis auf ein für unser Land beschämendes Faktum: Hass und Gewalt an Frauen ist ein weit verbreitetes Phänomen, das im Extremfall in Femiziden mündet. Diesbezüglich liegt Österreich leider im Spitzenfeld der EU-weiten Statistik!

Julia Ebner hat wegen ihrer Forschungstätigkeit und den dabei angewendeten Methoden auch am eigenen Leib drastische Bedrohungen erleben müssen: Der Gründer einer rechtsextremen Organisation im UK hat sie massiv unter Druck gesetzt, weil sie ihn in einem Guardian-Artikel als Rechtsextremisten denunziert hätte. In der Folge wurde sie im Netz von Anhängern dieser Organisation massiv frauenfeindlich beleidigt, was schließlich zur Kündigung in ihrem damaligen Job bei einem Thinktank führte (JE, S. 52).

Um solche Situationen zu vermeiden, gibt das Institut, für das sie derzeit arbeitet (Institute for Strategic Dialogue / ISD), keine Adresse bekannt. Frau Ebners E-Mails werden sorgfältig überprüft. Interviews gibt sie nur an öffentlichen Plätzen.

II) Leugnung des Klimawandels  

© Pixabay

J. Ebner beginnt das Kapitel mit folgenden Hinweisen:
“Subkulturen fassen Fuß, indem sie sich als globale Netzwerke von Gleichgesinnten zusammenschließen. Die Klimawandelskeptiker sind ein Beispiel dafür, wie Aktivistinnen weltweit mächtige Netzwerke aufgebaut haben, um ihr radikales Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Ihre Verbindungen erstrecken sich über Wirtschaft, Politik sowie Zivilgesellschaft und haben ganze Ökosysteme aus alternativer Wissenschaft und klar parteiischem Journalismus groß werden lassen.” (JE, S. 73)

Damit ist das Wesentliche auch schon gesagt – mit einem Fokus auf folgende Merkmale: Globale Netzwerke, radikales Gedankengut, (Mitwirkung von) Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, Ökosysteme aus alternativer Wissenschaft sowie parteiischer Journalismus

Dazu passend seien die kürzlich in den Medien (https://orf.at/stories/3329071) veröffentlichten Ergebnisse einer IHS-Studie zum Thema “Wissenschaftsskepsis in Österreich” (Umfrage 2022) erwähnt: Daraus geht hervor, dass 31 Prozent der Befragten zwar ein zyklisches Auftreten von Klimaveränderungen, nicht aber die Verantwortung menschlichen Handelns für problematische Entwicklungen anerkennen. Ergänzend dazu wurden auch Fragen zur Evolution, Herkunft von Viren als Ursache von Pandemien und zur Existenz wirksamer Krebs-Heilmittel gestellt. Ca. zehn Prozent der Befragten haben so geantwortet, dass das IHS diesen Teil der Bevölkerung als “harten Kern” von Wissenschaft grundsätzlich ablehnenden Menschen interpretiert.

Im Zusammenhang mit der Klimadebatte nimmt es nicht Wunder, dass gerade Leute wie Greta Thunberg oder Carola Rackete zu Zielscheiben hässlicher Belästigungskampagnen wurden, wobei sehr persönliche Eigenschaften (wie z.B. Thunbergs Asperger-Syndrom, ihr Alter, vermutete hohe Einkommen durch ihre Tätigkeiten und daraus resultierende Abhängigkeit von Konzernen oder NGO) via Internet-Trollfabriken an den Pranger gestellt und mit kruden Verschwörungserzählungen unterlegt werden. Hierbei haben sich Organisationen wie das Heartland Institute und das Committee for a Constructive Tomorrow (beide USA) stark in den Vordergrund gespielt.

C. Rackete ist eine Polar- und Meeresforscherin sowie bekannte Kapitänin aus Deutschland. Ganz besonders in die internationalen Schlagzeilen ist sie vor einigen Jahren (2019 ff) im Zusammenhang mit der Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer mit ihrem Schiff Sea-Watch 3 gekommen.

Eine ihrer letzten Expeditionen führte sie im Rahmen eines Renaturierungsprojektes nach Finnland, wo sie sich mit der Tatsache konfrontiert sah, dass über 90 Prozent des borealen Waldes inzwischen reinen Waldplantagen haben weichen müssen und dass die Hälfte der Moore dort bereits zerstört worden ist.

Zur ökologischen Bedeutung von Mooren siehe folgenden Beitrag von Peter Oberhofer im DZ-Blog vom 3. Juli 2023:
Moor Kopfeben – ein Naturjuwel?

Der Aufbau von globalen Netzwerken ist für beide Denkschulen (pro und kontra Klimawandel) von entscheidender Bedeutung. Fridays for Future, Extinction Rebellion oder Last Generation sind hier bekannte Beispiele für das Bestreben, auf die Dringlichkeit des (politischen wie individuellen) Handelns im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Klimawandels – manchmal auch mit unkonventionellen Mitteln (etwa des zivilen Ungehorsams) – hinzuweisen. Als bisher größter Erfolg von Extinction Rebellion gilt die Tatsache, dass das Vereinigte KR als erstes Land der Welt 2019 auf der Basis eines einstimmigen (!) Parlamentsbeschlusses den Klimanotstand ausgerufen hat. [Andererseits versuchte gerade die Regierung von Rishi Sunak die Ausdehnung der in London bereits teilweise etablierten Ultra Low Emission Zone (ULEZ) auf das ganze Stadtgebiet zu verhindern. Trotz dieses Widerstandes hat die Stadtgemeindevertretung unter BM Sadiq Khan das Projekt nun mit Wirksamkeit vom 29. August 2023 umgesetzt.]

Es gibt Themen bzw. Problembereiche, die von Gesellschaften insgesamt bzw. großen Teilen davon nur mittels drastischer Methoden gelöst werden können. J. Ebner nennt in diesem Zusammenhang die Aktionen (passiver Widerstand, Störung von Veranstaltungen, Hungerstreiks…) der Suffragetten (Frauenrechtlerinnen in GB und USA im Kampf für das Wahlrecht) am Beginn des 20. Jahrhunderts als Beispiel: “Niemand damals fand gut, was die Suffragetten gemacht haben. Erst jetzt, im Rückblick, können wir sagen, dass ihre Aktionen im Kontext der Zeit wahrscheinlich notwendig waren.” (JE, S. 81)

Und ähnlich verhält es sich wohl auch mit den Klimaprotesten, die von politischer Seite oft in äußerst ungehöriger Manier niedergemacht werden. So setzte z.B. der britische Innenminister vor einiger Zeit Extinction Rebellion auf die Liste der Bedrohungen für die nationale Sicherheit (neben Dschihadisten oder Neonazis). Auch in Österreich werden von PolitikerInnen die jungen, engagierten Leute der Letzten Generation aufgrund ihrer Klebeaktionen u.a. als Klimaterroristen bezeichnet.
Viele Wahlkämpfer besonders des rechten Spektrums der politischen Agenda verwendeten in letzter Zeit das Thema Klimawandel als Vehikel für einen erhofften politischen Erfolg (AfD, Trump, Bolsonaro, Polen, UK…). Dabei fielen Begriffe wie Ökoradikale, grüne Terroristen und dergleichen.

Auch die Netzwerke der Klimaleugner/-skeptiker operieren inzwischen aus ihrer Perspektive betrachtet äußerst erfolgreich. Dabei haben sich zwei Gruppen etabliert: Die Klimawandel-Ja-aber-Sager und die strickten Leugner einer von Menschen verursachten Klimakatastrophe, die beide die aktuelle Klimadiskussion, wie sie in den etablierten Medien, von Teilen der Politik und den AktivistInnen geführt wird, als reinen Alarmismus betrachten.

Zur ersten Gruppe, den Klimawandelskeptikern, gehört beispielsweise der ehemalige britische Abgeordnete Matt Ridley, der sich als Wissenschaftsjournalist (Economist, Times …) und konservativer Politiker (als Erbadeliger im House of Lords/2013-2021) einen Namen gemacht hat. Er gibt den Medien die Schuld an der Polarisierung der Gesellschaft bezüglich des Klimawandels. Seiner Meinung nach wird dieser in den nächsten zehn Dekaden sehr moderat ausfallen. Diese Denkschule hat inzwischen bei einer sehr großen Bevölkerungszahl in gefährlicher Weise verfangen, da sie zu der Einstellung führt, dass es den Klimawandel wohl gibt, man aber nicht unbedingt daran etwas ändern kann oder soll, da er ja kaum Konsequenzen zeitigt.

Als Beispiel eines eingefleischten Klimawandelleugners nennt J. Ebner Marc Morano. Dieser ist ein ultra-konservativer, US-amerikanischer Publizist, der ein Studium der Politikwissenschaften absolviert hat, aber in Bezug auf Klima keine entsprechende fachliche Expertise aufweisen kann. Er selbst bezeichnet sich als “Krieger” im Zusammenhang mit seinen Agitationen gegenüber Menschen, die sich um die Klimaveränderungen Sorgen machen. Heute agiert er als Leiter der Kommunikationsabteilung des von der Ölindustrie finanzierten Committee for a Constructive Tomorrow (CFACT).

Ein Zitat auf Moranos Blog (ClimateDepot.com) demonstriert sehr augenfällig, welch’ Geistes Kind dieser Herr ist, wenn er auf die Klimawissenschaftler bezogen meint: “Gegen Wissenschaftler, die am Boden liegen, sollten wir extra noch einmal nachtreten. Sie haben es verdient, öffentlich ausgepeitscht zu werden”. (JE, S. 94)
Kein Wunder, dass Morano als aggressivster Vertreter der amerikanischen Leugnerszene angesehen wird.

In diesem Kapitel berichtet Julia Ebner auch vom Besuch einer vom Europäischen Institut für Klima und Energie (EIKE) jährlich veranstalteten Konferenz. Im November 2021 fand sie in Gera in Thüringen statt. Dieser Ort in Ostdeutschland wurde wohl nicht zufällig gewählt, hat doch dort nach jüngsten Umfragen (des Meinungsforschungsinstituts Infratest-dimap im Auftrag des MDR im Juli 2023) die AfD bereits alle anderen Parteien deutlich überholt und liegt mit 34 Prozent in Führung (vgl. Verhältnisse in Österreich!!).
Der Slogan des EIKE lautet: “Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit!”

Auf dieser Konferenz vertretene Thesen waren beispielsweise folgende:
– Der Mensch kann sich an Klimaänderungen – so es diese überhaupt gibt – anpassen.
– Eisbärpopulationen haben einen Höchststand erreicht.
– James Taylor / USA (Präsident des Heartland Institute): Etwa 50 Prozent der amerik. Bevölkerung glaubt nicht an den Klimawandel (entsprechende Untersuchungen weisen einen Anteil von “nur” etwas über 20 Prozent aus).

Eine bekannte Strategie von Klimawandelleugnern ist das sogenannte Carbon Shaming, wobei versucht wird, mittels moralisch indoktrinierter Vorhaltungen Menschen wie Thunberg, Al Gore oder Leonardo Di Caprio und vielen anderen zu schaden. Dabei werden diese Personen dafür gerügt, dass sie in ihrem praktischen, alltäglichen Leben durch ihr Verhalten gegen die eigenen Prinzipien verstoßen würden. Das mag da oder dort berechtigt sein, lenkt aber – und das ist die Strategie dahinter – vom eigentlichen Problem ab. Die wissenschaftlich belegten Gesetzmäßigkeiten von Klima und Umwelt/Ökologie werden dadurch ja nicht widerlegt.

Landläufig herrscht die Meinung vor, dass speziell junge Menschen die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Klimawandels ernst nähmen bzw. besonders ältere Menschen in großer Zahl dagegen wären. Beides ist so nicht richtig.

In der Klimawandelleugnerszene z.B. bemüht man sich – offensichtlich erfolgreich -, über die sozialen Medien vermehrt junge Menschen zu erreichen bzw. sie zu animieren, für die Anliegen derer, die den Klimawandel nicht als Problem sehen, auch selbst als InfluencerInnen aktiv zu werden.

Stellvertretend sei hier die dreiundzwanzigjährige deutsche Bloggerin Naomi Seibt erwähnt, die in den Medien auch als “Anti-Greta” bekannt ist und der auf YouTube inzwischen Hundertausende am Thema interessierter “KlimarealistInnen” (Selbstbezeichnung / Seibt) folgen.

Video “Klimawandelleugner” (N. Seibt von Min. 5,06-6,32):

Im Video sagte N. Seibt anlässlich einer Einladung zu einem AfD-Treffen beispielsweise, dass es Naturkatastrophen immer schon gegeben habe. Sie hätten in den letzten Jahrzehnten nicht zugenommen. Die Meinung der Leute, die vor ernsten Folgen des Klimawandels warnen, sei ideologisch begründet. Und in Abwandlung eines bekannten Thunberg-Zitats meinte sie: “I don’t want you to panic, I want you to think!”
Finanziert vom Heartland Institute wettert sie im Netz auch gegen Corona-Impfstoffe, Abtreibungsrechte u.Ä.

Am Ende dieses Kapitels geht J. Ebner noch einmal auf die starken Überschneidungen zwischen der Szene der Klimawandelleugner und rechtsextremen, ultranationalistischen Kreisen ein. Sie zitiert eine Studie des Oxford Internet Institute von 2020, wonach die Unterstützung dieses politischen Spektrums eng verbunden ist mit dem Skeptizismus gegenüber Klimathemen (JE, S. 108).

III) (Weißer) Rassismus

© Pixyabay

Zu Beginn stellt Julia Ebner die Frage, woher die ultra-nationalistischen Kräfte (neue Rechte, Alt-Right-Bewegung …) die Substanz beziehen, derart wirksam zu werden (JE, S. 113). Und das nicht nur in ländlichen Bereichen, wo Menschen in prekären Verhältnissen leben, sondern auch bei jungen, gebildeten Städterlnnen. Sie identifiziert einmal mehr die enormen Bemühungen dieser Szene, mittels moderner Kommunikationsstrategien ihr Zielpublikum zu erreichen, als das Um und Auf für ihren Erfolg.

Um diesbezügliche Informationen zu erhalten, trat J. Ebner als Frau Claire der US-Bewegung “White Lives Matter” (WLM) bei, die 2016 in den USA als Reaktion auf “Black Lives Matter” (entstanden 2013, besonders erstarkt nach der Ermordung von George Floyd 2020) gegründet wurde. Inzwischen haben sich dort hunderttausende Mitglieder eingeschrieben und weltweit viele ähnlich gesinnte Gruppierungen etabliert, die sich auch zu diesem Gedankengut bekennen.

Das gemeinsame Motto lautet: “Wir erklären dem anti-weißen System und allen, die uns unterdrücken wollen, den Krieg. Wir sind vereint in unserem Blut, unserer Kultur und unserem Geist und werden uns gegenseitig niemals aufgeben. ” (JE, S. 113)

Wenn man solche Zeilen liest, packt einen das kalte Grausen. Und noch viel mehr eingedenk der Tatsache, dass diese Gedankenwelt nicht nur weit weg in den USA, sondern auch in unseren (politischen) Breiten wuchert. Dabei wird von einem drohenden weißen Genozid gefaselt, da der Anteil dieser Menschen nur noch acht Prozent der Weltbevölkerung betrüge, und der große Bevölkerungsaustausch (durch Migration) u.a. vom französischen Kandidaten Eric Zemmour im Wahlkampf 2022 für das Präsidentenamt beschworen.

Ein weiteres, gängiges Argument, aktiv zu werden bzw. zu bleiben, ist die Aufforderung, den etablierten Medien nicht zu glauben, da diese nur Unwahrheiten verbreiten würden (Lügenpresse, Fake News . . .). Alternativ dazu wurde ein weit verzweigtes Informationsnetz aufgebaut (nach J. Ebner “Alt-Media” genannt), das der freien Meinungsäußerung frönt. Dazu zählen etwa das Nachrichtenportal Breitbart, der deutsche Verlag Junge Freiheit, die internationalen Ableger der russischen Informationskanäle Russia Today oder Sputnik und Social-Media-Plattformen wie Telegram oder Truth Social, auf denen rechtsextreme Influencerlnnen aktiv sind.

Aus dieser Informationsecke heraus schaffen es dann solche Anschauungen in den Bereich von Massenmedien wie Fox News oder Daily Mail. Oder bekannte Persönlichkeiten wie der USamerikanische, schwarze (!) Rapper Kanye West tragen dieses abstruse, rassistische Gedankengut in die breite Öffentlichkeit. Er behauptet z. Bsp., dass die Sklaverei keine Misshandlung, sondern die freie Wahl der Schwarzen Bevölkerung gewesen sei. Weiters werde die Musikindustrie von Juden total kontrolliert. Eines seiner Alben wollte er ursprünglich sogar mit “Adolf Hitler” betiteln.

Im Zuge ihrer Recherchen sprach Julia Ebner auch mit Mark Collett, dem bekanntesten WLM-Propagandisten in GB und Gründer der Patriotic Alternativ (PA). Als erklärter Hasser von Nicht-Weißen outete er sich dazu noch als Anti-Feminist, Corona-Leugner (“Fake-Pandemie”) und bezeichnet den Klimawandel als “künstlich fabriziertes Problem, das dazu da ist, die Steuern erhöhen zu können, und das weiße Menschen vor lauter Schuldgefühlen dazu bringen soll, keine Kinder mehr zu bekommen.” (JE, S. 125)

Die PA hat sogar Lehrpläne und Schulbücher für den Heimunterricht konzipiert, um Kinder in geeigneter, arischer Weise zu erziehen bzw. zu bilden.

M. Colletts Gedankenkonstrukt ist ein besonders gutes Beispiel dafür, dass sich die Ansichten der im Buch Ebners beschriebenen Subkulturen in weiten Teilen decken und in der SARS-CoV2-Pandemie großen Zulauf verzeichnen konnten.

Julia Ebner beschreibt dann ein Treffen mit der jungen Österreicherin Marielle, deren Vorfahren aus Schwarzafrika stammen. Sie hat sich als Kind und Jugendliche kaum Gedanken über ihre Herkunft gemacht, viel mehr tat sie in der Pubertät alles, um zur Mehrheitsgesellschaft dazuzugehören. Und dies, obwohl sie schon als Kind Rassismus erlebt hatte: In öffentlichen Verkehrsmitteln hatte sie den Eindruck, dass niemand neben ihr sitzen wollte. Oder fremde Leute griffen ihr einfach ungeniert in die Haare. In ländlichen Regionen (wenn sie beispielsweise die Oma in Kärnten besuchte) sei das noch schlimmer gewesen als in ihrer Heimatstadt Wien.

Als sie dann an der UNI Wien ein Studium zur Afrikanischen Geschichte begann, wurde ihr schmerzhaft bewusst, was Menschen ihresgleichen aufgrund der Hautfarbe (haben) erleiden müssen. Sie begann zum Thema “Polizeiverbrechen an Schwarzen Menschen” zu recherchieren und gelangte zum Schluss, dass dies nicht nur in den USA, sondern auch in europäischen Ländern, u.a. auch in Österreich passiert.

In diesem Zusammenhang erwähnt J. Ebner die Operation Spring von 1999/2000 in Österreich, bei der aus Afrika stammende Menschen mehr oder weniger willkürlich verhaftet wurden, die wegen der Ermordung des Nigerianers Marcus Omofuma durch Polizisten protestiert hatten.

Antirassismus ist in den USA sehr stark mit dem Kampf gegen das großzügige, in der Verfassung verankerte Recht auf Waffenbesitz (Second Amendment) verbunden. Laut Amnesty International kommen mehr als fünfhundert Menschen pro Tag durch Waffengewalt um. (V.a. junge) Schwarze US-Amerikaner sind überproportional in dieser Statistik vertreten (JE, S. 146).

Gepaart mit rassistischen Vorurteilen gegen Schwarze tritt sehr häufig auch das antisemitische Verschwörungselement in Erscheinung. Die Juden als globale Eliten würden über den Großteil allen Reichtums und über entscheidende (politisch-gesellschaftliche) Machtpositionen verfügen (bei einem Bevölkerungsanteil von 0,2 Prozent weltweit!). Auch bei den Mainstreammedien würden sie die Strippen ziehen. Und diese judenfeindlichen Erzählungen sind bekanntermaßen nicht neu. Im Laufe der Geschichte wurde diese Volksgruppe praktisch für alle großen Probleme der Welt verantwortlich gemacht (Pest, Great Depression, 9/11 – um nur einige zu nennen).

FORTSETZUNG folgt demnächst:
– Transphobie / Denunzierung der LGTBQ-Comunities
– Impfgegnerschaft
– Russland- bzw. Putinsympathisanten
– Was kann man / können wir dagegen tun?

ccc

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Luis Strasser

Als begeisterter Leser der Printausgabe der DZ hat sich Luis – zusammen mit einem kleinen Team – nach der drohenden Einstellung der Druckversion 2019 dafür eingesetzt, die DZ in irgendeiner Form zu erhalten. Das Resultat ist der nun vorliegende Blog, an dem als Redaktionsmitglied und Autor mitzuarbeiten ihm viel Freude bereitet. Seine Schwerpunktthemen: Politik, Bildung, gesellschaftlicher Wandel, Zeitgeschichte…

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